Schwangerschaftsabbrüche in Polen: Für die Abtreibung über die Grenze
Die meisten Abtreibungen sind in Polen illegal. Viele Frauen reisen für die Prozedur deshalb ins Ausland – oder begeben sich in die Hand von Laien.
Aber Schwangerschaftsabbrüche sind in Polen in den meisten Fällen illegal, und so tat die junge Frau, was viele andere Polinnen vor ihr getan haben. Sie packte eine Tasche, reiste über die Grenze nach Deutschland und hatte eine Abtreibung – an einem Ort, wo dies sicher und legal ist. Etliche Polinnen haben sich auch an Einrichtungen in Tschechien, Slowakien oder in den Niederlanden gewandt.
„Ich fühle mich jetzt gut“, sagte Monika aus ihrem Krankenhausbett im brandenburgischen Prenzlau, nachdem ihre siebenwöchige Schwangerschaft abgebrochen worden war. „Ich hätte niemanden gehabt, der sich um das Baby kümmert und hätte es mir finanziell nicht leisten können. Ich war nicht in der Lage, damit fertig zu werden.“
Polen ist eine Gesellschaft, die in der Abtreibungsfrage tief gespalten ist. Das Land hat bereits eines der striktesten Gesetze in Europa, und die loyal zur katholischen Kirche stehende Regierung würde es gern sogar noch verschärfen. Ein jüngster Vorstoß für ein völliges Verbot löste dann aber so große Empörung und Straßenproteste von Frauen aus, dass er fallengelassen wurde.
Jetzt macht sich die Regierungspartei für ein Beinahe-Verbot stark – was Befürworter des Abtreibungsrechts neu zum Widerstand beflügelt.
Erst taufen, dann beerdigen
Auch die 22-jährige Ewa kam aus Polen zur Abtreibung nach Prenzlau. Die kürzlichen Proteste hätten sie erst darauf aufmerksam gemacht, dass Schwangerschaftsabbrüche im Ausland möglich seien, schildert sie. „Andere Frauen, die im Internet über ihre Erfahrungen geschrieben haben, haben mir bei meiner Entscheidung geholfen.“
Abtreibungen sind in Polen nur bei Inzest, Vergewaltigung, Lebensgefahr für die Frau oder bei unheilbaren schweren Schäden des Fötus erlaubt, bis Ende der 12. Schwangerschaftswoche. Im vergangenen Jahr gab es 1.040 legale Abtreibungen, aber nach Angaben von Experten liegt die wahre Zahl in diesem Land mit 38 Millionen Einwohnern bei 150.000.
Frauen besorgen sich Abtreibungspillen von anderswo, reisen für den Schwangerschaftsabbruch ins Ausland oder wenden sich – ein riskanter Schritt – an medizinisch nicht geschulte Leute, die mit Abtreibungen Geld machen wollen.
Käme die polnische Regierung mit ihren neuen Vorschlägen durch, wären künftig auch Abtreibungen in Fällen von genetischen Defekten des Fötus wie dem Down-Syndrom verboten – und Frauen müssten ihr Kind auch austragen, wenn es keine Überlebenschance nach der Geburt hätte. Dann könnte das geborene Kind „getauft, beerdigt werden und einen Namen haben“, sagte der Chef der Regierungspartei, Jaroslaw Kaczynski.
Jede Vierte hat abgetrieben
Tatsache ist, dass sogar derzeit erlaubte Abtreibungen Frauen oft verwehrt bleiben – wegen der großen Zahl von Ärzte, die sich aus „Gewissengründen“ verweigern. „Das derzeitige Gesetz funktioniert in der Praxis nicht“, sagt Krystyna Kacpura von der Vereinigung für Frauen und Familienplanung. „Frauen sind klug und finden immer einen Weg, Regierungshürden zu überwinden. Wir befinden uns im Zentrum von Europa, es ist leicht, per Bahn, Flugzeug, Bus oder Auto in ein anderes Land zu reisen.“
Karina Walinowicz ist Rechtsanwältin für die katholische Gruppe Ordo luris, die sich erfolglos für ein völliges Abtreibungsverbot eingesetzt hat. Sie meint, dass Gesetze eine wichtige Rolle dabei spielten, Menschen zu lehren, was richtig und was falsch sei. „Abtreibung ist die Tötung einer Person vor der Geburt, wenn die Person am schwächsten ist, unfähig, sich zu verteidigen“, argumentiert die Juristin.
CBOS, ein führendes Meinungsforschungsinstitut in Warschau, schätzt, dass mindestens jede vierte polnische Frau eine Abtreibung gehabt hat, aber nur sehr wenige würden das zugeben. Im Warteraum der Klinik in Prenzlau saßen mehrere polnisch sprechende Männer, verneinten aber die Frage, ob sich ihre Partnerinnen wegen einer Abtreibung dort aufhielten.
Monika erhielt binnen einer Woche einen Termin, nachdem sie den Arzt Janusz Rudzinski angerufen hatte, einen Polen, der in Deutschland lebt und die Klinik-Abteilung für Gynäkologische Onkologie, spezielle operative Gynäkologie und Ästhetische Chirurgie leitet.
Während zwei Stunden, die er mit Reportern der Nachrichtenagentur AP verbrachte, beantwortete Rudzinski mindestens acht Telefonanrufe auf Polnisch. Jedes Mal versicherte er der Stimme am anderen Ende, dass Schwangerschaftsabbrüche bis Ende der 12. Woche in Deutschland legal seien. Die Klinik führt nach seinen Angaben pro Woche ungefähr 20 Abtreibungen bei polnischen Frauen durch.
Schneider, Schuster, Handwerker
In einem Fall rief eine Polin an und schilderte, sie habe selbst mit einem Draht abzutreiben versucht. Nun habe sie starke Schmerzen im Unterbauch und hohes Fieber. Rudzinski riet ihr, sofort ein Krankenhaus aufzusuchen.
Wie der Arzt sagt, hat sich mittlerweile in Polen ein Untergrund-Netzwerk für Abtreibungen entwickelt, was zu einem Rückgang der Schwangerschaftsabbrüche im Ausland geführt habe. „Drei von vier (illegalen) Abtreibungen werden jetzt in Polen vorgenommen, aber nicht von Ärzten. „Schneider, Schuster, Handwerker führen sie durch, um Geld zu verdienen.“
Rudzinski verteidigt die Frauen, die sich zu einem Schwangerschaftsabbruch entschließen. „Eine Abtreibung ist für niemanden ein Vergnügen. Es gibt immer Gründe dafür, größere oder kleinere.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau