Schulsenator Rabe zu Zentral-Prüfungen: „Wir dürfen beim Abitur nicht schummeln“
Als einziges Land lies Hamburg in diesem Jahr ein rein externes Mathe-Abitur schreiben. Das Ergebnis sei „keine Katastrophe“, sagt Schulsenator Ties Rabe (SPD). Bei Neuntklässler-Studien stehe die Stadt sogar vorn
Herr Rabe, habe Sie als Schüler mal gestreikt?
Ties Rabe: Nein, erst als Student.
Beim G20-Gipfel streikten Schüler für selbstbestimmtes Lernen, gegen Druck. Verstehen Sie das?
Ich kenne Klagen über großen Druck eher aus südlichen Bundesländern.
56, SPD, Deutsch- und Geschichtslehrer, ist seit 2011 Hamburger Schulsenator und seit 2015 Koordinator der SPD-geführten Länder in der Bildungspolitik.
Bei uns gibt es keinen Druck?
Schule muss den Spagat hinbekommen zwischen dem Ziel der Entfaltung der Persönlichkeit und der Vorbereitung auf das Leben in einer Leistungsgesellschaft. Aus Schülern werden ja keine Eremiten, sie müssen in dieser Welt bestehen können. Diesen Spagat bekommen wir gut hin.
In der ersten Mathe-Zentralprüfung hat jeder dritte Hamburger Abiturient gerade eine 5 oder 6 kassiert, obwohl sie in Zusatz-Stunden büffelten. Das ist kein Leistungsdruck?
Wir können uns in Hamburg kein Abitur light leisten und müssen die bundesweiten Anforderungen ernst nehmen. Und es stimmt: In Mathematik müssen wir besser werden. Aber 30 Prozent der Schüler haben in Mathe auch eine 1 oder 2 geschrieben. In Englisch haben wir einen Schnitt von 2,7 in Deutsch von 3,0, in Mathematik 3,47. Mathe muss besser werden. Aber Schleswig-Holstein hat in Mathe auch 3,4. Hamburgs Ergebnis ist keine Katastrophe. Wenn ich die drei Kernfächer summiere, hat Hamburg genauso abgeschnitten wie Schleswig-Holstein.
Kein anderes Land nahm gleich alle Aufgaben aus dem Zentral-Pool. Waren Sie zu ehrgeizig?
Seit meiner Schulzeit spricht man schlecht über das Hamburger Abitur. Schon damals hieß es, hier bekommt man es nachgeworfen. Das ist gefährlich für Hamburgs Schüler, etwa wenn sie sich bei Firmen bewerben. Deshalb dürfen wir beim Abitur nicht schummeln.
Seit Sie Senator sind, wuchs die Zahl der Abiturienten von 7.000 auf 10.000. Hat es Sie überrascht?
Nein. Das ist eine bundesweite Entwicklung, die besonders in Großstädten ab dem Jahr 2000 begann. Eltern und Schüler wünschen das. Und die heutige Berufswelt bietet Haupt- und Realschülern weniger Chancen als in den Achtzigern. Deshalb ermöglichen wir, dass jetzt alle Schulen das Abitur anbieten und Bildungswege nicht mehr in eine Sackgasse führen wie die früheren Haupt- oder Realschulen.
Die SPD versprach 2011, dass jeder Jugendliche, der kein Abitur macht, eine Ausbildung erhält. Das klappt nicht.
Wir haben eine Reihe von Reformen auf den Weg gebracht. Der Erfolg: Vor sechs Jahren gingen 25 Prozent von der Schule direkt in Ausbildung, ein Jahr später hatten 40 Prozent einen Ausbildungsplatz. Heute sind es 35 Prozent direkt nach der Schule und 66 Prozent ein Jahr danach. Trotzdem bleibt etwas zu tun. Unser Problem ist, dass junge Menschen nach der Schule nicht innerlich vorbereitet sind für diesen Sprung. Im Handwerk und anderen Berufsfeldern bleiben Plätze unbesetzt.
Die Nachbarländer gehen jetzt zurück zum neunjährigen Abitur. Und Hamburg?
Wir hatten diese Diskussion und sie ist entschieden. Eine Volksinitiative ist gescheitert. Drei Viertel der Gymnasien waren dagegen.
Ein Zankapfel ist die Gymnasialempfehlung schon in Klasse 4. Was halten Sie von der Online-Petition, sie abzuschaffen.
Nichts. Die Empfehlung ist sinnvoll. Sie zwingt die Eltern zu gar nichts. Aber sie gibt ihnen einen guten Rat. Schafft man sie ab, werden sich noch mehr Kinder am Gymnasium anmelden und noch mehr werden scheitern.
Stadtteilschulen stemmen allein die Inklusion. Nun sammelte die Volksinitiative „Gute Inklusion“ für bessere Ausstattung 26.000 Unterschriften. Verhandeln Sie?
Ob es Verhandlungen gibt, kann ich nicht sagen. Gespräche gibt es mit Sicherheit, die gibt es mit jeder Initiative. Was oft vergessen wird: Gute Inklusion ist nicht nur eine Frage der Ressourcen, sondern eine Frage guter Schulorganisation und guter Pädagogik. Hier ist noch viel zu tun.
Die Initiative fordert pro Inklusionskind drei Lehrerwochenstunden, so wie es mal in der Planung stand. Sehen Sie Einigungspotential?
Man kann sich immer einigen, wenn beide Seiten sich bewegen. Wenn es um Stellen geht, will ich aber auch deutlich sagen: Es gibt keine Regierung in den letzten 30 Jahren, die so viel zusätzliches Personal einstellte wie wir seit Beginn meiner Amtszeit. Wir haben heute 2.400 mehr Lehrer und Erzieher an den Schulen. 950 wären aber nur nötig gewesen, um steigende Schülerzahlen abzufangen. Über 1.400 sind dazu gekommen, nur um die Qualität zu verbessern. Ich finde es vor diesem Hintergrund schwierig, so zu tun, als ob in noch mehr Personal die Lösung liegt. Zumal Hamburg mit Anstand die beste Lehrer-Schüler-Relation hat. Wenn wir schon an der Spitze sind, haben wir eigentlich keinen Nachholbedarf.
Aber es gibt Schüler, die herausfallen und ohne Abschluss die Schule verlassen.
In der Tat. Da müssen wir noch besser werden. Deren Zahl ist zwar von ehemals zehn Prozent auf sechs Prozent gesunken und stagniert. Wir müssen berücksichtigen, dass über 6 Prozent aller Schüler sonderpädagogischen Förderbedarf haben. Und wir dürfen nicht vergessen, dass die Hälfte der Schulabbrecher in den drei Jahren nach der Schule noch ihren Schulabschluss schafft, sodass letztlich nur noch drei Prozent keinen Schulabschluss haben. Doch die weitere Verringerung wird eher schwierig.
Warum?
Weil wir künftig mit vielen Flüchtlingen zu tun haben, die meist in ihrer Heimat kaum zur Schule gingen und kaum alles nachholen können. Deswegen haben wir festgelegt: Wer als Flüchtling keinen Schulabschluss geschafft hat, der geht auf jeden Fall weiter zur Berufsschule. Bisher war dieses Recht nur jenen vorbehalten, die beim Verlassen der Schule noch nicht 18 Jahre alt waren.
Sie sind sechs Jahre im Amt. Was haben Sie noch vor?
Zunächst mal haben wir viel erreicht. Hamburgs Neuntklässler lagen bei der jüngsten Ländervergleichsstudie in Deutsch und Englisch auf Platz drei der westdeutschen Bundesländer, das ist beachtlich. Vor uns liegen nur noch Schleswig-Holstein und Bayern. Wenn wir die ostdeutschen Länder mit einbeziehen sind wir auf Platz 5, die anderen beiden Stadtstaaten Berlin und Bremen sind auf Platz 15 und 16.Wir haben flächendeckend Ganztagsschulen geschaffen und Milliarden in den Schulbau investiert. Und wir haben in kurzer Zeit 10.000 Kinder mit Fluchthintergrund in den Schulen aufgenommen – das ist keine kleine Leistung.
Und was haben Sie noch vor?
Wir wollen uns nicht ausruhen: Die Leistung muss noch besser werden, gerade in Mathematik, aber auch in der Rechtschreibung. Wir wollen die Zahl der Schulabbrecher weiter senken und erreichen, dass mehr Schüler nach der Schule direkt einen Ausbildungsplatz finden. Wir wollen die Stadtteilschule weiter stärken und die Inklusion stetig verbessern.
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