STRAFGERICHTSHOF: NICHT DIE USA, SONDERN DIE EU IST DAS PROBLEM: Schoßhunde mit falschem Pathos
Die Europäer haben sich getäuscht. Sie dachten, zumindest in einer zweitklassigen Frage wie der Immunität für UN-Friedenstruppen würden die Amerikaner nachgeben – auch wenn es um den ihnen verhassten Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) geht. Doch die USA denken nicht daran, und deshalb spricht vor der heutigen Sitzung des UN-Sicherheitsrats nun auch Bundeskanzler Gerhard Schröder von „notwendigen Kompromissen“.
Zweitklassig ist die Frage deshalb, weil sie fast ausschließlich theoretische Bedeutung hat. Im Rahmen von UN-Missionen mit dem Mandat des Weltsicherheitsrates werden aller Voraussicht nach weder Verbrechen gegen die Menschlichkeit noch Völkermord, noch Kriegsverbrechen begangen. Nur für solche Megadelikte ist der Internationale Strafgerichtshof zuständig, nicht aber etwa für Verbrechen einzelner Soldaten wie Vergewaltigungen, Frauenhandel oder Hehlereien.
Die Europäer wollten die theoretische Zuständigkeit des IStGH für US-Amerikaner in UNO-Missionen dennoch nicht aufgeben und haben sie zur Grundsatzfrage hochstilisiert. Sonst sei die Glaubwürdigkeit des neuen Gerichtshofes von Anfang an erschüttert, erklärten sie. Jetzt müssen sie angesichts der US-amerikanischen Kaltschnäuzigkeit wohl doch einlenken. Das alles hat die Glaubwürdigkeit des IStGH stärker beschädigt, als wenn das Problem von Beginn an ohne übertriebenes Pathos diskutiert worden wäre.
An solche Kompromisse wird man sich gewöhnen müssen. Bis der IStGH weltumfassend akzeptiert ist, werden wohl noch ein oder zwei Generationen vergehen. Zu Beginn ist seine Mission jedenfalls noch sehr begrenzt. Rund zwei Drittel der Staaten dieser Erde haben sein Statut noch nicht ratifiziert – wie die USA und viele „Schurkenstaaten“. Ihre Bürger unterliegen der IStGH-Rechtsprechung also nur, wenn sie Megaverbrechen in den Vertragsstaaten begehen.
Der Irak ist kein Vertragsstaat. Wenn die USA hier angreifen – mit oder ohne UN-Mandat –, wäre der Gerichtshof also ohnehin nicht zuständig. Wie die Europäer dann reagieren oder dies gar verhindern wollen, wissen sie nicht. Europäische Geschlossenheit und etwas Pathos wären aber gerade dann von Bedeutung.
Es besteht der Verdacht, dass die EU-Staaten für die heimische Öffentlichkeit in der Frage der UNO-Missionen ein billiges Zeichen der Stärke setzen wollten, um nicht allesamt als US-Schoßhunde angesehen zu werden. Das hat ihnen Bush verwehrt und so ermöglicht, sich wieder auf die wesentlichen Fragen zu konzentrieren. CHRISTIAN RATH
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