Schuldspruch gegen Glyphosat in USA: Bayer AG schwer erkrankt
Wird der Chemiekonzern zum Übernahmekandidaten? Bayer drohen Milliardenstrafen in Krebs-Prozessen wegen seines Pestizids.
Die Entscheidung ist für Bayer ein schwerer Rückschlag, denn es handelte sich um das erste Musterverfahren wegen Roundup vor einem US-Bundesgericht. Der Vorsitzende Richter Vince Chhabria hatte den Prozess zu einem „bellwether case“ erklärt, also einem Fall, der repräsentativ ist für mehrere Hundert Verfahren, die bei dem Gericht gebündelt sind. Dieser Musterprozess könnte zudem die Richtung vorgeben für außergerichtliche Vergleiche.
Die Positionierung der Geschworenen ist auch deshalb bedeutend, weil sie bereits der zweite Schuldspruch über Glyphosat durch ein US-Gericht ist. Vergangenen August hatte eine Jury in Kalifornien Monsanto zu 289 Millionen Dollar Schadenersatz an einen krebskranken Mann verurteilt. Insgesamt haben in den USA mehr als 11.000 Menschen das Unternehmen wegen Glyphosat verklagt.
Das Thema ist nicht nur deshalb für die deutsche Politik relevant, weil Bayer ein deutscher Konzern mit 117.000 Arbeitsplätzen weltweit, davon 32.000 Stellen hierzulande, ist. Bayer drohen Milliardenkosten wegen der Prozesse. Außerdem stellen die Verfahren einen Großteil des Geschäftsmodells von Bayer in Frage: Laut Economist kamen zuletzt 70 Prozent des Monsanto-Betriebsgewinns von Produkten, die mit Glyphosat im Zusammenhang stehen.
Glyphosat ist das weltweit meistgebrauchte Pestizid
Das Mittel ist auch ein Politikum, weil es der weltweit meistverkaufte Pestizidwirkstoff und ein Symbol für die chemiegetriebene Landwirtschaft ist. Da ihn nun schon mehrere US-Gerichte für Krebserkrankungen verantwortlich gemacht haben, dürfte der Ruf nach einem Verbot in der Europäischen Union und in Deutschland lauter werden. Glyphosat ist auch aus Umweltsicht umstritten. Denn das Gift tötet so gut wie alle nicht gentechnisch veränderten Pflanzen und damit auch Nahrung für Vögel und Insekten.
Im aktuellen Prozess hatte Hardemans Anwältin Aimee Wagstaff gesagt, ihr Mandant sei dem Unkrautvernichter stark ausgesetzt gewesen, er habe das Mittel in einem Zeitraum von 26 Jahren mehr als 300 Mal auf seinem Grundstück in Kalifornien angewendet. Monsanto habe ihn nicht ausreichend vor Gefahren gewarnt. Studien an Nagetieren und Zellkulturen zeigten ein erhöhtes Krebsrisiko. Das gelte auch für Untersuchungen, die Menschen mit und ohne Glyphosat-Kontakt verglichen.
Bayer-Anwalt Brian Stekloff dagegen erklärte, die Ursache von Hardemans Krankheit und der Krebsart Non-Hodgkin-Lymphom allgemein sei unbekannt. Bei Hardeman gebe es andere Risikofaktoren wie sein hohes Alter und eine Hepatitis-Erkrankung. Vom Kläger beauftragte Experten widersprachen dem jedoch.
Günstige Verfahrensbedingungen für Bayer
Als Erfolg für Bayer war gewertet worden, dass der Vorsitzende Richter dem Antrag des Konzerns stattgegeben hatte, das Verfahren in zwei Phasen aufzuteilen. Dadurch konnte der Kläger seine Vorwürfe, Monsanto habe versucht, Behörden und die öffentliche Meinung zu manipulieren, nicht schon am Anfang des Prozesses vorbringen. Über diese Vorwürfe soll erst in einer zweiten Phase verhandelt werden.
Günstig für Bayer war auch, dass der Richter der Jury untersagte, sich auf das wichtigste Argument der Glyphosat-Gegner zu berufen: die Publikation, in der die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation (Iarc) den Wirkstoff als „wahrscheinlich krebserregend“ kategorisierte. Allerdings durften die Geschworenen sich auch nicht auf die Bewertungen etwa der EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit stützen, die ein Krebsrisiko für „unwahrscheinlich“ hält. Stattdessen sollten sie sich eine eigene Meinung aufgrund der im Prozess als Beweismittel zugelassenen Primärstudien und Aussagen von Experten bilden. Aber ausgerechnet der wichtigste Gutachter der Verteidigung, Christopher Portier, konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht in den Gerichtssaal kommen. Seine Aussage lag den Geschworenen nur als Videoaufzeichnung vor.
Umso überraschter waren die Bayer-Aktionäre ob des Schuldspruchs. Der Aktienkurs fiel am Mittwoch um rund 13 Prozent und steuerte auf den größten Tagesverlust seit 16 Jahren zu. Damit schrumpfte der Börsenwert des Leverkusener Konzerns um etwa 7,7 Milliarden Euro. Seit dem ersten Glyphosat-Urteil im August 2018 büßte Bayer knapp 30 Milliarden Euro ein. Analyst Markus Mayer von der Bank Baader Helvea sagte, die Wahrscheinlichkeit steige, dass Bayer diesen Prozess verlieren wird. Mit den Kursverlusten erhöhe sich zudem das Risiko, dass das Unternehmen ein Spielball von aktivistischen Investoren oder sogar ein Übernahmeziel werden könnte.
Bayer hält an Glyphosat fest
Bereits vor dem jetzigen Urteil war der Unmut vieler Aktionäre groß. So bezeichnete Christian Strenger, Gründungsmitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, den Kauf von Monsanto im vergangenen Jahr in einem dem Manager Magazin vorliegenden Brief unlängst als „den größten und schnellsten Wertvernichter der DAX-Geschichte“. Strenger fordert demnach, bei der Hauptversammlung am 26. April dem Konzernvorstand die Entlastung zu verweigern.
Das Unternehmen äußerte sich enttäuscht über die Entscheidung der Jury. Zulassungsbehörden weltweit hätten Glyphosat bei sachgemäßer Anwendung als sicher bewertet. Der Konzern sei zuversichtlich, „dass die Beweise in der zweiten Phase des Prozesses zeigen werden, dass Monsantos Verhalten angemessen war und das Unternehmen nicht für die Krebserkrankung von Herrn Hardeman haftbar gemacht werden sollte“.
Die Grünen dagegen forderten den Konzern zu einem Kurswechsel auf. „Bayer muss jetzt endlich selbst zur Aufklärung der wahren Glyphosat-Risiken und des Monsanto-Gemauschels bei Studien beitragen“, sagte Bioökonomiesprecher Harald Ebner. „Und die Bundesregierung muss endlich Ernst machen mit dem Glyphosat-Ausstieg, statt sogar noch neue Glyphosat-Produkte ohne Auflagen zuzulassen.“
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