Schwarz-grüne Koalitionsverhandlungen: Die Annäherungen bleiben vage
Zwischen CDU und Grünen in Hamburg knirscht es: Die Union hat unsolider gewirtschaftet als bekannt. Für grüne Wünsche ist kaum Geld da.
HAMBURG taz Es knirscht mächtig bei den schwarz-grünen Koalitionsverhandlungen in Hamburg. Fünf Mitglieder der Grün-Alternativen Liste (GAL) berichteten am Freitag unabhängig voneinander, dass keine Euphorie geherrscht habe unter den etwa 150 Grünen, die sich am Vorabend unter Ausschluss der Medien über den Stand der Verhandlungen ausgetauscht hatten. Die Einschätzungen schwanken zwischen "wird wohl klappen, aber es wird sehr eng" bis zu "Für mich ist nicht erkennbar, dass die Substanz für ein solches Bündnis ausreicht."
Dabei sind die großen Knackpunkte bekannt, an denen die Bildung der ersten schwarz-grünen Landesregierung in Deutschland scheitern könnte. Ob Elbvertiefung, das geplante Kohlekraftwerk im Stadtteil Moorburg, das Schulsystem, Stadtbahn, City-Maut oder die Humanisierung des Strafvollzuges: Die Annäherungen bleiben vage.
Und das nicht allein aus ideologischen oder programmatischen Gründen. Das Kernproblem ist der Umstand, dass die finanzielle Lage des Stadtstaats weit schlechter ist, als der CDU-Senat vor der Wahl zugegeben hatte. Erst in den Verhandlungen mit den grünen kamen die wahren Zahlen auf den Tisch - danach fehlen Hamburg bis 2011 zusätzliche 835 Millionen Euro.
Denn die "konsequente Konsolidierungspolitik", die Finanzsenator und CDU-Landeschef Michael Freytag stets für sich beanspruchte, weist eine Finanzierungslücke nicht von den behaupteten 1,6 Milliarden Euro, sondern tatsächlich von 2,4 Milliarden Euro für die nächste Legislaturperiode auf.
Echte Entrüstung jedoch kommt aus einen anderen Grund auf: Deutlich geworden ist, dass Bürgermeister Ole von Beust, Freytag und ihr CDU-Senat sich auf den möglichen Verlust der absoluten Mehrheit vorbereitet haben. "Die haben vor der Wahl mit ungedeckten Schecks alles politisch festgezurrt hat, was ihnen wichtig ist", haben die grünen Unterhändler erkennen müssen. Oder, wie es ein anderer ausdrückt: "Die haben sich einen ordentlichen Schluck aus der Finanzpulle gegönnt, und jetzt ist die Flasche leer."
135 Millionen Euro für den Hafen, 101 Millionen für ein neues Konzerthaus, oder 204 Millionen für Airbus: Die Summen waren nicht geheim, dass es sich sämtlich um Geld handelt, das es nie gab, hingegen schon. "Der finanzielle Spielraum für unsere politischen Anliegen ist minimal", mussten die Grünen daher nun erkennen. Die Christdemokraten hätten "ihre Dickschiffe flott gemacht", so dass für den kleinen Partner in einer Koalition möglicherweise "nur ein paar grüne Ranken" blieben, so das Fazit eines Grünen, der Schwarz-Grün kürzlich noch für möglich hielt.
Von den Mitgliedern der Verhandlungsdelegationen, die sich Donnerstag Morgen zum siebten Mal trafen, waren tags darauf keine Stellungnahmen zu erhalten. Freytag und von Beust hatten am Abend zuvor selbst im CDU-Landesvorstand "nur kurz und knapp den Sachstand berichtet", sagt Landesgeschäftsführer Gregor Jaecke.
Die grünen Verhandlungsführerinnen, Spitzenkandidatin und Fraktionschefin Christa Goetsch und die Parteichefin und Bundestagsabgeordnete Anja Hajduk, hatten vor zwei Wochen bereits durchblicken lassen, dass es Risiken gebe: Die Finanzen seien "wohl nicht so toll wie wir dachten". Deutlicher wurde nun Krista Sager, Fraktionsvize der Grünen im Bundestag und von 1997 bis 2001 Hamburgs Zweite Bürgermeisterin: "Das ist kein Selbstgänger", bekannte sie, "die großen Punkte haben wir ja noch vor uns". Und allesamt stehen sie unter Finanzierungsvorbehalt.
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