Schutz vor Energiesperren in Bremen: Wenn Dunkelheit droht
Die Linksfraktion fordert die Fortsetzung des Fonds gegen Energiearmut. Die Situation der Betroffenen habe sich nicht entspannt, die Zahlen steigen.
In Bremen müssen immer mehr Haushalte damit rechnen, dass ihnen der Zugang zu Strom, Wasser oder Gas abgedreht wird. Die Zahl der drohenden und vollzogenen Energie- und Wassersperren steigt in Bremen und Bremerhaven in diesem Jahr voraussichtlich deutlich auf rund 2.000 Fälle an.
Vor diesem Hintergrund spitzt sich ein Konflikt zwischen der SPD-geführten Sozialbehörde von Senatorin Claudia Schilling und der Fraktion der mitregierenden Linken in der Bürgerschaft um einen Härtefallfonds für Energie- und Wasserversorgung zu. Die Linksfraktion fordert die Fortsetzung des Instruments, die Sozialbehörde setzt stattdessen auf dezentrale Beratung.
„Der Härtefallfonds war ein wichtiges Instrument gegen Energie- und Wassersperren“, sagt Sofia Leonidakis, Vorsitzende der Linksfraktion und sozialpolitische Sprecherin. Der 2021 als einmaliges Hilfesystem eingerichtete Fonds für Transferleistungsbeziehende war schon Ende 2024 ausgelaufen. Der 2023 eingeführte erweiterte Fonds für Niedrigverdiener ohne Transferleistungen steht aktuell im Fokus der Debatte und seine Fortführung ist umstritten.
Die Linke warnt, dass sich die Situation der Menschen, die von Energie- und Wassersperren betroffen sind, nicht entspannt hat – im Gegenteil. Aus der aktuellen Antwort des Senats auf eine Anfrage der Fraktion vom August dieses Jahres geht hervor, dass die Zahl der Energiesperren in Bremen und Bremerhaven in diesem Jahr voraussichtlich auf rund 2.000 ansteigen wird. Im vergangenen Jahr waren es 1.521.
Der Beratungsbedarf bei der Verbraucherzentrale war von 2023 auf 2024 um 86 Prozent gestiegen. Die Hochrechnung für das Gesamtjahr 2025 lässt einen weiteren Anstieg um über 40 Prozent gegenüber 2024 erwarten.
Deutlich gestiegen ist auch die Summe der Gesamtforderungen, die in der Energieberatung der Verbraucherzentrale Bremen bearbeitet wurden. Diese hat sich demnach von 2023 auf 2024 mehr als verdreifacht. Auch die Höhe der Pro-Kopf-Schulden stieg von durchschnittlich 2.100 Euro pro Person auf durchschnittlich 3.300 Euro pro Person.
Der Versorger SWB hatte bereits im April dieses Jahres vor steigenden Fallzahlen gewarnt. Es gebe „seit Mitte 2024 bei den Abrechnungen wieder so etwas wie einen normalen Betrieb“, sagte Helmer Janßen, Bereichsleiter bei SWB Vertrieb. „Das bedeutet: Wir rechnen künftig wieder mit Sperrzahlen aus der Zeit vor Corona, wo wir bei etwa 4.000 Vorgängen im Jahr lagen.“ Eine Hochrechnung des Beratungsbedarfs lasse einen Anstieg um über 40 Prozent für das gesamte Jahr erwarten.
Rechnungshof moniert hohe Verwaltungskosten
Leonidakis verweist auf zunehmende Wohn- und Energiearmut sowie prekäre Lebenslagen als Gründe für die Entwicklung. Viele Abwendungsvereinbarungen mit dem Versorger SWB scheiterten, was zu Sperren führe. Eine Wohnung ohne Strom, Heizung oder Wasser sei faktisch unbewohnbar und bringe Menschen in existenzielle Not.
Auch in Hamburg steigt die Zahl der Sperren deutlich. Die Zahl der umgesetzten Stromsperren stieg von 2.174 (2023) auf 6.145 (2024), eine Verdreifachung. Die Wassersperren haben sich nahezu verdoppelt (von 285 auf 549), und die Gassperren stiegen von neun auf 49 – mehr als das Fünffache.
Im Gegensatz zu Bremen setzt Hamburg weiterhin auf einen Energiehilfefonds. Dieser wurde 2021 eingerichtet und wurde im Zuge der Energiekrise mit neuen Mitteln ausgestattet. Er gilt als wichtiger Baustein zur Abwendung von Sperren, insbesondere für Niedrigverdiener:innen knapp über der Sozialhilfegrenze.
Doch das Hilfsangebot wurde nur 75-mal genutzt. Ausgezahlt hat die Sozialbehörde laut ihrem Abschlussbericht in eineinhalb Jahren nur etwas mehr als 105.513 Euro.
Der Fonds reiche nicht aus, kritisiert die Hamburger Linksfraktion und fordert eine Aufstockung der Mittel sowie eine Ausweitung des Kreises der Berechtigten. Trotz des Fonds stiegen die Armut und der Beratungsbedarf, die Hilfsangebote wie die Schuldnerberatung seien chronisch überlastet.
Der rot-grüne Senat argumentiert, dass die Stadt ihrer Verantwortung nachkomme, indem sie den Fonds etabliert hat und zusätzliche Gelder für die Energie- und Schuldnerberatung bereitstellt. Dennoch räumt auch der Senat ein, dass die Herausforderung angesichts der steigenden Energiepreise enorm ist und die Fallzahlen die Ämter und Träger stark belasten.
Der Senat lehnt eine Wiederaufnahme des Härtefallfonds mit Verweis auf den Rechnungshof ab. Dieser hatte hohe Verwaltungskosten von 61 Prozent der gesamten Mittel, eine unnötige Doppelstruktur zu bestehenden Sozialgesetzbüchern (SGB II/XII) und niedrige Antragszahlen moniert und hält das Instrument für verzichtbar.
Die Landesregierung setzt stattdessen auf den Zappenduster-Prozess, einen seit zehn Jahren etablierten Kooperationsmechanismus im Land Bremen im Rahmen des Runden Tisches Energie- und Wassersperren vermeiden läuft. Er ist Teil der gleichnamigen Kampagne „Zappenduster!“, die durch Information, Beratung und schnelle Hilfsmaßnahmen Energie- und Wassersperren verhindern soll.
Schutzlos ohne Fonds
Das Verfahren ist zweistufig: Bei einer drohenden Sperre, zum Beispiel nach einer Mahnung, prüft der Versorger, ob eine Ratenzahlung oder Stundung möglich ist oder ob Leistungsbehörden wie das Jobcenter Rückstände übernehmen können.
Wenn das scheitert, wird der Fall mit Einverständnis der Betroffenen an die Verbraucherzentrale weitergeleitet. Dort gibt es eine umfassende Beratung zu gesetzlichen Ansprüchen wie Wohngeld und ALG II, zur Energiereduzierung, Budgetplanung und Schuldenbereinigung. Um nachhaltige Lösungen zu finden, ist eine Schuldenberatung integriert. Der Prozess diente bis Ende 2024 als Vorstufe zum Härtefallfonds, der finanzielle Zuschüsse gewährte, um Sperren abzuwenden, wenn Jobcenter oder Sozialamt die Übernahme der Forderung ablehnen.
Leonidakis kritisiert dies als unzureichend: „Die steigende Zahl der Energiesperren macht deutlich: Das bisherige Instrumentarium reicht nicht aus.“ Sie verweist auf ähnliche Fonds in anderen Städten, etwa in Berlin, wo Haushalte mit geringem Einkommen unterstützt werden. Anders als der Senat glaubt die Linksfraktion nicht, dass von einer Normalisierung der Situation auszugehen ist. Ohne Fonds seien immer mehr Menschen schutzlos ausgeliefert.
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