Schöner Müll In Schreinereien fällt viel Abfallholz an, das verfeuert wird. Auch bei den Baufachfrauen war das so. Bis eine einen genialen Satz sagte: Abfall oder Picknickmöbel
Von Waltraud Schwab
Jutta Ziegler steht im Holzlager der Schreinerei der Baufachfrauen in Berlin, zeigt zuerst links auf Holz, das noch verwertet wird, und dann rechts auf Material, das weggeworfen werden soll. Auf beiden Seiten steht das Gleiche: Holzplatten, Leisten, große und kleine Stücke, manche rund, Material, aus dem man Schränke bauen könnte, Vollholz, beschichtetes Holz, Tischlerplatten. „Super Material“ sagt Ziegler zu Letzterem. Sie ist noch etwas wortkarg, obwohl sie doch erklären will, wie die Baufachfrauen Pionierinnen beim Recycling von Abfallholz wurden.
Der Verein Baufachfrau entstand in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, mit dem Ziel, Frauen im Bauhandwerk zu vernetzen. Neben der wirtschaftlich arbeitenden Schreinerei entwickelte sich der Verein auch zu einem Qualifizierungs- und Bildungsträger für Frauen in Bauberufen. Arbeitsfördermaßnahmen, Denkmalpflege, Entwicklungsprojekte im Lehm- und Gartenbau, Zusammenarbeit mit Schulen – alles gehört zum Portfolio. Mehrfach preisgekrönt ist der Verein für seine Projekte.
Ideenwerkstatt
Jutta Ziegler, Architektin, kam vor zehn Jahren zu den Baufachfrauen. Jetzt soll sie erklären, wie es kam, dass Abfallholz nicht einfach zur Verbrennung gefahren, sondern neu in den Wirtschaftskreislauf eingespeist wurde. Sie erklärt es so: Einmal im Monat mindestens rief die Werkstattleiterin ihren Kolleginnen in der Verwaltung zu, dass sie kommen sollen, wenn sie noch etwas wollen aus dem mit Abfallholz voll geladenen Lastwagen.
600 Schreinereien gibt es allein in Berlin. Jede fährt im Schnitt einen Container Abfallholz im Monat in die Verbrennung. „Man muss sich diese Mengen an Weggeworfenem vorstellen.“ Thermische Energiegewinnung sei aber noch die am wenigsten effektive Art, mit Ressourcen umzugehen, und die Schreinereien würfen eindeutig werthaltiges Material weg.
Es sei doch so, sagt Ziegler: Unter die großen computergesteuerten Sägen, die alles ausschneiden können – und sei es noch so barock in der Form – schiebe man in Schreinereien eben lieber ganze Platten. Zeit sei Geld und das Rohmaterial – Holz – noch immer zu billig. Stahl im Gegensatz dazu werde zu fast 100 Prozent recycelt.
So weit die Vorgeschichte. Und da stand also an jenem späten Nachmittag im Jahr 2008 wieder dieser voll geladene Transporter, die Schreinerin rief, sie fahre nun los, und plötzlich sagte eine im Projektentwicklungsteam: „Wir müssen etwas machen mit diesem Holz, anstatt es wegzuwerfen. Es kann nicht sein, dass das Müll ist.“ Manchmal reicht so ein Satz. Er war die Geburtsstunde des Projekts HiKK – Holz im Kreativkreislauf – beim Baufachfrau e. V. „Holz ist etwas Besonderes“, sagt Ziegler, „weich, haptisch, formbar.“ Sie streicht beim Sprechen mit der Hand durch die Luft, als sei die Luft die Maserung eines Brettes.
Nachdem die Idee in der Welt war, Abfallholz wieder in den Nutzungskreislauf einfließen zu lassen, stellte sich die entscheidende Frage: Wie? „Mit Versuch und Irrtum“, sagt Ziegler. Drei Durchläufe hatte HiKK inzwischen. Etwa entwarfen die Baufachfrauen Objekte – Klemmbretter, Schuber, Regale –, bei denen intarsiengleich verschiedene Hölzer verarbeitet sind, und ließen diese Ideen in die Schreinerausbildung einfließen. Obwohl die Objekte sehr schön sind, sind sie unwirtschaftlich, da zu teuer im Verkauf. „Alle wollen sie, niemand will einen angemessenen Preis dafür zahlen.“
Die Baufachfrauen fanden im Laufe der Zeit heraus, dass effektive Weiterverwertung von Restholz nur dann in großem Maßstab klappt, wenn das Material vielen Leuten zur Verfügung gestellt und mit der Vermittlung von Know-how verknüpft wird.
Im Rahmen des HiKK-Projekts wurde Ziegler deshalb mit Kolleginnen zu einer Fahrenden in Sachen Holzbau. Mit zwei Schiffscontainern sind sie unterwegs: einer ist voller Restholz, der andere kann von allen Seiten aufgeklappt werden, darin ist eine Werkbank, an der von vier Seiten unter Anleitung gearbeitet werden kann. Schulklassen, Hobbybastler, Flüchtlinge, manchmal auch Leute, die einfach von HiKK gehört haben, arbeiten an der Werkbank und bauen sich ihre Möbel aus Abfallholz. Meistens stehen die Container auf dem Gelände des Westhafens in Berlin.
Parallel arbeitet HiKK auch mit sozialen Einrichtungen. Ein Nachbarschaftshaus bekam eine mobile Bühne, eine Flüchtlingsunterkunft einen Raum, den die Frauen selbst gestalteten für ihre Treffen und für Deutschkurse. HiKK wurde mit öffentlichen Geldern gefördert, die im März versiegen. Die Baufachfrauen arbeiten nun an einem Nachfolgeprojekt.
Dann schließt Ziegler ein Lager auf, in dem einfach nachzubauende Objekte aus Restholz stehen: Bänke, Gartenmöbel. Darunter auch die Flaschenkiste, aus der, dreht man den Henkel und die Kiste um, ein Hocker mit Lehne wird. Wer das Objekt sieht, wird von einer Picknicksehnsucht erfasst, auch jetzt mitten im Winter. „Der Kistenhocker, ja“, sagt Ziegler, „alle finden den toll.“
Anleitung
Für den Flaschenkistenhocker mit Lehne braucht man 7 bis 9 cm breite, 1 bis 1,5 cm dicke Bretter: 5 Streifen à 34 cm x 7 cm (für Längs- und Henkelseiten), 1 Streifen 38 cm x 7 cm (für eine Längsseite unten), 1 Streifen 34,4 cm x 7 cm (für das, was später die Lehne sein wird), 10 Streifen à 22 cm x 7 cm (für Querseiten und Boden), Schrauben und Dübel (8 mm).
Die Kiste ist einfach zu bauen. Der Clou: Eine Leiste auf der Seite ist länger als die anderen. Daran stößt der Henkel, wenn er umgedreht wird und bekommt so als Lehne Halt. Für eine detaillierte Anleitung: Mail an muell@taz.de.
Die Genussseite: Autorinnen der taz beschreiben einmal im Monat, wie man aus Müll schöne Dinge macht. Außerdem im Wechsel: Wir kochen mit Flüchtlingen, Jörn Kabisch befragt Praktiker der Kulinarik und Philipp Maußhardt vereinigt die europäischen Küchen
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