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Schutz von Sinti und RomaNeue Regierung verzichtet auf Antiziganismus-Beauftragten

Das Familienministerium besetzt die vakante Stelle des Antiziganismus-Beauftragten nicht nach. Ex-Amtsinhaber Daimagüler spricht von einem „Schlag ins Gesicht“.

Mehmet Daimagüler, erster und vorerst letzter Beauftragter der Regierung gegen Antiziganismus, 2024 bei einer Pressekonferenz Foto: dpa

Berlin taz/epd | Die Bundesregierung streicht de facto das Amt des Beauftragten für den Kampf gegen Antiziganismus. Die Stelle werde nicht nachbesetzt, sagte eine Sprecherin des Familienministeriums der taz. Mehmet Daimagüler, der das Amt bis vor wenigen Wochen innehatte, sagte der taz: „Eine Abschaffung des Amts wäre ein Schlag ins Gesicht für die Sinti und Roma in Deutschland.“

Die Geschäftsführerin der Sinti-Union Schleswig-Holstein, Kelly Laubinger, sprach gegenüber der taz von einem „politischen Skandal“ und einem „Offenbarungseid“ der neuen Bundesregierung. „Diese bewussten Entscheidungen zeugen vom fehlendem historischen Bewusstsein und fortlaufender Ignoranz gegenüber Sinti und Roma.“

Zwar gab es schon Sorge um das Amt, seit die schwarz-rote Koalition angekündigt hatte, die Zahl der Regierungsbeauftragten um die Hälfte zu streichen. Doch auf einer ersten Abschussliste war der Antiziganismusbeauftragte nicht aufgelistet. Sinti-und-Roma-Verbände atmeten zunächst auf. Jetzt aber nutzt das Familienministerium offenbar aus, dass der bisherige Amtsinhaber Daimagüler aus persönlichen Gründen zurückgetreten war, indem es die Stelle einfach auslaufen lässt. Das Thema werde im Ministerium dennoch weiter verankert bleiben, sagte eine Sprecherin.

Mindestens symbolisch ist die Quasiabschaffung eine deutliche Herabstufung des Themas. Antiziganismus ist in Deutschland weit verbreitet, gerade auch in Behörden und der Polizei. Wo andere offene Formen des Rassismus und Antisemitismus weitgehend ta­bui­siert sind, bleibt expliziter Hass auf Sinti und Roma oft ohne Konsequenzen. Sinti und Roma wurden während des Nationalsozialismus gezielt ermordet, insgesamt wurden europaweit rund 500.000 von den Deutschen und ihren Kollaborateuren umgebracht. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs blieben viele Täter in ihren Positionen.

25 Beauftragte gestrichen

Am Mittwoch hat die Bundesregierung eine Reihe von Beauftragten für andere Themen ernannt. Gleichzeitig teilte sie mit, dass 25 von vormals 43 Stellen von Beauftragten des Bunds wegfallen. Das im Koalitionsvertrag versprochene Ziel einer Halbierung der Stellen werde „übererfüllt“, sagte ein Sprecher nach der Kabinetts­sitzung. Welche Posten genau noch alle gestrichen wurden, blieb am Mittwoch allerdings offen. Ein Sprecher des neuen Ministe­riums für Digitalisierung und Staatsmodernisierung, das die Liste künftig führen wird, sagte, sie werde in den nächsten Tagen veröffentlicht.

Schon länger klar sind unter anderem die Streichung der Botschafterin für feministische Außenpolitik, der Sonderbeauftragten für internationale Klimapolitik und des Sonderbevollmächtigten für Migrationsabkommen. Eine Nachfolge gibt es aber für den Queer-Beauftragten Sven Lehmann. Das Amt heißt künftig „Beauftragte für Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt“ und wird von Sophie Koch (SPD) ausgefüllt, die seit 2024 Landtagsabgeordnete in Dresden ist und sich in dem Bundesland für das Thema engagierte.

Erhalten bleiben in der neuen Bundesregierung unter anderem auch der Ostbeauftragte, die Integrationsbeauftragte, der Beauftragte für Kultur und Medien und der Aussiedlerbeauftragte.

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8 Kommentare

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  • Zum Kotzen! Wird man ja wohl noch sagen dürfen.

  • Ist vielleicht ne blöde Frage, aber warum heißt es Antiziganismus, obwohl sie Sinti und Roma genannt werden wollen? Weil Ihre Gegner sie nicht Sinti und Roma nennen?

  • Die Stelle des Bundesbeauftragten für Antiziganismus ist nicht IRGENDEINE von 25 vergleichbaren Stellen, die von der Bundesregierung gestrichen werden.



    Ein bitterer Vorgeschmack auf das, wie man hierzulande zukünftig mit der Erinnerungskultur umzugehen gedenkt - AfD wirkt, auch ohne dass sie direkt an den Entscheidungsprozessen beteiligt ist?



    Beschämend, da braucht sich auch niemand mehr mit Lippenbekenntnissen gegen den Antisemitismus aus dem Fenster zu lehnen.



    Sinti und Roma haben sogar - wie die Juden mit dem Begriff der Shoa - einen eigenen Ausdruck für den Genozid der Nazis an ihrem Volk: Pojramos („Verschlingen“).



    Nach WK2 setzte sich die Diskriminierung und Stigmatisierung der europäischen Volksgruppe unvermindert fort, ihr Opferstatus (und damit verbundene Entschädigungsrechte) wurden kaum anerkannt. Erst spektakuläre Proteste von Sinti-Aktivisten - z.B. Hungerstreiks in KZ-Gedenkstätten - konnten Anfang der Achtzigerjahre das „lärmende“ Schweigen über dieses Unrecht an den Sinti und Roma durchbrechen.



    Die bürokratische Kaltherzigkeit einer solchen Abwicklung lässt einen also nur noch erschauern - ist der Tod immer noch ein Meister aus Deutschland?

  • Tja, Deutschland kann sich halt Opfer erster und zweiter Klasse leisten. So wie es selektiv nie wieder ist jetzt interpretieren kann. Wer kann der kann.

    • @fmraaynk:

      Sie sprechen eine bittere Wahrheit gelassen aus.

  • Ich könnte die Empörung verstehen, wenn irgendwann ein(e) Beauftragte(r) mal irgendetwas bewirkt hätte.



    Allerdings wird das leider nie der Fall sein, daher kommt das Land gut ohne Beauftragte aus.

    • @Heideblüte:

      Woher wollen Sie DAS denn wissen, dass hier NICHTS bewirkt wurde.

  • DOGE, aber mit Merz statt Musk,