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Schöpferin der Bella-Block-Reihe totFeministische Krimiautorin Doris Gercke ist gestorben

Gastkommentar von Else Laudan

Autorin Doris Gercke stand für bündige, feministische Literatur, die alles ausdrückt, was erzählt gehört. Ihre Verlegerin Else Laudan nimmt Abschied.

Doris Gercke: Als Schöpferin der international berühmten Bella Block schrieb sie Literaturgeschichte, beließ es aber nicht dabei Foto: Daniel Reinhard/dpa

D ie Schriftstellerin Doris Gercke lebt nicht mehr. Sie verfasste zahlreiche Geschichten und Romane, sägte mit ihrem düsteren kritischen Realismus an der Erzählhoheit im Genre. Ich durfte ihre letzten Bücher verlegen – den Kurzgeschichtenband „Frisches Blut“ und den Roman „Die Nacht ist vorgedrungen“. In meinem Verlegerinnendasein sind mir nie Texte unter den Rotstift gekommen, die weniger Lektorat brauchten. Eine Autorin, bei der jedes Wort an seinem Platz stand, kein Satz zu viel, keine Szene zu lang, die Details klug gesiebt, die Sprache schlicht und gelassen: Schnörkellosigkeit als Kunstform.

Das Problem der leicht zu bedienenden Handfeuerwaffen haben wir noch nicht gelöst, und ein Aufmarsch bewaffneter Kinder hätte die Rüstungsindustrie weltweit in Erregung versetzen können.

Doris Gercke, „Eine Lobby“ in: „Frisches Blut. Deutsche Geschichten“, Ariadne, Hamburg 2018, S. 70

Fiktion und Wahrheit eng verschlungen: Ihr finsterer Realismus war immer nüchtern und unbotmäßig. Viele Pointen und Zitate verraten enorme Belesenheit, Liebe zu russischen Dichtern, Freude an Schönheit, Urteilsvermögen, Stilsicherheit und aufrührerischen Humor. Ihre ganze Art des Erzählens ist auf ruhige Art herausfordernd.

Ich hab keine Lust, Rücksichten zu nehmen, von dem abzusehen, was ich verstanden habe, auch weil das Verhältnis von Männern und Frauen in Wirklichkeit kein Verhältnis ist, sondern eine Katastrophe.

Doris Gercke, „Die Nacht ist vorgedrungen“, Ariadne, Hamburg 2021, S. 102

Dieser Tage lese ich ihre alten Bella-Block-Krimis nochmals und merke, dass sie von Anfang an so geschrieben hat. Avantgarde – eine, die vorausgeht. Klare, bündige, feministische Literatur, die alles ausdrückt, was erzählt gehört. Pathosfrei, spröde, auf den Punkt, mit Sätzen, die einfach klingen, doch deren Nachhall die Jahrzehnte noch verstärkt haben.

Angemessenes Schreien wäre sowieso nicht möglich gewesen

Doris Gercke, „Nachsaison“, Galgenberg-Krimi, Hamburg 1988, S. 6

Ihr erster Roman schlug in die verpennte deutschsprachige Kriminalliteratur der 1980er ein wie ein Blitz. Noir in Ton und Setting, eine hypersouveräne Solo-Ermittlerin über 50, dazu die schockierend ungeschönte Darstellung ekliger, misogyner Gewalt. „Weinschröter, du musst hängen“ verbat sich jede Konzession an das gemütliche Krimischema und erteilte dem Glauben an die durch eine Mordaufklärung wiederherstellbare heile Welt eine staubtrockene Absage.

Seine unglückselige Erziehung zur,Männlichkeit' stand ihm dauernd im Wege

Doris Gercke, „Nachsaison, Galgenberg-Krimi, Hamburg 1988, S. 8

Doris Gercke, 1937 in Greifswald geboren, lebte seit ihrer Kindheit in Hamburg. Obwohl wir uns zeitgleich in die Buchbranche aufmachten, blieben Begegnungen zunächst sporadisch. Erst als sie 2011 fürs Harbourfront-Festival Dominique Manotti moderierte, begann sich die Bekanntschaft zu vertiefen. Drei Jahre danach bat ich sie um Mitwirkung beim Aufbau eines Netzwerks hochkarätiger politischer Krimiautorinnen. „Ja, wenn ihr jungen Frauen so etwas auf die Beine stellen wollt, finde ich das gut“, sagte sie. (Ich war 51 und erstaunt, jung genannt zu werden.) Prompt richtete Doris Gercke im Sommer 2015 großzügig das erste HERland-Treffen aus. Sie hat diese Kraft spendende Bande feministischer Krimifrauen mitgegründet und geprägt, war uns Inspiration und Vorbild. Diese Haltung. Diese Weltkenntnis. Diese Großzügigkeit bei allem gerechten Zorn.

Zehn Jahre lang erwies mir Doris die Ehre ihrer Freundschaft und ihres Vertrauens. Beides hat mich innerlich wachsen lassen. Ihre aufrechte Haltung hat auch mein Rückgrat gestärkt. Ihre Lust am Arbeiten, ihr Sinn für Humor und ihre nie versiegende Neugier auf Lesbares und Politisches waren wie Geschenke.

Kurz vor ihrem Tod gab sie mir eine Mappe mit Texten für ein letztes Buch. Wir werden daraus ein Sammelbändchen machen. Denn ich will, dass keiner ihrer Texte ungelesen bleibt. Die Welt braucht Schriftstellerinnen wie Doris Gercke. Dringend.

Else Laudan, die Autorin dieses Nachrufs, war Verlegerin und Freundin von Doris Gercke. Laudan ist 1963 in Westberlin geboren, brach mit 16 die Schule ab, jobbte in Gastro, Buchhandel, Redaktionen, halbe Maschinenschlosserlehre, reiste viel, zog dann nach Hamburg, studierte im 2. Bildungsweg Soziologie, entdeckte das Sprachwesen in sich. Ab 1987 freie Lektorin, ab 1988 Übersetzerin aus dem Englischen, ab 1989 Programmverantwortung fürs Projekt Ariadne im Argument Verlag, ab 1997 Verlegerin. Spezialisiert auf Spracharbeit, Feminismus, Noir- und Kriminalliteratur, politische Kultur und Networking.

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