Schwarzarbeit in Bremerhaven: Ausgebeutete Arbeiter

In Bremerhaven gibt es nach Ansicht der Linken Tagelöhnerei und einen „grauen Arbeitsmarkt“. Der Magistrat weiß von nichts.

Eine Hausfassade mit aufgeplatztem Putz, Graffiti und einer mit Holzbalken vernagelten Tür.

In Unterkünften wie dieser sollen Zugewanderte untergekommen sein Foto: Gareth Joswig

BREMEN taz | Die Linke fordert eine Ausweitung des Bündnisses gegen Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung. Für sie ist das eine Konsequenz aus dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum massenhaften Sozialbetrugsverdacht in Bremerhaven. Dessen Abschlussbericht stellte der Vorsitzende des Ausschusses, Nelson Janßen (Linke), am Mittwoch in der Bürgerschaft vor.

Vor allem mit Blick auf den sogenannten „grauen Arbeitsmarkt“ in Bremen und Bremerhaven wünscht sich die Linke, dass die Zuständigkeit des Bündnisses gegen illegale Beschäftigung auch auf andere Bereiche ausgeweitet wird. Eine stärkere Kontrolle der Werften und des Reinigungsgewerbes sei erforderlich, wie Zeugenbefragungen im Ausschuss ergeben hätten – ein entsprechender Antrag werde demnächst vorgelegt.

Mehrere Zeugen, zugewanderte EU-BürgerInnen mit geringen oder keinen Deutschkenntnissen, berichteten von halblegalen Arbeitsverhältnissen unter skandalösen Bedingungen.

Der Abschlussbericht spricht von „Tagelöhnertum“. Die Betroffenen hätten zwar Arbeitsverträge mit Subunternehmern besessen, diese seien jedoch nur zur Beantragung von aufstockenden Leistungen, oder nur im geringen Umfang geschlossen worden. Tatsächlich seien sie jedoch „Tagelöhner“ auf Abruf gewesen, die etwa im Reinigungsgewerbe oder in Bremerhavener Werften tätig gewesen seien.

Die Bürgerschaft hatte den Untersuchungsausschuss eingerichtet, um den mutmaßlichen massenhaften Sozialbetrug in Bremerhaven aufzuklären: Patrick Öztürk, inzwischen fraktionsloses ehemaliges SPD-Mitglied der Bürgerschaft, soll mit seinem Vater Selim Öztürk mittels zweier Vereine zugewanderte EU-BürgerInnen systematisch ausgebeutet haben.

Margret Brugmann, EU-Beratungsstelle AWO Bremerhaven

„Öztürks Schema geht weiter, allerdings organisieren das jetzt andere Leute“

Die Masche: Sie statteten die überwiegend aus Bulgarien stammenden Menschen mit Schein-Arbeitsverträgen in geringem Umfang aus und halfen diesen, aufstockende Leistungen beim Jobcenter zu beantragen. Durch gefälschte Arbeitsverträge entstand so ein Schaden von knapp sieben Millionen Euro, die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Öztürks und weitere Verdächtige.

EU-BürgerInnen haben in Deutschland dank eines umstrittenen Nahles-Gesetzes zunächst keinen Anspruch auf Sozialleistungen – es sei denn, sie arbeiten etwa selbstständig. Die Vereine der Öztürks sollen einen Großteil der Gelder für „Übersetzungen“ und andere „Dienstleistungen“ kassiert haben. Vielen zugewanderten Familien blieb zum Leben nur das Kindergeld.

Ein Teil der betroffenen Personen soll aber nicht nur Arbeitsverhältnisse vorgetäuscht haben, sondern auch prekär beschäftigt worden sein. Sie sollen Verträge mit Subunternehmern geschlossen haben, die wiederum für andere Subunternehmern Aufträge ausgeführt haben. Das System ähnelte laut den Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses Tagelöhnerei.

Mehrere Zeugen haben ausgesagt, Tätigkeiten wie Korro­sionsschutz, Reinigung und Sandstrahlen in großen Betrieben verrichtet zu haben. Eine AWO-Beratungsstelle für EU-Zugewanderte hatte gar davon berichtet, dass Arbeitnehmerinnen für vier Euro pro Stunde bis zu 16 Stunden am Stück arbeiteten – unter unzureichendem Arbeits-, geschweige denn Kündigungsschutz.

Keine Verbesserung seit 2013

Tatsächlich hat sich die Lage von EU-Zuwanderern seit Bekanntwerden der Missstände nicht wirklich verbessert. Die Leiterin der AWO-Beratungsstelle, Margaret Brugman, sagte im Untersuchungsausschuss, dass sie das Sozialdezernat schon 2013 über illegale Beschäftigungsverhältnisse und katastrophale humanitäre Zustände informiert hatte. Damals sei sie auf taube Ohren gestoßen.

Heute bemängelt sie mit Blick auf die Lebensverhältnisse der Betroffenen: „Es hat sich nichts geändert.“ Zwar sei die Verwaltung heute sensibilisiert, aber die Ausbeutung armer Leute gebe es nach wie vor. „Öztürks Schema geht weiter“, sagt Brugmann, „allerdings organisieren das jetzt andere Leute.“

Bremerhaven sieht das anders. Volker Heigenmooser, Sprecher des Magistrats, schließt zwar nicht aus, dass es dort einen „grauen Arbeitsmarkt“ gibt, sagt aber auch: „Es gibt keine sicheren Erkenntnisse darüber.“

Erhöhte Sensibilität

Allerdings habe sich die Sensibilität für diese Bereiche des Arbeitsmarkts im Zuge des Skandals erhöht: Seit Februar 2017 gebe es ein Gremium, in dem sich Zoll, Steuerfahndung, Kripo, Jobcenter, Bürger-, Ordnung- und Bauordnungsamt einmal im Monat treffen und Auffälligkeiten diskutieren. Bei Verstößen werde sofort reagiert. Bremerhaven sei aber „kein Hotspot für den grauen Arbeitsmarkt“, sagt Heigenmooser.

„Natürlich gibt es dieses Problem auch in Bremerhaven“, sagt Heiko Messerschmidt von IG Metall Küste über den grauen Arbeitsmarkt. Es sei keine Seltenheit, dass schlechte Werkverträge eingesetzt würden, um die Löhne zu drücken und Arbeitsverhältnisse zu verschlechtern. Phänomene wie Grauarbeit gebe es in vielen Bereichen.

Öffentlichkeit uninteressiert

Ein Problem sei, dass die schlechten Arbeitsbedingungen nicht im Fokus der Öffentlichkeit stünden. Oft sei es aufgrund von Sprachbarrieren schwer, Betroffene über ihre Rechte aufzuklären. Der Gesetzgeber müsse die Voraussetzungen für ein solches System, wie etwa Kettenverträge, verbieten, fordert Messerschmidt.

„Es gibt keinen sichtbaren Arbeiterstrich, aber es gibt Kontakte, die einem tageweise Arbeit vermitteln“, sagt Volker Tegeler, Geschäftsführer der AWO Bremerhaven, „einige zahlen Mindestlohn, andere nicht.“ Einige bekämen ihren Lohn pünktlich, andere würden erst Monate später bezahlt. Das größte Problem sind aus Tegelers Sicht die Subunternehmer, die auch weiterhin Arbeitszeugnisse fälschten und schlecht bezahlte Tätigkeiten vermittelten.

Betroffene kämen hauptsächlich aus Polen, Bulgarien und Rumänien, arbeiteten sowohl in großen Unternehmen als auch in kleinen Reinigungsfirmen. Die EU-Beratungsstelle der AWO sei mehr als ausgelastet. Denn die Zugewanderten eint eins, wie Tegeler berichtet: „Wenn sie sich beschissen fühlen, kommen sie hierher.“

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