Schüler debattieren über Nahost: "Schade, dass wir alle einer Meinung sind"
Schüler mit arabischem Migrationshintergrund diskutieren in der Politik-AG eines Neuköllner Gymnasiums über den Krieg in Gaza. Ein Lehrer versucht sie zum Dialog zu bewegen - mit Erfolg. Einige fahren zu einem Camp mit Israelis.
Das Mitteilungsbedürfnis ist groß. "Kann ich meine Meinung zur Situation in Palästina schildern?", fragt Karim*, da hat die Stunde gerade erst begonnen. Zwei Dutzend SchülerInnen des Neuköllner Ernst-Abbe-Gymnasiums sind an diesem Nachmittag zum wöchentlichen Treffen der Arbeitsgemeinschaft (AG) Politik gekommen. Fast alle besitzen familiäre Wurzeln in der arabischen Welt. Die AG diskutiert an diesem Tag den gegenwärtigen Krieg im Gazastreifen.
Karim ist 17 und besucht die 11. Klasse. Teile seiner Familie flohen aus den palästinensischen Gebieten in den Libanon, er selbst ist in Deutschland aufgewachsen. "Ich als Palästinenser hätte kein Problem, mein Land mit Israelis zu teilen. Hier teilen ja auch Deutsche ihr Land mit mir", sagt er. Doch seiner Meinung nach will Israel mit der Militäroffensive nur seine Stärke demonstrieren. "Was mich als deutsche Bürgerin ärgert, ist, dass Deutschland zu wenig Solidarität mit den Palästinensern übt", ergänzt die 17-jährige Amina*. Auch Teile ihrer Familie verließen einst Palästina gen Libanon. Doch wie viele der anwesenden Schüler besitzt auch die Elftklässlerin die deutsche Staatsbürgerschaft.
"Ich als Türke bin ja etwas objektiver", beginnt Erhan*, der in diesem Jahr sein Abitur macht. "Aber bei den Angriffen wird immer Zivilbevölkerung getroffen. Und wenn Israel für drei Stunden die Angriffe stoppt, um Hilfswerke nach Gaza zu lassen, dann ist das Heuchelei", sagt der 20-Jährige. Nur ganz selten wird der Ton derart emotional, das Gesagte zu einer vehementen Anklage des Vorgehens Israels. Die Jungen und Mädchen der Politik-AG debattieren überwiegend sehr sachlich.
"Das war nicht immer so", erzählt Lehrer Jan Ebert. "Als Eldad Beck zum ersten Mal in die AG kam, war das wie ein Tribunal für ihn", erinnert sich der Leiter der AG an einen Besuch des Deutschlandkorrespondenten der israelischen Tageszeitung Jediot Ahronot, der mit dem Kurs über die Geschichte Israels gesprochen habe. Der Lehrer diskutierte in den folgenden Wochen weiter mit seinen SchülerInnen. Beck kam nochmals in die Schule. "Das war dann eine viel ruhigere Unterhaltung", erinnert sich ein Schüler. Einige hätten heute noch per E-Mail Kontakt zu dem Journalisten.
Am Vortag hat Ebert mit den Schülern einen Vortrag von Daniel Barenboim, Musiker und Friedensaktivist mit israelischer wie palästinensischer Staatsangehörigkeit, besucht. "Wir müssen die potenziell einseitige Sichtweise vieler Schüler mit arabischem Migrationshintergrund kanalisieren und sie zum Dialog bewegen", sagt Ebert. Positiv sei das Beispiel einer palästinensischen und einer türkischen Schülerin: Mit Unterstützung des Anne Frank Zentrums hätten sich beide mit Antisemitismus und der Geschichte des Nahen Ostens auseinandergesetzt. "Den Rap-Song, zu dem sie ihre Erkenntnisse verarbeitet haben, tragen sie immer mal wieder in der Schule vor", schildert Ebert. Im Sommer würden einige Schüler an einem Camp teilnehmen, wo Israelis, Palästinenser und Deutsche diskutieren.
Das Bedürfnis nach Kontroverse ist groß. Beim Hinausgehen sagt eine Schülerin: "Schade, dass wir hier alle derselben Meinung waren. Ich hätte gern mit jemandem gesprochen, der den israelischen Standpunkt vertritt."
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