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Schulsystem in SüdkoreaÜbermüdete Überflieger

Südkorea ist wie seine ostasiatischen Nachbarn Pisa-Spitzenreiter. Für die Schüler des Landes ist das rigide Bildungssystem eine Tortur.

Südkoreanische Schülerinnen gehen mit Büchern umher Foto: reuters

Peking taz | Die quirlige 10-Millionen-Einwohner-Metropole Seoul kommt an einem Vormittag im Jahr zum Stillstand: Als am 14. November rund 500.000 südkoreanische Oberschüler zur Universitätseingangsprüfung antraten, öffneten die staatlichen Firmen und Börsenmärkte eine Stunde verspätet – damit die Pendler nicht die U-Bahnen und Busse zum Schulweg verstopfen. Während des 35-minütigen Hörverständnistests in Englisch wurde gar der Flugraum landesweit gesperrt. Und bereits Tage zuvor sind die buddhistischen Tempel mit besorgten Müttern gefüllt, die mit Räucherstäbchen und Kerzen für die Zukunft ihrer Kinder beten. Der neunstündige Prüfungsmarathon ist schließlich für einen jeden Südkoreaner der wohl entscheidende Tag im Leben.

Wie in vielen ostasiatischen Ländern gilt auch im konfuzianisch geprägten Südkorea Bildung als Schlüssel zum gesellschaftlichen Aufstieg. Das spiegelt sich eindrucksvoll bei den am Dienstag vorgestellten Pisa-Ergebnissen wider: Die südkoreanischen Schüler landeten durchwegs in der Spitzengruppe, oft nur geschlagen von den asiatischen Stadtstaaten Singapur und Hongkong.

Im Vergleich mit Deutschland hat Südkorea in allen getesteten Disziplinen – Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften – im direkten Vergleich die Nase vorn. Ebenfalls ist das Bildungssystem der Koreaner vergleichsweise integrativ: Der soziale Hintergrund der Eltern spielt eine geringere Rolle verglichen mit dem OECD-Durchschnitt.

Büffeln am Ende der Oberstufe

Tatsächlich waren noch nach dem Koreakrieg (1950–53) großte Teile der Bevölkerung Analphabeten. Heute gibt es in keinem Land der Welt mehr Uni-Absolventen als in Südkorea. Dabei hat das rigide Bildungssystem auch seine Schattenseiten, die sich nicht zuletzt in einem gängigen Sprichwort der südkoreanischen Jugend widerspiegeln: Wenn du drei Stunden schläfst, wirst du den Test bestehen. Vier Stunden Schlaf – und du fällst durch. Die Oberschüler des Landes stemmen Arbeitstage wie Spitzenmanager.

Dabei findet der wichtigste Teil des Büffelns nicht im Schulgebäude statt. Je näher es an den entscheidenden Universitätseingangstest geht, desto desinteressierter und schläfriger werden die Schüler in den Klassenzimmern. Der nämlich wichtige Teil beginnt nachmittags in den Nachhilfeinstituten, „Hagwon“ genannt. Dort wird effizient und gezielt für die Prüfung am Ende der Oberschule gebüffelt.

Die massiven Kosten außerschulischer Bildung sind längst zum gesellschaftlichen Streitthema geworden. Seit Jahren versucht das Bildungsministerium in Seoul den Nachhilfesektor zu regulieren, um die Chancengleichheit für Kinder aus weniger privilegierten Haushalten zu gewährleisten. Bislang jedoch ist der Widerstand aufgebrachter Eltern zu stark. Der vielleicht bislang größte Erfolg: Seit einigen Jahren müssen die südkoreanischen „Hagwons“ um 22 Uhr schließen, um den Kindern genug Schlaf zu gewährleisten.

Ab 2025 gibt es ein Credit-System

Am 7. November hat das Bildungsministerium in Seoul nun rund 80 Elite-Schulen abgeschafft. „Ich nehme die Sorgen der Öffentlichkeit ernst, dass die Ungleichheit im Schulsystem auch zur Ungleichheit zwischen den gesellschaftlichen Schichten führt“, begründete Ministerin Yoo Eun Hae die Maßnahme.

Gleichmacherei bedeutet das jedoch nicht: Ab 2025 wird in südkoreanischen Oberschulen ein sogenanntes Credit-System nach dem Vorbild von Universitäten eingeführt: Dann können die Schüler weitestgehend selber bestimmen, welche Kurse sie belegen wollen.

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9 Kommentare

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  • &!Däh&Zisch - Mailtütenfrisch -

    “ Alles Wissen findet frauman im Netz. Im Kopf kann es auch ganz hilfreich sein. Büschen watt wissen hat der Kreativität noch nie geschadet... Wischen auf dem Flachbildschirm - Mensch als Bio-App seines Smartphones. Haptik und Synaptik. Jand trainiert das Hirn.“

    & Däh! vs - Der Pisa-Papst - Andreas Schleicher - der nämlich meint so:



    “ 2021 soll dann das kreative Denken dran sein, 2024 Fremdsprachen. Vor wenigen Tagen bekundete Schleicher vor JournalistInnen zudem Interesse, Pisa auch an die Kitas zu bringen. Von Schleicher wird künftig wohl noch einiges zu hören sein.

    Worum es beim Lernen in der Schule also gehen muss, kann er heute schon beantworten: jedenfalls „nicht mehr darum, was wir wissen“, sagte Schleicher kürzlich. Das wisse Google. Sondern um Kreativität. Deutsche SchülerInnen hingegen seien dort gut, wo sie Fachwissen wiedergeben ­müssten.“

    unterm——



    “ Bildung im internationalen Vergleich



    Der Pisa-Papst



    Dienstag werden die Ergebnisse der neuen Pisa-Studie bekannt. Erfunden hat sie Andreas Schleicher, ein scharfer Kritiker des deutschen Bildungssystems.



    taz.de/Bildung-im-...ergleich/!5641534/

    kurz - Das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.



    Aber - daß die offensichtliche Paukschule ala Südkorea - im Pisa-Test (mit) an der Spitze liegt. Spricht gegen den Test - ganz iS von Heinz von Foerster.



    Vor allem aber gegen dessen strukturelle Wirksamkeit - indem ja wohl ganz offensichtlich der Drive Richtung - der nunmehr von Andreas Schleicher zu recht beschworenen Kreativität - auf der Strecke bleibt.



    Jedenfalls ersichtlich bisher gerade nicht zielführend abgegriffen wird.

    Positiv formuliert - ist da noch sehr viel Luft nach oben.



    Negativ & strukturell formuliert wird Rückschrittliches dadurch konserviert!



    &



    Das - sorry - kann nicht im Sinne des Erfinders sein. Im wahrsten Sinne des Wortes. •

  • Resümee - “Tests test tests.“ •

    Heinz von Foerster hat recht.



    www.facebook.com/1...s/190316921039527/



    &



    userpages.uni-kobl...ismus/lerntheo.htm



    &



    Heinz von Foerster - KybernEthik -

    kurz - Wenn sojet Südkorea unter den Spitzenreitern ist - Ist Pisa halt (nur) ein weiterer Test. (s.o.)

    Na Mahlzeit

  • Die Schüler in Korea sitzen tatsächlich bis wenigstens zehn Uhr nachts am Schreibtisch, trotz eines langen Schultages.



    Erst nach der Aufnahme an einer Universität fängt für sie ein besserer Lebensabschnitt an. Das Ranking der Universitäten legt auch fest, auf welcher Wohlstandsebene sie später landen. Nur von wenigen Unis geht es an die oberste Spitze. Die Seoul National Universität oder die EWA Frauenuniversität besetzen gerne Ministeraemter



    Professoren anHochschulenn und die Vorstände der Grosskonzerne.

  • In einem Land wie den USA genügen rund 25 % gut, besser und an elitären Bildungsstätten ausgebildete Menschen dafür aus, den Wirtschaftskreislauf am Leben zu halten und in Fragen Innovation die Nase immer mit ganz vorn zu haben. Die restlichen 75 Prozent halten den Konsumkreislauf aufrecht.



    Warum sollte das bei uns in Deutschland nicht auch funktionieren? Wir arbeiten dran.



    Die Digitalisierung wird uns dabei unterstützen. Smilies, Buttons, Sprachbefehle, bald Bedienungsanleitungen in Comic-Form (Gibt´s beim US-Militär z.B. für Geschützbedienungen schon seit mehr als 40 Jahren), benötigen keine höhere Bildung.



    KI und Algorithmen werden von Wenigen kreiert und überwacht. Die Masse schwimmt mit.

    • 0G
      08439 (Profil gelöscht)
      @Trabantus:

      Ist das nicht schon längst Tatsache? Die allermeisten Menschen in D sind m.E. Konsumbüttel.

      • @08439 (Profil gelöscht):

        Ich glaube zwar zu verstehen, was Sie meinen, doch ist der Begriff "Büttel", ursprünglich für Gerichtsdiener stehend, m.E. fehl am Platz.



        Konsumsklave träfe es eher. Doch auch in diesem Sinne meinte ich das aufrecht erhalten des Konsumkreislaufes nicht. Selbst wenn man nachhaltig konsumiert, konsumiert man.

        • 0G
          08439 (Profil gelöscht)
          @Trabantus:

          DUDEN, als eine der drei Bedeutungen: "jemand, der diensteifrig das ausführt, was eine Obrigkeit, ein Vorgesetzter [von ihm] verlangt".

          • @08439 (Profil gelöscht):

            Und wer verlangt?

            • 0G
              08439 (Profil gelöscht)
              @Trabantus:

              Die Obrigkeit im eigenen Stübchen, die ein Abbild der gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse ist, etwa im Sinne "repressiver Entsublimierung".