piwik no script img

Schule für Mundharmonika in BerlinKlein und kräftig

Die Mundharmonika ist die Leidenschaft von Marko Jovanović, mit einem Festival wollte er das Instrument ans Licht holen. Dann kam Corona.

Der Mundharmonikaspieler und -lehrer Marko Jovanović in seiner Kreuzberger Wohnung Foto: Anja Weber

Berlin taz | Anlässlich des Todes von Ennio Morricone, dem großen Genie der Filmmusik, erinnerte man sich jüngst natürlich auch noch einmal an dessen wohl berühmteste Melodie, an „The man with the harmonica“ aus Sergio Leones Spaghetti-Western „Once upon a time in the West“, der hierzulande als „Spiel mir das Lied vom Tod“ zu sehen ist. Zentral in dem Stück: diese dramatischen, spannungsgeladenen Klänge der Mundharmonika. Wahrscheinlich ist es der berühmteste Auftritt, den dieses kleine Blasinstrument je hatte.

Zu zeigen, was sich mit der Mundharmonika sonst noch so anstellen lässt, das ist die Passion von Marko Jovanović und Julia Thurau. Die beiden betreiben die Harmonica School Berlin, in der das Spielen auf der Mundharmonika gelehrt wird. Er als Lehrer, sie kümmert sich um die Administration. Und noch bis vor ein paar Tagen planten sie ein großes, dreitägiges Festival, das Harmonica FEN Festival, das Ende September in der Kulturbrauerei stattfinden sollte.

Super Idee, das Line-up stand bereits, Mundharmonikaspieler samt ihren Bands wollten aus aller Welt anreisen, gar aus Buenos Aires und Taiwan. Doch bekanntlich leben wir gerade in Zeiten, in denen die Pandemie so manchem Festivalveranstalter einen Strich durch die Rechnung macht. Und so kam es nun auch in diesem Fall. Die Veranstaltung, bei der Mundharmonikaspieler ihr Instrument nach allen Regeln der Kunst mit Zunge, Mund und Gaumen bearbeiten und wo die Aerosole freidrehen, war nun doch nicht durchzuziehen. Immer mehr Musiker mussten wegen der unsicheren Lage absagen. Das Festival drohte, nicht mehr so zu werden, wie man sich das vorgestellt hatte.

Ungefähr zwei Jahre war man mit der Planung beschäftigt, und nun ist eben alles erst einmal wieder auf null gestellt. In zwei Jahren, dann auch wieder im September, will man es noch einmal versuchen mit dem Festival.

Neu denken

Man trifft sich mit den beiden verhinderten Festivalmachern in Marko Jovanovićs Wohnung in der Bergmannstraße. Die Adresse ist auch der aktuelle Standort der Harmonica School. Bis vor Kurzem war diese noch in einem Gewerberaum ums Eck untergebracht. Der Mietvertrag wurde nicht verlängert, eine neue Örtlichkeit war eigentlich gefunden, doch noch war nicht alles unter Dach und Fach. Und dann kam Corona.

So klein das Instrument in der Hand, man kann es kaum sehen Foto: Anja Weber

„Können wir überhaupt weitermachen mit der Harmonica School und sollen wir für diese trotz der Unsicherheit extra Gewerberäume anmieten?“, habe man sich gefragt, so Jovanović, der die Schule 2016 gegründet hat. Man habe dann den Entschluss gefasst: „Wir denken und erfinden uns neu.“ Seitdem unterrichtet Jovanović wie so viele gerade via Homeoffice. Ein ganzes Zimmer hat er sich dafür eingerichtet, mit gleich mehreren Computern, ein ganzer Satz an verschiedenen Mundharmonikas griffbereit. Einen Teil des Unterrichtsangebot gibt es jetzt online. Und es laufe gut, so Jovanović, seine Schüler seien so zufrieden wie er mit der Lösung.

Weltweit gibt es nur wenige Mundharmonikaschulen. Etwa in Hongkong, New York und Buenos Aires. In Deutschland ist die Harmonica School Berlin die einzige, die sich auf den Unterricht der Mundharmonika spezialisiert hat. An klassischen Musikschulen werde das Instrument kaum unterrichtet, so Jovanović. „Für staatliche Musikschulen brauchst du als Lehrer staatliche Zertifikate, die du normalerweise als Mundharmonikaspieler nicht hast. Für die Lehrerausbildung fehlt die ganze Infrastruktur.“

Auch Jovanović ist Autodidakt auf seinem Instrument. Sein Onkel, ein guter Blues-Mundharmonikaspieler, habe ihn in Kontakt mit dem Instrument gebracht und das Wesentliche beigebracht, der Rest kam im Selbststudium. Seit seinem dreizehnten Lebensjahr spielt er Mundharmonika, seit er 15 ist, tritt er auf Bühnen auf, seit mehr als 15 Jahren gibt er Unterricht.

Raus aus der Nische

Aktuell friste die Mundharmonika ein Nischendasein, so Jovanović. Das war einmal ganz anders. Von den zwanzigern bis in die fünfziger Jahre war die Mundharmonika ein äußerst populäres Instrument. Dann kamen die Beatles, die Rolling Stones, Led Zeppelin: Alle hatten sie große Songs, in denen Mundharmonikaparts vorkamen. Der klassische Blues brachte große Virtuosen auf dem Instrument hervor. Auch nicht zu vergessen: Der junge Bob Dylan und Neil Young, dessen Hit „Heart of Gold“ ohne Mundharmonika ein ganz anderer Song wäre. Auch die Soli, die Stevie Wonder auf dem Instrument zum Besten gab, veredelten so manchen Popsong. Doch das ist alles eine Weile her. Aktuelle Popstars wie Billie Eilish oder Kanye West haben es nicht so mit der Mundharmonika.

Jovanović aber glaubt: Sein Instrument werde gerade wieder populärer. Es spräche ja auch so einiges für dieses: „Es ist charmant und liebenswürdig, günstig, und man kann es überall mit hinnehmen. Außerdem verschafft das Instrument rasch Zugang zur Musik. Denn viel wichtiger als das Notenlesen ist bei der Mundharmonika das Gefühl.“

Die wachsende Aufmerksamkeit für das Instrument komme durch das Internet, glaubt er. Den Effekt, den er seit einer Weile beobachte, führt er im Folgenden ein wenig aus. So gut wie jeder habe noch irgendwo eine Mundharmonika herumliegen, die er mal von Oma oder Opa geschenkt bekommen habe, erzählt er. Beim Aufräumen stößt man dann zufällig wieder auf das Instrument und bläst ein paar Töne auf ihm. Jovanović schnappt sich zur Demonstration eine Mundharmonika und bläst ganz passabel eine Melodie. „Dann surfst du ein wenig im Internet herum, stößt auf ein Youtube-Tutorial und der Typ dort spielt auch die Mundharmonika, nur ganz anders.“ Jovanović bläst erneut zur Illustration seiner Worte, dieses Mal gefühlvoll und virtuos. „Das kann doch nicht sein, denkst du dir, das muss doch ein anderes Instrument sein“, sei dann die Reaktion des Mundharmonika-Novizen. Und so entstehe das Interesse, mehr darüber erfahren zu wollen, wie man eine Mundharmonika richtig spielt.

Mit ihrem Festival wollten die beiden von der Harmonica School Berlin die verschiedenen Aspekte rund um die Mundharmonika zusammenbringen. FEN hätte für Fascination, Education und Network stehen sollen. Man wollte gleich größer denken und dreiteilig planen. In diesem Jahr sollte es zum Start um die Faszination gehen, bei folgenden Festivals dann um die beiden anderen Punkte.

„Wir wollten aufzeigen, dass es da dieses tolle Instrument gibt. Und Leute, die bereits gute Lehrprogramme für dieses haben. Aber beides ist hierzulande derzeit noch kaum miteinander verbunden. Man weiß zu wenig voneinander. Und die Öffentlichkeit weiß schon gar nichts darüber“, fasst Jovanovic die Gedanken hinter dem „FEN“-Konzept zusammen.

Wäre also alles recht ausgeklügelt gewesen auf dem Mundharmonikafestival in Berlin. Wäre.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!