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Schönheitsdruck in der GesellschaftNo pressure, just pleasure

Schon in der Kindheit war klar: Bei besonderen Anlässen muss man gut aussehen. Aber warum sich nicht einfach mal schön machen, nur so, ohne Druck?

Für das gute Leben braucht es gar keine Gäste! Foto: Sharon McCutcheon/Unsplash

E ntgegen der Annahme, es hätte bei uns zu Hause nie Markengetränke gegeben, fiel mir neulich ein, dass es sie doch gab, nur halt nie für uns selbst. Sobald meine Eltern Besuch hatten, standen auf dem Softdrink-Menü nicht mehr die Freeway-Cola und der Tetrapack naturtrüber Apfelsaft, sondern Coca-Cola, Sprite und Glasflaschen mit Beckers Bester in mindestens zwei Sorten. Lediglich das Sprudelwasser durfte so bleiben, Saskia war dann doch VIP genug.

In meinem Kopf ergab das Sinn: Wenn das Essen, die Kleidung, der zwischenmenschliche Umgang und das Geschirr auf den Tischen sich für den Besuch fancy macht, warum sollten die Getränke davon ausgenommen sein? Es ist schließlich auch nicht ungewöhnlich, besondere Weine zu besonderen Anlässen aufzumachen. Also eigentlich alles ganz cool und normal, aber ich entnehme daraus natürlich mal wieder einen Knacks: Weil es die Marken-Softdrinks nur gab, wenn wir Besuch hatten, weiß ich nicht, wie maus sich alleine eine gute Zeit macht.

Sich schick anzuziehen, aufwendig zu schminken, Kerzen anzuzünden, gute Snacks auszupacken, obwohl maus allein ist, fühlte sich für mich immer nach Verschwendung an. Wozu einen heftigen Look ballern, wenn ihn doch niemaus sieht? Dass das Quatsch ist, habe ich während der Pandemie gemerkt. Erstens sehen andere eine_n ständig durch Videocall-Marathons, zweitens müssen wir nicht so tun, als würden wir uns nicht eh durch unsere eigenen Frontkameras anstarren, und drittens: Selbst wenn Punkt 1 und 2 nicht gegeben wären, zeigte die notwendige Corona-Isolation, wie trist der Alltag wird, wenn maus sich bewusst den Genuss verwehrt. Für das gute Leben braucht es keine Gäste!

Beauty aus Pressure

Also schlage ich öfter ein Kochbuch auf und koche etwas Besonderes. Räucherstäbchen brennen nieder. Ich zünde nicht nur mehr Kerzen an, ich besorge auch mehr Ständer dafür, um mich wie in diesen Touri-Kirchen zu fühlen, in denen Leute grundlos Geld bezahlen, um ein Teelicht anzumachen. Ich habe mir schönere Jogginganzüge gekauft, die den Glamour mit der Bequemlichkeit kombinieren. Make-up benutze ich zwar täglich, aber viel weniger als vor der Pandemie.

In der Hinsicht habe ich gelernt, zwischen Beauty aus Pressure und Beauty aus Pleasure zu unterscheiden. Die Lichtsituation aus pinken, roten und lila Lämpchen suggeriert von außen wahrscheinlich, hier wäre ein privater Stripclub, dabei sitze ich nur auf meinem Sofa und doomscrolle mit meinem Vaporizer zwischen den Lippen durchs Internet. Und die Getränke? Ich bleibe bei Leitungswasser, schwarzem Kaffee und ungesüßtem Tee. Nicht mal Discounter-Limos. Weil ich im Alleinsein realisiert habe, dass mir Softdrinks gar nicht so gut schmecken und ich sie meist nur getrunken habe, weil ich in Gesellschaft war – der Druck, genießen zu müssen. Aus der Ferne wirkt Pisse durch ihr Glitzern wie Goldwasser.

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Hengameh Yaghoobifarah
Mitarbeiter_in
Hengameh Yaghoobifarah studierte Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik an der Uni Freiburg und in Linköping. Heute arbeitet Yaghoobifarah als Autor_in, Redakteur_in und Referent_in zu Queerness, Feminismus, Antirassismus, Popkultur und Medienästhetik.
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9 Kommentare

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  • Es gibt keine "schoeneren" Jogginganzuege. Jogginganzuege sind per definitionem immer und grundsätzlich haesslich!

  • Sorry - bin wohl in ne falschen Familie hineingeboren und aufgewachsen - 🥳 -

    Highlight aus dem Skat: “Gib mir doch mal den Eyeliner rüber!“ - das homerische Gelächter meiner Perle über einen Lippenstift - “tat der Liebe kein Kind!“ - wie‘s op norddütsch so passend heißt. Auch die bisher restlichen 50 +++ Jahre haben keinen anderen Eindruck hinterlassen. Gäste gingen ein & aus. Manche für Wochen - zusammenrücken



    So what!

    kurz - Eure Sorgen - möcht ich echt nicht haben. Nej tak,

  • "doomscrolling" ist ja mal das schönste Wort das ich dieses Jahr gelesen habe! Hat definitiv in meinem Wortschatz eine wichtige Lücke gefüllt, ungerfähr zwischen "Du hast alle Beiträge der letzen 3 Tage gesehen" und der Erkenntniss "Meine Finger sind taub, also kann ich auch weiterscrollen.."

    Kann dem Artikel nur zutsimmen, der Teelichtverbrauch ist auch ohne Gäste rapide gestiegen und habe selbst erst im Lockdown, mit stolzen 30 Jahren auf dem Buckel, gelernt wie man richtig Kajal benutzt. Self-care geht am besten auf sich allein gestellt, zumindest für introvertierte Amateur-Eremiten wie mich^^'

  • Mich hat ja schon irritiert, dass die taz jetzt intouchmässig über Britneys Privatleben schreibt, jetzt schreibt Hengameh auch noch völlig provokationsfrei Zeug, dass mit ein paar Anglizismen weniger genau so in der Brigitte stehen könnte, Lebenstipps für ältere Frauen. Was passiert da mit der taz?

  • Ein katholischer Christ zündet nicht grundlos Opferkerzen an. Er beschränkt diese Übung auch nicht auf Tourikirchen.



    Dass Sie das offensichtlich nicht wissen, ändert die Fakten nicht. Sie zu respektieren scheint mir nicht zu viel verlangt.

  • 3G
    32533 (Profil gelöscht)

    Die beschriebenen Abläufe kenne ich nur zu gut.

    Als Kartoffel-Deutscher der frühen 1960er Jahre. Auch da gab es die Trennung zwischen Gästen und Insassen. Aufgewachsen in einer Kurstadt, wurde bei uns an Kurgäste vermietet, die sich von 'einfachen Verhältnissen' nicht abschrecken ließen.

    Sonntags war das Wohnzimmer bis 12 Uhr für uns Kinder 'Forbidden area'.



    Danach gab es für uns Frühstück von der Resterampe. Passivrauchen inbegriffen.

    Zeiten ändern sich. Manchmal kehren sie zurück.

  • Nachdem Corona als lebensveränderndes Phänomen noch keine zwei Jahre alt ist, frage ich mich ernsthaft, wie ich eigentlich darauf gekommen bin, dass ich besonders tolle Dinge manchmal nur deswegen tue, weil andere das von mir erwarten. Ist schließlich schon ‘ne ganze Weile her, dass es an dieser Stelle „click“ gemacht hat bei mir. So weit ich mich (sehr dunkel) erinnere, war das im Zuge einer Teenager-Party. 😅







    Softdrinks mag ich übrigens - wenn ich sie 1:3 mit Leitungswasser verdünnen darf. Alkohol hingegen mag ich nicht. Ich trinke ihn nur „in Gesellschaft“. Weil ich meiner Familie und meinen wenigen Freunde nicht auch noch aus gegebenem Anlass auf die Nerven gehen will mit meiner penetranten Ehrlichkeit. Wenn sie gern glauben wollen, dass das Zeug schmeckt, muss ich sie nicht ausgerechnet während einer Familienfeier oder an Silvester vom Gegenteil überzeugen. Geschmäcker sind schließlich verschieden, und Druck haben Menschen in meinen „Kreisen“ im Alltag schon genug.







    Was ich allerdings nicht tun würde (und so weit ich mich erinnere auch früher nie getan habe), ist, zu behaupten, dass ich Alkohol genieße oder irgendwelche Ahnung davon habe. In meiner Welt, schließlich, kann ein Mensch mehr sein als nur Amboss oder Hammer. Keinen Druck auszuüben, ist meiner Erfahrung nach auch dann möglich, wenn man sich selber keinem Druck aussetzen lässt. Man muss sich nur das richtige Umfeld suchen.







    Wer das nicht glaubt, der kann ja erst mal im „stillen Kämmerlein“ üben, ganz für sich allein und vor dem Spiegel. Hauptsache, er/sie/maus bleibt nicht in den eigenen vier Wänden hocken aus Angst davor, draußen das Gleichgewicht zu verlieren. Auf dem Trockenen kann man vielleicht ein paar Bewegungen üben, schwimmen lernen kann man aber nur im Wasser.

    • @mowgli:

      Schonn: “ In meiner Welt, schließlich, kann ein Mensch mehr sein als nur Amboss oder Hammer. Keinen Druck auszuüben, ist meiner Erfahrung nach auch dann möglich, wenn man sich selber keinem Druck aussetzen lässt. Man muss sich nur das richtige Umfeld suchen.…“ Liggers - But.

      Letzteres war&is in Kiiel aber was schwierig: Nur Beamte & 🪖🪖🪖🪖- 🥳 -



      Seien wir also gnädig - wa.

  • Als Boomer war ich früher nur verwirrt nach Ihren Artikeln. Jetzt nach einigen Monaten habe ich Ihre Kolumne lieben gelernt und freue mich schon auf die nächste Trainingseinheit. Für mein Boomergehirn ist Terminologie und Kontext eine Art highintensity Intervalltraining. Weiter so :) Danke und liebe Grüße.