Schwarz-gelbe Steuerreform: Länderchefs mucken auf
Die Steuersenkungspläne von Schwarz-Gelb stehen auf der Kippe. Mehrere unionsgeführte Länder kündigen Widerstand an. Schäuble und Merkel bleiben hart.
Die Stimmung war aufgeheizt und vergiftet. "Ihr habt sie doch nicht alle", soll Peter Harry Carstensen, CDU-Ministerpräsident in Schleswig-Holstein, vergangene Woche in vertrauter Runde mit Angela Merkel und den Unions-Länderfürsten laut Focus gebrüllt haben. Indirekt habe er gar mit Rücktritt gedroht. "Dann schmeiß ich halt hin und mach was anderes", wird er zitiert.
Mit der Deutlichkeit seiner Worte steht Carstensen alleine da, nicht aber mit seiner Meinung. Der Protest der unionsgeführten Bundesländer gegen die Steuersenkungspläne der Bundesregierung hat sich am Wochenende verschärft. Mittlerweile leisten auch die Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Thüringen, dem Saarland und Sachsen Widerstand und drohen, das Reformvorhaben im Bundesrat scheitern zu lassen.
Unter dem sperrigen Titel "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" will die Regierung Bürger und Unternehmen um jährlich 8,5 Milliarden Euro entlasten. Kindergeld und Kinderfreibetrag sollen steigen, Erben und Firmen weniger Steuern zahlen müssen. Für Unmut bei einigen Unions-Länderchefs sorgt besonders der von Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) durchgedrückte Plan, die Mehrwertsteuer für Hotelübernachtungen zu senken. Ohne finanziellen Ausgleich könnten die Länder die Steuerausfälle nicht stemmen, so die Argumentation von Carstensen und anderen. Allein Schleswig-Holstein rechnet mit 70 Millionen Euro Mindereinnahmen.
Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble bleibt jetzt wenig Zeit zu schlichten. Schon am Freitag soll das Gesetz im Bundestag beschlossen werden, am 18. Dezember stimmt der Bundesrat ab. Die Mehrheit dort wackelt allerdings gewaltig. Stimmt Schleswig-Holstein gegen das Gesetz, scheitert das Vorhaben der Regierung auch dann, wenn alle restlichen schwarz-gelb geführten Länder zustimmen würden. Doch nicht einmal das scheint derzeit sicher. Bedenken meldeten in den vergangenen Tagen auch Baden-Württemberg und Sachsen an. Beide fordern einen finanziellen Ausgleich.
Auf die Zustimmung von Thüringen und Sachsen-Anhalt, wo die CDU mit den Sozialdemokraten regiert, kann Merkel ebenfalls nicht hoffen. Im ZDF drohte Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) offen mit Ablehnung. Steuersenkungen seien für Thüringen nicht verkraftbar. "Deshalb gebietet es die Verantwortung für das Land und den Haushalt, dass wir dem nicht zustimmen können", sagte sie. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) sagte gegenüber der Mitteldeutschen Zeitung: "Im Augenblick sehe ich keine Möglichkeit, dem Gesetz zuzustimmen." Unterstützung erhielt Peter Harry Carstensen ebenfalls von seinem Amtskollegen in Saarbrücken. Peter Müller (CDU) sagte zum Ausbruch von Carstensen, für das Saarland gelte das erst recht, und zwar "hoch drei".
Trotz der heftigen Kritik der Länder bleibt Schäuble hart. Einen Ausgleich für die Länder werde es nicht geben. "Den Koalitionsvertrag hat die Partei als Ganzes beschlossen. Das bindet die CDU insgesamt, auch die CDU in Schleswig-Holstein", sagte er der Stuttgarter Zeitung. Auch Merkel soll sich keinen Schritt bewegt haben. Sie sei nicht bereit, "einen Basarhandel" über das Wachstumsbeschleunigungsgesetz zu eröffnen.
Eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht. Es wird immer wahrscheinlicher, dass ein Vermittlungsausschuss zwischen Bund und Ländern die strittigen Fragen klären muss. Zum 1. Januar könnte das umstrittene Gesetz dann nicht mehr in Kraft treten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!