Schüler gegen Salafismus: Den Hass wegsingen

Eine Schulklasse in Wilhelmsburg schreibt Lieder gegen den islamistischen Terror. In dem Stadtteil gab es Anwerbeversuche von Salafisten.

An vielen Orten Deutschlands versuchen Salafisten zu missionieren. Foto: dpa

HAMBURG taz | Eines der Mädchen verschwindet fast hinter ihrem E-Piano. Die Kabel liegen unsortiert herum, immer wieder vermeldet ein schriller Piepton, dass schon wieder jemand das Mikrofon auf die Lautsprecher gerichtet hat: auf den ersten Blick eine ganz normale Schülerband.

Doch was die Musikklasse der neunten Stufe der Stadtteilschule Wilhelmsburg an diesem Mittwochabend auf die Beine stellt, gab es so noch nie. Auf der Bühne stehen Schüler, im Volksmund Migrantenkinder genannt, die ihre Stimme gegen den islamistischen Terror erheben.

Einige der selbst geschriebenen Songs haben sie professionell aufgenommen und auf eine CD gepresst, die den selbstbewussten Titel “Let me speak“ trägt. Zu zwei Liedern haben sie sogar Videos gedreht und auf Youtube hochgeladen. “Alle Gleich“ heißt eines davon, gesungen von Esma. Die junge Muslimin erzählt darin von einem Mitschüler, der für den Dschihad angeworben wird. Erst im letzten Moment können seine Freunde ihn von der Reise abhalten: „Das macht keinen Sinn, sei kein Idiot, diese Verräter schicken dich nur in den Tod.“

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Ben Lobgesang hat das Video zum Lied produziert. Man sieht dem Clip an, dass es nicht sein erster ist. Lobgesang ist der Lehrer der Musikklasse, verantwortlich für das Projekt. Bereits vor zwei Jahren hatte er mit ihnen zwei Musikvideos gedreht, die neben Tausenden Klicks auf Youtube auch eine ausführliche Würdigung im Spiegel fanden.

Die Idee zum aktuellen Projekt entstand im Januar. Damals hatte die Schule eine Projektwoche über den IS-Dschihad durchgeführt. Obwohl im multikulturell geprägten Wilhelmsburg eigentlich omnipräsent, sei es für die meisten Schüler die erste intensivere Auseinandersetzung mit dem Thema gewesen, so Lobgesang. So intensiv, dass sie es nicht bei einer Projektwoche belassen wollten. Auch der Hamburger Musiker Rapper Fayzen machte mit bei dieser Reise ins Ungewisse, einzig mit der Hoffnung gestartet, dass die Schüler sich weiter mit dem Thema auseinandersetzen.

Und der Islamismus ist ein Thema. Aus dem am 11. Juni vorgestellten Hamburger Verfassungsschutzbericht geht hervor, dass in der Stadt 955 Menschen mit „islamistischen Bestrebungen“ leben. 50 von ihnen sind schon nach Syrien oder in den Irak gezogen, um für den IS zu kämpfen. Bis vor Kurzem wohnte der Salafisten-Prediger Pierre Vogel in Wilhelmsburg.

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Auch an seiner Schule kam es laut Lobgesang schon zu Anwerbe-Versuchen durch Salafisten, teilweise durch Vogel selbst. Auch die islamistische Szene hat verstanden, dass es die Jugendlichen sind, deren Überzeugungen sich noch am leichtesten beeinflussen lassen, weil ihre Ziele noch vage und schnell in eine andere Richtung zu lenken sind.

Die Schule will mit dem Projekt auch ein Zeichen setzen. Sie lässt ihre Schüler nicht leichtfertig in die langen Nachmittage nach der Schule stolpern, in denen einem weniger gefestigten Gemüt so mancher Fundamentalist mit seinen radikalen Vorstellungen des Islam begegnen kann. „Die Botschaft ist das wichtigste, dann kommt die Musik“, sagt Esma. Sie hofft, dass so viele Menschen wie möglich ihre Botschaft hören.

Am Ende des vierzig Minuten langen Auftritts kommen alle MusikerInnen noch mal auf die Bühne. Sie singen euphorisch die Zeilen aus dem Refrain von „Alle Gleich“: „Sag mir, warum so voller Hass? Wir sind doch alle gleich gemacht, alle gleich gemacht.“ Die stolzen Eltern, Freunde und Bekannten im Publikum singen mit. Die Energie, mit der die SchülerInnen da am Werk sind, springt über. Und ihre Botschaft auch.

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