Schulöffnungen nach Corona: Vom „Geht so“ zum „Geht gar nicht“
Die Kultusminister planen die Öffnung der Schulen. Wie dort der Abstand eingehalten werden soll, ist unklar.
D ie Kultusministerkonferenz hat wie versprochen ein Konzept zur Öffnung der Schulen vorgelegt. Es ist erwartungsgemäß kein detailliert ausgearbeiteter Fahrplan mit konkreten Daten und präzisem Streckenverlauf. Das kann es auch nicht sein, da die Öffnung der Schulen wie auch die Lockerungen in der Gesellschaft unter Vorbehalt der weiteren Entwicklung der Ansteckungsraten und der Pandemie insgesamt stehen.
Die Politik – das haben die MinisterInnen und die Kanzlerin – oft genug betont, fährt im Nebel der Pandemie auf Sicht. Dementsprechend tasten sich auch die Kultusministerinnen vorsichtig vor. Im Beschluss zur Schulöffnung, den sie am Dienstag verabschiedet haben, ist viel von „sollen“ die Rede.
Dass die Schulen auf unbestimmte Zeit nicht zum regulären Schulbetrieb zurückkehren werden, steht jedenfalls fest. Aber es soll, so heißt es im Beschluss der Kultusministerkonferenz, KMK, „bis zu den Sommerferien möglichst jede Schülerin und jeder Schüler zeitweise die Schule besuchen“. Abhängig vom Infektionsgeschehen wohlgemerkt. Dabei sollten „pädagogische Inhalte zum Lernen zu Hause mit dem Präsenzunterricht inhaltlich verbunden werden“.
SchülerInnen mit Vorerkrankungen sollten von der Teilnahme am Präsenzunterricht befreit werden. Löblich ist, dass die KultusministerInnen sich auch der größer werdenden Kluft zwischen SchülerInnen aus privilegierten und benachteiligten Haushalten bewusst sind und empfehlen, dass Letztere „gezielt pädagogische Präsenzangebote an den Schulen erhalten“.
Klar ist: Jede Schule muss einen Hygieneplan haben, regelmäßiges Händewaschen und ein Sicherheitsabstand von mindestens 1,50 Metern untereinander sind unabdingbare Voraussetzungen, damit der Schulbetrieb wieder aufgenommen werden kann. Das Tragen von Masken wird empfohlen, ist aber kein Muss.
Das stößt auf Kritik seitens des Lehrerverbands, es dürfte aber gerade in den ersten und zweiten Klassen schwer durchzusetzen sein. Erst recht nach den Sommerferien, wenn die neuen SchulanfängerInnen eingeschult werden, für die nicht nur die Schule eine ganz neue, ungewohnte Umgebung ist, sondern die coronabedingt auch seit mehreren Monaten zu Hause gewesen sein werden. Wenn sie an ihrem ersten Schultag einer unbekannten Erwachsenen mit Mund-Nasen-Schutz gegenüberstehen, werden sie wohl erst recht davon überzeugt sein, dass Schule zum Fürchten ist.
Weitere Schritte haben die KultusministerInnen ebenfalls als Soll-Empfehlung formuliert. So sollen alle Prüfungen stattfinden – wobei Berlin bereits ausgeschert ist und die schriftlichen Prüfungen für den Mittleren Schulabschluss nach Klasse 10 abgesagt hat.
Dass die KultusministerInnen so vorsichtig agieren, hängt aber nicht nur mit dem unklaren Infektionsgeschehen zusammen. Sondern es ist auch ein Eingeständnis, dass viele Schulen überhaupt nicht darauf vorbereitet sind, Unterricht unter den gebotenen Hygienevorschriften für eine größere Zahl von Schülern anzubieten. Es mangelt an Personal, an Räumen und an Ausstattung. Die Pandemie und ihre Bewältigung legen die politischen Versäumnisse der letzten Jahrzehnte schonungslos offen.
Jahrelang haben LehrerInnen, Eltern und SchülerInnen auf zu kleine Räume, zu große Klassen und den Mangel an Personal in den Schulen hingewiesen. Noch in den ersten Wochen der Corona-Epidemie haben Elterninitiativen Unterschriften für saubere Schultoiletten und Räume ohne Staubflocken gesammelt. Noch vor wenigen Monaten wurden all diese Probleme mit „Geht doch irgendwie“ ausgeblendet, nun offenbaren sie sich als pandemische „Geht so gar nicht“-Herausforderungen. Es rächt sich, dass Investitionen in Schulen immer zögernd, immer halbherzig und immer erst nach langem Leiden getätigt werden.
Um die SchülerInnen nun gemäß den Hygienevorschriften zu beschulen, müssen Klassen geteilt und auf verschiedene Räume verteilt werden. Sobald die ersten Jahrgänge stufenweise ab nächster Woche starten, werden schnell alle Räume belegt und alle verfügbaren LehrerInnen ausgelastet sein. Denn wer, wenn nicht sie, kann sicherstellen, so die Kultusministerinnen, „dass die Sitzabstände dauerhaft ausreichend groß sind“. Nicht zu vergessen die Pausen, wo die LehrerInnen dann zur Security mutieren, die jede Ansammlung kontaktfreudiger Teenager zerstreuen müssen.
Zumal längst nicht alle LehrerInnen in der Schule einsetzbar sind: Sofern sie zur Risikogruppe gehören, können sie nur auf freiwilliger Basis vor Ort eingesetzt werden. Jede zweite Lehrkraft ist über 50 Jahre, 8 Prozent sind gar über 60 Jahre alt, in manchen Bundesländern noch deutlich mehr. Die meisten von ihnen sind sicher engagierte und erfahrene LehrerInnen. Aber es ist nicht die Generation, die das digitale Lernen umarmt und für die Lernplattformen das Parkett sind, auf dem sie sich trittfest bewegt. Genau darauf aber setzt die KMK: „Eine Kombination aus Unterricht an der Schule und eigenständigem Arbeiten zu Hause durch vorbereitete und über digitale wie analoge Medien vermittelte Lern- und Übungsinhalte ist möglich.“
Wie die Schulen unter solchen Voraussetzungen dafür sorgen sollen, dass die, wie die KultusministerInnen eingestehen, „stets erhebliche Zahl der SchülerInnen, die zu Hause lernt“, „umfassend unterstützt und gefördert werden soll“, ist schleierhaft. Augenscheinlich auch den PolitikerInnen, sonst hätten sie ihren Plan konkreter formuliert.
Aber vielleicht birgt diese Krise ja auch eine Chance: So wie derzeit über eine bessere Bezahlung systemrelevanter Berufe und ein krisenfesteres Gesundheitssystem debattiert wird, wäre es auch an der Zeit, substanzielle und nachhaltige Investitionen in die systemrelevantesten Institutionen der Gesellschaft zu fordern: die Kitas und die Schulen.
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