Schüler-Mobbing-Seite isharegossip.com: Gemein, anonym und schwer fassbar
Schlampe, größte Hure, schwule Sau: Auf isharegossip.com hetzen Schüler gegen Schüler. Die Seite steht jetzt auf dem Index. Ist das sinnvoll? Besuch an einer Berliner Schule.
BERLIN taz | Sie sei eine Schlampe. Steht im Internet, anonym, auf der Internetseite isharegossip.com. Seit Anfang Februar. "Anfangs war das schlimm für mich", sagt Nina*. Weil ziemlich schnell der Verdacht aufkam, dass einer aus ihrer Klasse dahintersteckt. "Das hat mich ziemlich getroffen, weil das heißt, jemand mag mich nicht." Verdächtigungen machten die Runde. Anschuldigungen. Misstrauen. Und es ging weiter. "Amaru, der Neger" hätte ein paar Tage dringestanden. Amaru* sitzt zwei Reihen vor Nina und guckt auf seinen Tisch.
In der Klasse 10a der Berliner Max-von-Laue-Oberschule hat es ziemlich viel Ärger gegeben wegen der Seite isharegossip.com. So wie an vielen anderen deutschen Schulen. Anonym können dort Lästereien, Klatsch und Tratsch und Rufmord verbreitet werden. Begriffe wie Opfer, größte Hure, schwule Sau und verfickter Hurensohn gehören dort zum Standardvokabular, teils werden die Schüler mit vollem Namen angeschwärzt, oft kann über die Verbindung von Vorname und Schulklasse eindeutig identifiziert werden, wer gemeint ist.
Seit Januar haben immer mehr Schüler die Seite für sich entdeckt. Auch an der Max-von-Laue-Oberschule im behüteten West-Berliner Bezirk Steglitz. Nur zwei Tage dauerte es, bis in dem "Schlampen"-Thread über 50 Einträge standen. Das hat Nina alles ausgedruckt. Auch die Sache mit Amaru. Und ist damit zum Direktor ihrer Schule gegangen.
Sechs Wochen später sitzt die 10a im Ethik-Unterricht und redet nochmal über die Sache. Inzwischen ist rausgekommen, wer Nina und Amaru beschimpft hat. Jemand aus der Klasse. Genauer wollen sie es vor einer Journalistin nicht verraten, aber im Gespräch wird deutlich spürbar, wer es war. Die Person hat es irgendwann freiwillig zugegeben, jetzt läuft eine Anzeige gegen sie. Der Schulleiter ließ die Polizei kommen, suspendierte sie für drei Tage.
"Hinterhältig und feige"
Noch immer ist das Klima in der Klasse aufgeheizt – gegen isharegossip und Leute, die da mitschreiben. "Wer das macht, kommt mit seinem Leben nicht klar". "Hinterhältig und feige" sei das, "sehr gefährlich". Amaru sagt, er war vor allem "enttäuscht und geschockt", als alles rauskam. Weil er gedacht hatte, irgendjemand aus den unteren Stufen hätte ihn auf isharegossip angepöbelt. Aber dann steckte jemand dahinter, mit dem er seit Jahren jeden Tag in einem Raum sitzt und lernt.
"Diese Seite ist eine Frechheit. Und menschenverachtend", kann sich Schuldirektor Günter Schrenk noch immer aufregen. "Es hat mich sehr überrascht, dass meine Schüler bei so etwas mitmachen. Wir versuchen ihnen hier gutes Benehmen beizubringen. Achten besonders darauf, dass die Schüler sich gegenseitig respektieren und auf dem auch Gang grüßen."
Der 59-Jährige sagt, er schaue sich die Seite selbst nicht an, habe sich aber von Lehrern davon berichten lassen. Er hat einen Brief aufgesetzt, nachdem er wegen der 10a die Polizei rufen musste. Bat darin die Schüler, "menschenverachtende Äußerungen zu unterlassen und euch von solchen abstoßenden Portalen zu verabschieden" – wer das nicht tue, dem drohte er mit Strafanzeigen. Die Lehrer haben diesen Brief in den Klassen vorgelesen. Viele kannten isharegossip.com damals gar nicht. Der Fall aus der 10a blieb nicht der einzige, Direktor Schrenk musste noch ein paar Mal Strafanzeigen wegen Verleumdung stellen. Diesmal gegen unbekannt.
Derweil ist das Getöse um isharegossip.com groß geworden: Eltern, Lehrer und Lokalpolitiker schreien danach, die Seite sofort abzuschalten. Medienpsychologen, Psychologen und Mobbing-Experten melden sich mit den üblichen Pädagogen-Stanzsätzen zu Wort. Landes- und Lokalpolitiker planen bessere Medienkompetenzschulungen. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) hat sich in die Debatte eingemischt. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Seitenbetreiber. Und die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien hat die Seite vergangene Woche auf den Index gesetzt.
Ziemlich viel Reaktion für eine Cybermobbing-Seite. Dazu beigetragen hat sicher, dass ein Jugendlicher in Berlin von zwanzig anderen verprügelt wurde – wegen eines isharegossip-Eintrags. Dass Kinder sich nicht mehr zur Schule trauten – weil auf isharegossip Amokläufe angekündigt wurden. Und dass viele Bildungsbürgereltern entsetzt sind, dass anonyme Schlampen-Schwuchtel-Fette-Sau-Pöbeleien auch an den Schulen ihrer Kinder stattfinden.
Vor allem aber gibt es so viel und heftige Reaktionen, weil alle Verantwortlichen merken, wie schwer es ist, der Seite beizukommen. Gepostet wird anonym. IP-Adressen von Nutzern werden nicht gespeichert, bekräftigen die Macher auf isharegossip.com. Und egal ob Staatsanwaltschaft, Jugendschützer oder Journalisten: auf Anfragen reagieren die Seitenbetreiber einfach nicht.
US-Domain, schwedischer Server, lettische Firma
Laut Impressum verantwortet die Seite ein Mann namens Alexander Liepa mit einer Firma im lettischen Riga. Ob es nur Zufall ist, dass er den gleichen Namen trägt wie der Erfinder der Pringles-Chips, wird inzwischen im Netz spekuliert – hat doch auch er sich noch nie öffentlich zu Wort gemeldet. Anonym hat ein angeblicher Mitarbeiter der Seite einem Frankfurter Magazin ein Interview gegeben – doch auch er soll inzwischen bei der Seite ausgestiegen sein.
Angemeldet wurde die Domain der Seite in den USA, gehostet wird die Seite von einem schwedischen Provider. Genauer gesagt: Von der Firma PRQ von Gottfrid Svartholm. Das ist der Mann, der die Bittorrenttracker-Seite Pirate Bay miterfand, sich deswegen vor Gericht mit der milliardenschweren US-Unterhaltungsindustrie anlegte – und heute einen bunten Strauß Webseiten hostet, die andere gerne für immer aus dem Netz tilgen würden.
Eine schlechte Nachricht für alle, die hoffen, dass das Eingreifen der deutschen Staatsanwaltschaft isharegossip den Garaus machen kann – mit ein paar Briefen aus Deutschland wird ein Provider, der sowohl Thepiratebay als auch Wikileaks hostet, wohl fertig werden. Und auch die Tatsache, dass isharegossip auf dem Index steht, ist kaum mehr als Kosmetik - denn das bedeutet lediglich, dass sie in den Suchergebnissen der größten Suchmaschinen nicht mehr angezeigt wird.
Auf der Berliner Max-von-Laue-Oberschule hat man erst einmal versucht, schnell und wirksam zu reagieren. Auf den Schulrechnern kann die Seite nicht mehr aufgerufen werden. Die Lehrer haben mit den Schülern darüber geredet. "Ich habe zu denen gesagt: Wenn ihr damit weitermacht, habe ich als Ethiklehrerin total versagt", erzählt zum Beispiel Christiane El-Nahri, Klassenlehrerin der 10a, auf dem Weg zum Lehrerzimmer. Das habe geholfen, da hätten die Schüler wirklich nachgedacht.
"Wer ist fett und stinkt?"
Fragt man die Klasse heute, sagt die Mehrheit, sie hätten isharegossip seit bestimmt vier Wochen nicht mehr angeschaut. Ihre Kollegin Christiane Schrabback hat einen andere Strategie verfolgt. Die Biologie- und Englischlehrerin hat bei isharegossip mitgelesen – und gemerkt, dass die Schüler dort oft gar nicht so anonym schreiben, wie sie denken: "Teils kann ich eingrenzen, wer etwas geschrieben hat. An den Rechtschreibfehlern und an der Wortwahl", sagt sie. "Und wenn mir das auffällt, dann sage ich das den Schülern auch."
Auch auf dem Pausenhof hört man viel Reflektiertes über die Cybermobbing-Seite. Zwar kann der ganze Pulk Achtklässlerinnen mitreden, wenn es um den isharegossip-Thread "Wer ist fett und stinkt?" geht. Gilt aber als doof und unfair. Eine Zahnspangenträgerin im grauen Pullover sagt, sie sei da auch aufgetaucht. Sie zuckt mit den Schultern. "Ich finde es schlimmer, wenn mir jemand das ins Gesicht sagen würde", sagt sie selbstbewusst. Über ihn hätte dringestanden, er sei ein Kiffer, mischt sich ein Junge ein. "Mir egal. Ich kenne ja die Wahrheit."
Andere haben mehr Angst, zum Thema auf isharegossip zu werden. "Man guckt schon, dass man sich nicht auffällig verhält", sagt eine andere Achtklässlerin, als die anderen nicht mehr dabei sind. "Keiner will mehr zeigen, dass er einen Freund hat oder so." Obwohl das alles so langsam auch vorbei sei. "Ich habe das Gefühl, da schreibt keiner mehr. Und wir reden auch nicht mehr drüber."
Ein Eindruck, den man an der Max-von-Laue immer wieder hört. Irgendwie hat sich das anonyme Lästern schon wieder abgenutzt. Die Zahl der Einträge nimmt ab. "Man merkt: Die Schüler empfinden das als Schwachsinn", sagt Direktor Schrenk.
* Namen von der Redaktion geändert
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