Schwächen des Bildungssystems: Sei dankbar, Migrant!

Ich habe mich lange mit der Benachteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund im Bildungswesen beschäftigt. Viele sind zum Scheitern verurteilt.

Eine Muslima mit Kopftuch holt ihre zwei Kinder von der Schule ab

Es wird von Eltern erwartet, dass sie bei den Hausaufgaben helfen. Nicht alle können es Foto: Winfried Rothermel/imago

Ich habe ein Buch geschrieben – „Generation haram“. Ein Buch darüber, wie Kinder mit Migrationshintergrund und Arbeiterkinder im Bildungssystem zum Scheitern verurteilt sind. Gewisse Schultypen sind für sie nicht vorgesehen, sie werden anders bewertet, schaffen den Bildungsaufstieg seltener und flüchten sich deshalb in veraltete Rollenbilder und bestätigen Stereotype.

Schule erwartet, dass die Mama zu Hause bei den Schulaufgaben hilft. Eltern mit Migrationshintergrund und wenig Geld haben aber oft zu schlechte Deutschkenntnisse dafür und können sich keine Nachhilfe leisten. Dazu kommt die individuelle Komponente, wenn etwa Lehrer und Mitschülerinnen Kinder aufgrund ihrer Herkunft, Religion oder Hautfarbe anders behandeln.

Das habe ich als Schülerin mit Migrationshintergrund, als Schulprojektleiterin, als Journalistin und als Lehrerin beobachtet. Seit ich Anfang 20 bin, arbeite ich mit Jugendlichen, ich habe Lehramt studiert, drei Jahre lang mit über 500 Schülerinnen gearbeitet und vergangenes Jahr schließlich ein Jahr lang Deutsch und Psychologie und Philosophie unterrichtet und jetzt dieses Buch geschrieben. Anstatt mir zuzuhören, spricht mir ein Teil der Mehrheitsgesellschaft als Reaktion auf das Buch meine Expertise ab.

Wir reden mit

„Die Erkurtsche Weinereimasche. Ich war 40 Jahre AHS-Lehrer (nicht bloß ein Jahr). Meine letzte Klasse als KV zeichnete sich durch 12 versch. Sprachen aus; dennoch haben die meisten, die aus einfachen Familien kamen, maturiert. Warum? Weil die Eltern Bildung für wichtig erachten“, ist nur einer der unzähligen Foren- und FB-Kommentare zu meinem Buch.

Ich bin jetzt 29, entschuldigen Sie bitte vielmals, Herr Oberstudienrat, dass ich nicht schon nach der Volksschule angefangen habe zu arbeiten. Mehr Erfahrung hätte ich in meinem Alter unmöglich sammeln können.

Aber darum geht es Ihnen gar nicht. Migrant*innen werden noch immer höchstens als Islam-Expert*innen akzeptiert, aber auch da nur, wenn sie einseitig über den radikalen Islam berichten. Eine Migrantin, die erklärt, was in der Bildungspolitik falsch läuft und den Fokus weg von den Migrantenkindern und Muslimen lenkt – die darf nicht den Diskurs bestimmen, die will man nicht mitreden lassen.

Der Soziologe Aladin El-Mafaalani beschreibt das in seinem Buch „Das Integrationsparadox“ sehr gut: Migrantinnen und Migranten wollen plötzlich auch ihren Platz am Tisch. Es reicht ihnen nicht, Bauarbeiter und Putzkraft zu sein, sie wollen jetzt mitreden. Ich merke, dass die Mehrheitsgesellschaft ganz verwundert ist, dass ich Teilhabe einfordere. Die häufigste Reaktion ist: Du sei in erster Linie einmal dankbar. Einige wenige von uns haben einen Platz am Tisch ergattert, dazu zähle ich mich auch. Wir werden jetzt ins Haubenrestaurant gelassen, bekommen aber den Platz beim WC.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Autorin "Generation haram", Journalistin, ehemalige Lehrerin, lebt in Wien

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.