Schutzräume im Ukrainekrieg: Der beste Keller der Welt
Im westukrainischen Lwiw ist es noch verhältnismäßig ruhig. Aber Bombenalarm und Luftschutzräume gibt es auch hier.
W as wissen Sie über Keller? Haben Sie irgendwann schon mal versucht, Ihren Keller auf einer 5-Punkte-Skala zu bewerten? Wie viele Sterne bekäme er zusätzlich für Wasser und Belüftung? Ich zum Beispiel sitze gerade in einem 5-Sterne-Keller, obwohl weder das Hilton noch das Hyatt irgendwas von ihm wissen.
Es ist hier warm und gemütlich, es gibt Wasser und auch eine Steckdose. An manchen Stellen kommt man sogar ins Internet, was ihn wirklich ausgesprochen angenehm macht. Das einzige Problem an ihm ist, dass ich heute bereits zum sechsten Mal hinuntergegangen bin – und dieses Mal zum letzten Mal. Denken Sie nichts Schlimmes. Es ist bloß absolut sinnlos, sich im Zimmer zum Schlafen hinzulegen, wenn man schon nach ein oder zwei Stunden wieder in den Keller muss.
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Heute hat es im Hinterland von Lwiw fünfmal Luftalarm gegeben. Insgesamt habe ich heute mehr als fünf Stunden unter der Erde verbracht. Aber das ist ein guter Deal – ein Viertel des Tages unter der Erde zu verbringen, um nicht für immer dort zu landen. An den Tagen davor war alles viel besser – „der russische Kriegswecker“, wie ich ihn nenne, arbeitete kurz nach fünf Uhr morgens und sicherte scharfes, zuverlässiges Aufwachen.
Mein Keller hat nur ein technisches Manko – ich kann ihn nicht mit anderen teilen. Er wäre gerade sehr nützlich für meine Freundin aus Mariupol, eine junge Journalistin, von der ich seit über drei Wochen nichts mehr gehört habe. In ihrer Stadt ist der Keller der einzige Ort, an dem man den Beschuss durch die russische Armee überleben kann. Von vielen früheren Wohnhäusern sind dort nur noch Ruinen übrig, und darunter sind Keller voller Menschen.
stammt aus der Ostukraine und war nach Beginn des Krieges im Donbass 2014 nach Kyjiw gekommen. Am ersten Kriegstag 2022 war er nach Lwiw geflohen, nach 100 Tagen ist er zurück in Kyjiw. Er war Teilnehmer eines Osteuropa-Workshops der taz Panter Stiftung.
Vielleicht haben Sie von der Bombardierung des Mariupoler Theaters gehört? Der sowjetische Schutzbunker unter dem Theater war offensichtlich für den Kalten Krieg gebaut, zum Schutz vor dem „Westen“. Jetzt hat er viele Einwohner der Ukraine gerettet, die von den Russen bombardiert werden unter dem ausgedachten Vorwand der „Entnazifizierung“.
Ach übrigens, zum Thema „Entnazifizierung“. Ich würde auch sehr gern Boris Romantschenko in meinen Keller aufnehmen, den ehemaligen Häftling der nationalsozialistischen Konzentrationslager Buchenwald, Peenemünde, Dora und Bergen-Belsen. Er hat den Holocaust überlebt, er war 96 Jahre alt und starb jetzt in seiner eigenen Wohnung (in Charkiw; Anm. der Redaktion) durch eine russische Granate. Derjenige, der an der Waffe stand, feiert höchstwahrscheinlich gern den Tag des Sieges. Aber am 18. März hat er einen Menschen umgebracht, der die Nazis aus eigenem Willen besiegt hat.
In Lwiw ist es jetzt fast still, und wenn die Sirene nicht ertönt, kann ich die erdrückenden Wände meines zum Luftschutzbunker gewordenen Kellers verlassen und mich ein bisschen erholen. Aber Millionen Menschen in unserem Land können sich das nicht erlauben, denn manchem fällt es leichter zu bombardieren, als zu denken. Wir hingegen haben Zeit zum Nachdenken, während wir uns vor den russischen Bomben verstecken. Glauben Sie mir, das alles werden wir niemals vergessen.
Aus dem Russischen von Gaby Coldewey
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