Schwänzen für die FutureFridays: Schulklima wechselhaft
Viele Schulen in Berlin schreiben Fehlstunden auf, wenn Schüler wegen des Klimastreiks schwänzen. Andere nehmen es lockerer.
In Berlin gibt es bislang keine einheitliche Regelung im Umgang von Schulen mit demonstrierenden Klima-Kids. Viele Schulen würden zwar Fehlstunden oder Fehltage aufschreiben, berichteten SchülerInnen, die bei FridaysforFuture (FFF) mitmachen, der taz. „Das ist die normale Sache“, sagt Emil Exner, einer der Organisatoren von FFF Berlin. Manche Schulleitungen beziehungsweise LehrerInnen dagegen tolerieren das politische Engagement ihrer Schüler und unternehmen – bislang jedenfalls – nichts.
Exner hat Glück: Seine Schule, die Willy-Brandt-Oberschule in Wedding, toleriert sein „Schwänzen“, schreibt keine unentschuldigten Fehlstunden auf: „Ich gefährde also meinen Abschluss nicht.“ Der 17-Jährige macht gerade seinen mittleren Schulabschluss: Nächste Woche Freitag sei die mündliche Prüfung, erzählt er – und die Schule habe ihm auf seine Bitte hin sogar einen Termin früh am Morgen gegeben, damit er ab 10 Uhr wieder vor dem Bundeswirtschaftsministerium demonstrieren kann.
Andere Schulen sehen das enger: So gibt es Berichte von Eltern, dass die Schule ihres Kindes das Streiken anfangs locker genommen habe, inzwischen aber eine Entschuldigung durch die Eltern nicht mehr reiche. Nun müsse vorab eine Beurlaubung beantragt werden.
Am Pankower Rosa-Luxemburg-Gymnasium werte man die freitäglichen Demoteilnahmen als unentschuldigte Fehlstunden, sagt Schulleiter Ralf Treptow, der auch Vorsitzender der Vereinigung der Berliner Oberstudiendirektoren ist: „Die Schulpflicht gilt.“ Aber natürlich stehe es jeder SchülerIn frei, von ihrem Recht auf Demonstrationsfreiheit Gebrauch zu machen. Von Sanktionen wie einem schriftlichen Verweis oder gar einen Ausschluss vom Unterricht – die das Berliner Schulgesetz als Ordnungsmaßnahmen kennt – sehe man deshalb ab, sagt Treptow: „Wir erwarten aber, dass der Unterrichtsstoff nachgeholt wird und es werden auch keine Klausuren wegen der Demos verschoben.“
Globaler Streiktag Diesen Freitag soll es besonders groß werden – FridaysforFuture hat weltweit zum Klimastreik aufgerufen. Mehr als 1.300 Orte in 98 Ländern sollen Proteste angekündigt haben. In Berlin wird wie jeden Freitag von 10 bis 14 Uhr vor dem Bundeswirtschaftsministerium am Invalidenpark in Mitte demonstriert. Es gibt eine Kundgebung mit Musik und Redebeiträgen. Über Twitter wurde der Aufruf verbreitet, etwas Grünes anzuziehen.
Unterstützung Beim Klimastreik dabei sind auch in Berlin inzwischen die ParentsforFuture, die sich im Februar zunächst in NRW gegründet hatten. Auch Studenten laufen mit einer eigenen Gruppe mit. Das Naturkundemuseum, in dessen Nähe die Demo stattfindet, lädt die Schüler ab 15 Uhr zum Austausch mit Wissenschaftlern ein. Bei Vorlage des Schülerausweises gibt es dafür freien Eintritt. (sum)
Der Schulleiter findet es grundsätzlich problematisch, wenn sich Schulleitungen zu einem Demoinhalt „positiv stellen“ und die Jugendlichen für die Demos entschuldigen. Denn wo ziehe man die Grenze, was erlaube man, was nicht? „Da sehe ich das Gleichheitsprinzip gefährdet.“
GEW kritisiert Senatorin
Viele Schulen handhaben es ähnlich wie das Pankower Gymnasium: Fehltage auf dem Zeugnis ja, Sanktionen nein. Die Lehrergewerkschaft GEW rief am Donnerstag „alle Pädagog*innen dazu auf, das Engagement der Schüler*innen als berechtigt anzuerkennen und von Sanktionen wegen Fehlens im Unterricht abzusehen“. Dass Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) keine klare Linie vorgebe, sorge für Verunsicherung, so GEW-Vorsitzender Tom Erdmann: „Das ist ein schönes Beispiel, wie man sich hinter der eigenverantwortlichen Schule verstecken kann.“
Scheeres hatte kürzlich erklärt, sie betrachte das Anliegen der Schülerinnen und Schüler „mit Sympathie“. Dessen ungeachtet gelte aber die Schulpflicht. „Schulen haben aber die Möglichkeit, durch Projektstunden oder Wandertage das Thema beziehungsweise die FridaysforFuture in den Unterricht zu integrieren“, erklärte ihre Sprecherin Beate Stoffers der taz.
Schon Anfang März haben die streikenden SchülerInnen einen Vordruck für eine Entschuldigung geschrieben, den Eltern ausfüllen können, wenn sie ihr Kind bei den Streiks unterstützen wollen. In dem zweiseitigen Schreiben argumentieren die Schüler unter anderem mit Artikel 20a des Grundgesetzes: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere.“ Da der Staat dieser Pflicht nicht nachkomme, gelte: „Wir streiken, bis ihr handelt.“
Die SchülerInnen begründen aber auch politisch, warum in der Schulzeit gestreikt werden müsse. „Die Politik ignoriert Demos, die am Wochenende, an Feiertagen stattfinden. Das wollen wir verhindern, in dem wir zivilen Ungehorsam begehen“, erklärte kürzlich Franziska Wessel, 15-jährige Mitorganisatorin der Berliner Streiks, im TV-Sender Phoenix. Auch für Exner ist die Provokation durch Schwänzen notwendig: „Es ist ganz klar, dass wir die Aufmerksamkeit dadurch bekommen, dass wir nicht in die Schule gehen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies