Schulentwicklungsplan soll überarbeitet werden: Wettlauf der Schulschließer
In Schöneberg soll eine Grundschule geschlossen werden, weil die Schülerzahl sinkt. Kaum macht der Bildungsstadtrat einen Vorschlag, stehen die Eltern auf der Matte. Nun soll der Schulentwicklungsplan noch mal überarbeitet werden
Es erinnert ein wenig an das Märchen vom Hasen und dem Igel, was derzeit in Tempelhof-Schöneberg passiert: Kaum erreicht der schnelle Hase im Wettlauf der beiden Tiere einen Zielpunkt, hebt dort der stachelige Igel sein Köpfchen und ruft: "Ich bin schon da!"
Der Hase wäre in dem Fall der bezirkliche Schulstadtrat, Dieter Hapel von der CDU. Er will eine Grundschule schließen. Doch kaum hat er eine erwählt, heben dort die Eltern, die Igel also, die Köpfe, und rufen laut und bislang sehr nachdrücklich: "Nö!" Hintergrund des Wettlaufs ist der Schulentwicklungsplan des Bezirks. Der prognostiziert, dass es weniger Schüler geben wird: Von 2.250 in diesem Jahr soll die Zahl der ErstklässlerInnen bis 2017 auf 2.140 sinken. 110 Kinder - das sind gut vier Schulklassen. Und wie alle Bezirke, die für den Erhalt und die Pflege der Schulgebäude zuständig sind, bekommt auch Tempelhof-Schöneberg das Geld vom Senat nicht nach Raum- oder Quadratmeterzahlen, sondern nach Anzahl der SchülerInnen zugeteilt: Weniger Kinder gleich weniger Schulen, so lautet die einfache Rechnung.
Mit einem Haushaltsdefizit von etwa 9 Millionen Euro hat der Stadtrat bereits zu kämpfen, etwa 3,6 Millionen muss er derzeit bereits zusätzlich einsparen. Das weitere Sinken der Schülerzahlen lässt sein Budget noch mehr abschmelzen. "Wir müssen uns bei der Schulentwicklung nach dem Raumbedarfsplan des Senats richten", sagt Hapel. Schulen schließen wolle er ja auch gar nicht. Tatsächlich sieht der von seinem Amt ausgearbeitete Schulentwicklungsplan mehrere Vorschläge für die Zusammenlegung von Grundschulen vor.
Für die Eltern sind diese Alternativangebote ein Beleg für das, was sie dem Stadtrat vorwerfen. "Konzeptlos", nennt etwa Sabine Kolloge, Elternvertreterin der Grundschule am Barbarossaplatz, die Planung Hapels: "Es hat eine gewisse Beliebigkeit, wie Hapel mal diese, mal jene Schulen fusionieren will." Ein pädagogisches Konzept sei nicht zu erkennen: "Dabei müsste man doch vorher mal nachschauen, welche Schule gute Arbeit macht und bei den Eltern beliebt und nachgefragt ist", so Kolloge.
Die Barbarossa-Schule war eine der ersten auf der Schließliste des Bildungsstadtrats. Sie sollte mit der Neumark-Grundschule fusionieren. Die liegt zwar nur einen knappen Kilometer entfernt, aber auf dem Weg dorthin gilt es, zwei große und verkehrsreiche Hauptstraßen zu queren. Nicht nur das war für viele Eltern ein Argument gegen die Fusion. Die Barbarossa-Schule hat mit weniger als 40 Prozent nach der Werbellinsee-Grundschule den zweitniedrigsten Migrantenanteil im Norden des Bezirks. An der Neumarkschule hingegen liegt er bei fast 95 Prozent.
Die Eltern reagierten ungewöhnlich: Statt auf andere Schulen, die man schließen könnte, zu verweisen und den eigenen Schulhof so in Sicherheit zur bringen, schlossen sich mehr als zehn Schulen des Bezirks zusammen, um gemeinsam gegen den Plan zu protestieren.
Selbst die Neumarkschule, deren Bestand durch die Fusion gesichert wäre, machte mit. "Es hat ja keinen Sinn, Eltern an eine Schule zu zwingen, zu der sie ihre Kinder nicht schicken wollen", meint Neumark-Elternvertreter Moussa Issa. Auch Schulleiter Ulf Schröder war gegen die Fusion: "Unsere Schule ist hervorragend im Kiez vernetzt", sagt er. "Das können wir nicht mehr leisten, wenn der Einzugsbereich unserer Schüler so vergrößert wird."
Mit einem Protestmarsch konnten die Eltern im November zunächst die geplante Fusion von Barbarossa- und Neumarkschule stoppen. Gelöst ist das Problem des Bezirks damit aber nicht. "Wenn die Schülerprognose in der Schulentwicklungsplanung stimmt, müssen Klassen geschlossen werden", sagt die grüne Bezirkspolitikerin Martina Rade. Sie ist die schulpolitische Sprecherin ihrer Fraktion in der BVV und Vorsitzende des Tempelhof-Schöneberger Schulausschusses. Die Kritik der Eltern an Stadtrat Hapels Plänen teilt die Grüne dennoch: "Man muss sich dafür jede Schule einzeln anschauen und etwa sehen, welche sinkende Anmeldezahlen hat, wo Familien mit Kindern abwandern."
Die Schließungspläne sind folglich nicht vom Tisch. Zur BVV-Sitzung am Mittwoch versammelten sich die Eltern deshalb erneut. Das Thema Schulentwicklungsplan stand auf der Tagesordnung - ein Weihnachtsmann verteilte Ruten an die Bezirksverordneten, um damit daran zu erinnern, dass die Wähler bei unpopulären Beschlüssen entsprechende Konsequenzen ziehen werden.
Die Ruten seien "gut angenommen worden", sagt Doris Dreißig-Jovanovic. Sie ist Elternvertreterin der Grundschule im Taunusviertel, die sich im Zuge des Streits über die Schulentwicklungsplanung auch schon erfolgreich gegen eine Schließungsdrohung gewehrt hat. Versprechen seien den Eltern zwar nicht gemacht worden, angekündigt sei aber ein überarbeiteter Schulentwicklungsplan für den Januar: "Das ist reinstes Kabarett", sagt Dreißig-Jovanovic. Denn die Anmeldefristen für die Grundschulen seien längst vorbei: "Da werden dann Eltern im Januar erfahren, dass die Schule, an der sie ihr Kind angemeldet haben, geschlossen werden soll." Für die Tempelhof-Schöneberger Eltern bleibt auch nach den Weihnachtsferien viel zu tun.
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