Präsidentschaftswahl in Südkorea: Eliten am Pranger

90 Prozent wollen am Dienstag wählen gehen. Favorit ist Oppositionspolitiker Moon Jae In. Er steht für den Wandel, den viele herbeisehnen.

Kandidat Moon Jae In steht inmitten einer Menschenmenge und hebt beide Hände, die Daumen in die Höhe gestreckt

Moon Jae In von der Demokratischen Partei lässt sich von seinen Anhängern schon feiern Foto: ap

SEOUL taz | Claire Ham weiß aus eigener Erfahrung, wie ernst die Koreaner ihre Präsidentschaftswahl nehmen. Die Mittdreißigerin sitzt in einem Café am Seouler Gwanghwamun-Platz, nur fünf Gehminuten vom Präsidentensitz entfernt. Um ihren Hals trägt sie die gelbe Schleife – ein Erkennungszeichen der linken Zivilgesellschaft. „Wenn Koreaner sich für einen Kandidaten entschieden haben, dann unterstützen sie ihn meist mit ganzem Herzen und verlieren dabei jegliche kritische Distanz“, sagt Ham, die sich als Aktivistin versteht.

Die Neuwahl des Staatsoberhauptes am Dienstag lässt niemanden in Südkorea kalt. Der Regierungsskandal rund um Expräsidentin Park Geun Hye, die mit Hilfe einer Jugendfreundin Millionen an öffentlichen Geldern veruntreute, hat große Teile des Volkes zu Demonstrationen selbst bei Minustemperaturen bewegt. Mittlerweile sitzt Park in Untersuchungshaft, genau wie viele ihrer Berater und der mächtigste Manager des Landes, Samsung-Thronfolger Lee Jae Yong. Die Beteiligung an dieser schicksalsträchtigen Wahl könnte 90 Prozent erreichen. Südkorea hat sich das Recht auf freie Wahlen unter der Herrschaft von autoritären Militärdiktatoren blutig erkämpft. Demokratie wird nicht als Selbstverständlichkeit wahrgenommen, sondern als Privileg, das verteidigt werden muss.

Für Ahn Sun Ho bedeutet dies, trotz gleißender Sonne und alarmierender Feinstaubwerte auf den Gwanghwamun-Platz zu ziehen, wo sie Flyer verteilt und mit Passanten spricht. Mitten im Seouler Stadtzentrum ist ein Forum der Zivilgesellschaft entstanden, auf dem sich all diejenigen politisches Gehör verschaffen können, die im öffentlichen Diskurs ignoriert werden. An diesem Nachmittag lauschen mehrere Dutzend Interessierte auf Plastikhockern einem Redner im Seniorenalter, der über die Implikationen des neu stationierten US-Raketenabwehrsystems THAAD doziert. Danach stimmt eine Studentengruppe ein Lied an, um an das Schicksal der 250 Oberschüler zu erinnern, die vor über drei Jahren mit der Unglücksfähre Sewol im Westmeer ertranken.

Das nationale Trauma hat auch Frau Ahn politisiert. Im Laufe der Untersuchungen kamen politische Verstrickungen ans Tageslicht . So ließen die korrupten Behörden die Fähre mit der doppelten Frachtmenge losfahren. Die damalige Präsidentin Park stellte sich aktiv gegen eine restlose Aufklärung des Falls und weigerte sich sogar, die Angehörigen der Opfer zu treffen.

Gegen Korruption und Machtmissbrauch

„Unser erstes Wahlanliegen ist es, die wahren Schuldigen hinter der Tragödie zu finden und zu bestrafen“, sagt Ahn. Sie wird den Oppositionspolitiker Moon Jae In wählen: „Natürlich kann er nicht alle zufrieden stellen, aber er vertritt 80 Prozent meiner Anliegen“, sagt sie. Der 64-jährige Moon von der linksgerichteten Minjoo-Partei gilt als haushoher Favorit. Er symbolisiert den politischen Wandel, den viele herbeisehnen: Der Menschenrechtsaktivist tritt für eine Annäherung an Nordkorea ein, er will den öffentlichen Sektor ausbauen sowie den grassierenden Nepotismus zwischen den Mischkonzernen und der politischen Elite beenden.

Claire Ham, Filmemacherin

„Viele junge Leute haben wie ich das Gefühl, das Land verlassen zu müssen“

„Geld zählt in unserer Gesellschaft mehr als menschliche Würde“, meint auch Aktivistin Ham. Ihre wichtigsten Anliegen sind Arbeitnehmerrechte, freie Bildung und der Ausbau des Sozialstaats. „Von vielen konservativen werde ich dafür als linke Kommunistin beschimpft, die nach Nordkorea verschwinden soll“, sagt Ham. Ihre persönliche Geschichte steht sinnbildlich für die tiefe Spaltung zwischen jung und alt in Südkorea. „Erst nach meinem Uniabschluss habe ich gemerkt, dass ich als Frau, die aus einer armen Familie stammt, in dieser Gesellschaft niemals eine faire Chancen haben werde“, sagt Ham. Sie entschied sich dafür, ihre Heimat zu verlassen. Heute lebt sie als Filmemacherin in München und kommt nur zu Besuch nach Südkorea.

Während die ältere Generation vor allem auf die wirtschaftlichen Errungenschaften stolz ist, nennt die Jugend ihr Heimatland „Hell Chosun“ – in Anlehnung an das alte Königreich Chosun, das von Korruption und einem rigiden Kastensystem geprägt war.

In einer jüngsten Umfrage des Pew Research Centres unter 44 Ländern war Südkorea das einzige Land, in dem die meisten Leute glaubten, dass die richtigen Beziehungen über wirtschaftlichen Aufstieg entscheiden. Derzeit sind 3,5 Millionen Universitätsabsolventen arbeitslos oder haben die Jobsuche aufgegeben. „Viele junge Leute haben wie ich das Gefühl, dass sie das Land verlassen müssen, um glücklich zu sein“, sagt Filmemacherin Claire Ham.

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