Schönheit und Frauen mit Behinderung: „Mode muss inklusiver werden“
Wie schauen Frauen mit Behinderung auf ihre eigene Schönheit? Und wie ändert sich das mit dem Erwachsenwerden? Vier Protokolle.
Alana Reimer, 24, Content Creator und Künstlerin aus Minden
Als ich nach meiner Wirbelsäulenoperation im vergangenen Jahr zum ersten Mal richtig sitzen konnte, war das ein krasses Gefühl. Das war der erste Moment, an dem ich mich schön gefühlt habe. Vorher war ich sehr unsicher wegen meines Körpers.
Ich versuche mich viel über meine Kleidung und über Make-up auszudrücken. Am liebsten mag ich es bunt und ein bisschen extravagant. Oberteile kann ich problemlos kaufen. Mit Hosen ist es komplizierter. Mein Becken ist anders gebaut, deshalb sind sie mir entweder zu eng oder zu lang. In der Kinderabteilung finde ich eher welche. Dort als erwachsene Frau einkaufen zu müssen, empfinde ich aber als demütigend, deshalb shoppe ich meist online. Ich würde mir wünschen, dass die Modeindustrie mehr Rücksicht auf verschiedene Körperformen nehmen würde.
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Sichtbarkeit ist sehr wichtig, deshalb finde ich es gut, dass Marken heute häufiger Models mit Behinderung buchen als früher. Als Teenager hätte mir das geholfen, mich und meinen Körper mehr zu akzeptieren. Damals habe ich immer nur diese perfekten Models gesehen und hatte viele Probleme mit mir selbst.
Natürlich gibt es diversity washing, viele Unternehmen, die eigentlich gar nicht inklusiv oder divers sind, aus Marketinggründen aber diesen Anschein erwecken wollen. Das ist nicht richtig. Grundsätzlich freue ich mich aber, in der Gesellschaft endlich mehr gesehen und repräsentiert zu werden.
In der Pandemie habe ich begonnen, auf Social Media aktiv zu werden. Zuerst ging es nur um Bücher, dann habe ich entschieden, mehr über mein Leben zu erzählen. Ich habe mich als Teenager oft allein und unverstanden gefühlt, deswegen möchte ich jetzt anderen Menschen mit Behinderungen Mut machen, aufklären und Vorurteilen entgegenwirken. Es ist mir aber auch wichtig, anderes zu thematisieren, weil mich mehr ausmacht als nur meine Behinderung. Social Media hat mich selbstsicherer gemacht und abgehärtet. Das hilft mir im Alltag, denn sobald ich draußen unterwegs bin, stehe ich ungewollt im Mittelpunkt.
Dieser Text ist Teil der Sonderausgabe zum feministischen Kampftag am 8. März 2024, in der wir uns mit den Themen Schönheit und Selbstbestimmung beschäftigen. Weitere Texte finden Sie hier in unserem Schwerpunkt Feministischer Kapmpftag.
Vor kurzem habe ich wieder angefangen, was ich erlebe, mit Kunst zu verarbeiten. Zum Beispiel Hasskommentare aus Social Media, wie es sie etwa gab, als Victoria’s Secret Videos von seiner Modenschau für adaptive Unterwäsche gepostet hat. Auf TikTok haben viele Menschen geschrieben, Menschen mit Behinderungen sollten nicht modeln. Diese Kommentare habe ich in einem Bild als Material benutzt. Darauf bin ich in meinem Rollstuhl zu sehen, und die Kommentare habe ich auf Papier wie ein Kleid aufgeklebt. Für mich sind solche Reaktionen ein Anreiz, noch lauter zu werden.
Melis Gedik, 26, Studentin aus Frankfurt
Mein Rollstuhl ist mein Thron. Natürlich zieht er den einen oder anderen Blick auf mich. Um ihn noch schöner zu machen, habe ich mir Speichenschutze besorgt, die ich passend zu meinem Outfit und meiner Laune auswähle. Auf einem sind Nicki Minaj und Beyoncé abgebildet, auf dem anderen Tupac und Aaliyah.
Schon im Kindergarten habe ich mir jeden Abend meine Outfits für den nächsten Tag zurechtgelegt. Meine Mutter durfte nicht mit entscheiden, was ich anziehe. Auch heute liebe ich es, mich hübsch zu machen. Ich fühle mich immer schön, besonders, wenn ich mir Zeit für mein Outfit und Make-up genommen habe. Es gibt Tage, an denen bin ich eher lässig unterwegs. An anderen mag ich es femininer.
Da ich etwas kleiner bin, gibt es das meiste, was ich gerne tragen würde, gar nicht in meiner Größe. Aber ich habe meine Tricks: Ich kremple Jogginghosen nach innen oder schneide Ärmel ab. Manches bringe ich auch zum Schneider. Bei Schuhen ist es schwieriger: Ich habe Größe 29. Sneakers, die mir gefallen, werden in meiner Größe meist gar nicht produziert.
Als Kind konnte ich nicht damit umgehen, wenn Leute mich angestarrt haben. Mittlerweile genieße ich es sogar, wenn ich angeschaut werde. Andere müssen sich Mühe geben, aufzufallen. Ich muss nicht viel machen, um Aufmerksamkeit zu bekommen.
Ich finde es richtig toll, dass jetzt auch Marken normalisieren, dass Menschen im Rollstuhl sitzen. Sogar eine Barbie mit Rollstuhl gibt es inzwischen. Es könnten aber noch viel mehr werden.
Auf Social Media gehe ich auch selbst Kooperationen mit Modelabels ein. Zum Beispiel habe ich auf Instagram Fotos von mir in Dessous für Savage X Fenty gepostet, das Unterwäschelabel von Rihanna. Ich habe dafür viele Hass-Kommentare bekommen: Man sollte einen Körper wie meinen nicht so zeigen, hieß es darin.
Mich hat das noch weiter angestachelt. Ich hoffe, dass ich mit meinen Posts anderen Frauen dabei geholfen habe, sich wohler zu fühlen. Dass ich eine Beeinträchtigung habe, heißt doch nicht, dass ich mich verstecken muss. Und Unterwäsche ist das Normalste der Welt.
Janina Nagel, 31, ist Content Creator in Berlin
Schönheit hat für mich viel mit Selbstakzeptanz zu tun. Jeder kann schön sein, dafür gibt es keine Voraussetzung. Gestern war ich auf einem Konzert und hatte neue Schuhe an, die ich mit einem farblich passenden Oberteil kombiniert habe. Da habe ich mich schön gefühlt. Mittlerweile passiert mir das öfter.
Durch meinen Kleinwuchs habe ich ein Hohlkreuz, außerdem ein kräftigeres Becken und einen eben solchen Po. Früher habe ich sehr oft gehört, ich solle meinen Po kaschieren, also immer ein Top auswählen, das weit und lang genug ist, ihn zu bedecken und um Gottes Willen keinen Rock tragen, denn Röcke fallen aufgrund meines Hohlkreuzes vorne länger als hinten. Jahrelang hat mich das davon abgehalten, Dinge einfach auszuprobieren. Dabei ist es viel wichtiger, dass ich mich in einem Outfit wohlfühle. Das strahle ich dann auch aus, werde positiver wahrgenommen und bekomme eher Komplimente.
Mode muss definitiv inklusiver werden. Es gibt für mich viele Hürden und nur einen Weg, diese zu meistern: mit Geld. Wenn mir etwas gefällt und nicht passt, bringe ich es zum Änderungsschneider. Da kann ich sehr pingelig sein, besonders bei Hosen. Ich möchte nicht, dass sie nur abgeschnitten und umgenäht werden, sondern dass der originale Saum unten drankommt. Auch das Kürzen von Ärmeln bei Winterjacken ist für meinen Schneider eine Herausforderung.
Ich shoppe fast nur online, in Geschäften ist die Frustration zu groß. Das fängt schon bei den Umkleiden an. Die wenigsten sind barrierefrei. Oft gibt es Vorhänge, die man mit einer Öse oben festhaken muss. Allein dafür müsste ich schon jemanden um Hilfe bitten. Viele Vorhänge sind außerdem so knapp geschnitten, dass man mich dahinter wegen meiner kurzen Beine bis zur Unterhose sehen kann.
Ich bin Content Creator. Je mehr Reichweite ich auf Social Media generiere, desto mehr negative Kommentare bekomme ich. Von den einen Leuten höre ich, dass ich mich zu freizügig zeige, andere wollen, dass ich noch mehr zu mir stehe. Inzwischen habe ich verstanden, dass nicht ich das Problem bin, wenn sich jemand durch meine Posts getriggert fühlt.
Luisa L’Audace, 27, Aktivistin, Autorin und Beraterin für Inklusion und Antidiskriminierung aus der Nähe von Bremen
Es hat sehr lange gedauert, bis ich gelernt habe, meinen Körper und mich selbst zu akzeptieren. Ich bin behindert geboren, habe aber erst mit Anfang 20 begonnen, mich damit zu identifizieren, ohne mich zu schämen. Nach und nach habe ich gemerkt, dass das, was ich anerzogen bekommen habe, nur ein gesellschaftliches Konstrukt ist: Nämlich, dass ich bestimmte Teile an meinem Körper nicht schön finden darf. Seitdem weiß ich, dass es schon fast eine Form von Protest ist, mich selbst gut zu finden.
An Mode und Make-up war ich schon immer interessiert, habe mich aber oft nicht repräsentiert gefühlt. Zum Beispiel in Onlineshops: Leute, die keinen Rollstuhl nutzen, wissen das oft nicht, aber Kleidung sieht im Sitzen komplett anders aus als im Stehen. Woher soll ich beispielsweise wissen, wie die Hose an mir aussieht, wenn die Models alle stehen? Zumal Hosen im Sitzen oft viel zu kurz sind.
Dass ein paar Modefirmen mittlerweile auch mit behinderten Models arbeiten, ist positiv, meist sind das aber bisher Personen, die abgesehen vom Merkmal Behinderung als sehr normschön wahrgenommen werden. Sie sind zum Beispiel meistens schlank, weiß und haben normschöne Gesichter. Wirklich divers ist das oft noch nicht.
Im Alltag haften egal, wo ich mich aufhalte, die Blicke auf mir. Teilweise sind sie sehr abwertend, aber auch neugierig, fast schon sensationsgierig oder aber mitleidig. Es gibt Menschen, die stehenbleiben, die sich umdrehen, die mit dem Finger auf mich zeigen. Manchmal höre ich auch Aussagen wie: „Dafür, dass du im Rollstuhl sitzt, bist du echt schön.“ Aber warum denn dieses „dafür“? Ist der Rollstuhl ein Makel, den ich mit Schönheit wieder aufwiegen muss? Warum bedingt sich das?
Für mich hat Schönheit viel mit dem Charakter von Menschen zu tun. Wenn eine Person den Mund aufmacht und nur diskriminierende Worte herauskommen oder sie sich generell gemein ihren Mitmenschen gegenüber verhält, kann sie äußerlich so schön sein, wie sie will. Menschen können andererseits auch immens an Schönheit gewinnen, wenn sie genau das eben nicht tun, respektvoll sind und nicht alles sofort bewerten.
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