SchülerInnen-Demo in Hamburg: Auf sie mit Gebrüll
Für unsere Autorin ist Fridays For Future ihre erste Demonstration. Um sich genauer umzuschauen, lässt sie sogar ihr Lieblingsseminar sausen.
Es ist meine erste richtige Demonstration. Bisher war mir die Uni wichtiger, als freitags gegen den Klimawandel auf die Straße zu gehen. Doch das Engagement der anderen Jugendlichen, die schon seit Wochen ihre Demos machen, begeistert mich. Ich möchte mir ein eigenes Bild von der Situation machen und wissen, was die Menschen dort antreibt. Dafür lasse ich an diesem Freitag sogar die erste Hälfte meines Lieblingsseminars ausfallen.
Als ich kurz nach 10 Uhr in Hamburg am Hachmannplatz nahe des Hauptbahnhofes ankomme, sind schon einzelne Gruppen von jungen Menschen versammelt. Einige basteln noch an ihren Schildern, andere halten Ausschau nach ihren Freunden. Ihre Gesichter zeigen die Vorfreude darauf, gleich gemeinsam durch die Stadt zu ziehen und sich für ihre Zukunft einzusetzen.
Dann laufen wir los Richtung Steindamm. Über die Lautsprecheranlage ruft jemand eine Parole: „Kohlekonzerne – baggern in der Ferne – Zerstören unsere Umwelt – nur für ’nen Batzen Geld.“ Die Menge kennt den Text und wiederholt lautstark Passage für Passage. Auch mich reißt es sofort mit, „für ’nen Batzen Geld“, rufe ich laut und bin beeindruckt. Wir sind tatsächlich laut und wir sind viele. Die Stimmung sehr eindrucksvoll, dabei sind wir sind erst wenige Minuten unterwegs.
Jugendliche sollen die Kontrolle behalten
Ich spreche einen Schüler an. Joost geht schon seit Januar für das Klima auf die Straße, doch seine Mitschüler und viele seiner Lehrer reagierten skeptisch auf die Bewegung. „Fridays for Future sollte in den Händen von Jugendlichen bleiben“, findet er, „so behalten wir die Kontrolle“. Der 19-Jährige möchte ein Bewusstsein für den Plastikkonsum der Menschen im Alltag schaffen. An seiner Schule verteilt er Glasflaschen.
Auch Elsa (17), extra aus Kakenstorf bei Buchholz in der Nordheide angereist, ist schon von Anfang an dabei. Sie würde sich bemühen, klimafreundlich zu leben, sagt die Schülerin. Sie ernähre sich vegan, verzichte auf Autofahrten und achte auf einen nachhaltigen Klamottenkonsum.
Der Großteil ihrer Lehrer unterstütze die Freitagsdemonstrationen. An ihrer Schule gebe es sogar organisierte Diskussionsrunden, „so können wir mit den Menschen sprechen, die noch nicht von der Bewegung überzeugt sind“, sagt Elsa. „Alle sollten dahinter stehen.“
Ab 17. April übernehmen 50 junge Menschen aus ganz Deutschland zwischen 14 und 24 Jahren die taz, um mit uns eine Jubiläumsausgabe zum 40. Geburtstag der taz zu gestalten. Mehr unter taz.de/40
Die jungen AktivistInnen fordern unter anderem, die Ziele des Pariser Klimaabkommens einzuhalten. Dafür schlagen sie eine Steuer für Treibhausgasemissionen vor. Vor allem Flüge würden dadurch teurer werden, aber auch Butter.
Die Bewegung scheint stetig zu wachsen. Anfang des Jahres demonstrierten noch 60 Jugendliche gemeinsam in Hamburg, während sich nun laut NDR mehr als 1.000 Teilnehmende in der Hansestadt versammeln. Mittlerweile formieren sich auch weitere Bewegungen wie „Teachers for Future“, „Parents for Future“ oder „People for Future“, die sich ein Vorbild an den SchülerInnen nehmen.
Doch Letztere werden wiederum oft mit dem Vorwurf konfrontiert, dass sie die Klimakrise nutzen würden, um sich vor der Schulbank zu drücken. Stimmt das? In Niedersachsen sind heute Ferien, und trotzdem gehen auch dort heute Schüler und Schülerinnen auf die Straße.
Als wir am Rathausmarkt ankommen, fällt mir auf, wie vielfältig die Gruppe der Demonstrierenden ist. Ich spreche mit den elfjährigen Lina, Liv und Jara, die gerade Mathe und Kunst verpassen. Stolz halten die Schülerinnen ihr Plakat hoch und erzählen, dass sie um ihre Zukunft kämpfen müssen.
Passend dazu ertönt vom Rednerpult: „Wenn uns die Klimakrise egal wäre, würden wir nicht hier stehen“. Es folgt lautes Gejubel. Auch der 81-jährige Rentner Erzhard Müller steht vor dem Rathaus und unterstützt gerne die junge Generation. Denn die Uhr würde ticken und die Umweltkrise kurz vor dem Kollaps stehen.
Rentner machen Mut
Während kleine Schneeflocken vom Himmel rieseln, tritt eine ältere Dame ans Redepult und spricht den Jugendlichen Mut zu: „Mir schlottern die Knie, so stolz bin ich auf euch“, sagt sie. „Wir haben früher gegen die Atomkraftwerke demonstriert und haben uns nicht unterkriegen lassen. Nun sollen sie bald abgeschaltet werden. Ihr könnt so viel erreichen .“
Um zwölf Uhr ist die Demo schon wieder vorbei und die Menge löst sich langsam auf. Um Müll zu vermeiden, können die Teilnehmenden ihre Schilder beim Organisationsteam abgegeben, die sie nächste Woche dann wieder mitbringen.
„Wir werden erst aufhören zu streiken, wenn unsere Forderungen erfüllt sind“, erklärt der 17-jährige Andreas, der zum Organisationsteam gehört. Solange würden sie jeden Freitag auf die Straße statt zur Schule gehen, um die nötige Aufmerksamkeit für ihr Anliegen zu bekommen. Denn es ist noch Platz am Rathausmarkt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“