Schönefeld: Millionenschwere Warteschleife
Nach der verschobenen Flughafen-Eröffnung gibt es Streit über einen neuen Termin. Klar ist: Die wirtschaftlichen Folgen für Berlin und seine Firmen werden gravierend sein.
Einen Tag nach der überraschenden Verschiebung des Eröffnungstermins für den neuen Flughafen herrscht bei Verantwortlichen und Betroffenen Verwirrung. Mehrere Stimmen wurden laut, es habe sich bereits Anfang April abgezeichnet, dass der Termin nicht zu halten war.
Wie hoch mögliche Schadenersatzforderungen sind, ist völlig unklar. Schon ohne diese Kosten rechnet der Betreiber mit monatlich 15 Millionen Euro. Auch über den neuen Eröffnungstermin gibt es Streit. „Wir hoffen, Anfang nächster Woche den Termin bekannt geben zu können“, sagte Flughafenchef Rainer Schwarz am Mittwoch. Die Flug- und Tourismusbranche glaubt jedoch nicht, dass eine Eröffnung vor Oktober realistisch ist, Air Berlin fordert gar einen verlässlichen Termin ab November. Die Unternehmen am Flughafen spüren die Auswirkungen allerdings schon jetzt.
Derzeit überarbeiten die Airlines ihre Flugpläne. Lufthansa und Air Berlin, die wichtigsten Kunden des neuen Flughafens, wollen auch nach dem 3. Juni von Tegel fliegen. Kein Flug werde ausfallen, versicherte Lufthansa-Sprecher Wolfgang Weber. Ob Schadenersatz gefordert werde, sei noch unklar.
Die Berliner Wirtschaft befürchtet indes starke finanzielle Einbußen. Der Chef der Berliner Industrie- und Handelskammer rechnet mit einer Vielzahl von Schadenersatzklagen. Nils Busch-Petersen, Geschäftsführer des Berliner Handelsverbands, sagte, die Händler am Flughafen würden monatlich Verluste in Millionenhöhe machen. Die Flughafengesellschaft, die zu je einem Drittel von Berlin und Brandenburg sowie dem Bund getragen wird, habe allerdings bereits zugesagt, bei Härtefällen einzuspringen – wenn also wirtschaftlicher Ruin droht.
Beim Holiday Inn in Schönefeld seien allein am Dienstag rund 200 Stornierungen eingegangen, so Geschäftsführer Thomas Tarnok. Auch die Autoverleiher müssen umplanen: Europcar etwa erklärte, dass das Buchungssystem komplett umgestellt werden müsse.
Burkhard Kieker, Geschäftsführer des Tourismusportals Visit Berlin, rechnet zwar nicht damit, dass sich die Verschiebung der Eröffnung negativ auf den Tourismus in der Stadt auswirkt. Konkrete Nachteile ergeben sich allerdings für Visit Berlin selbst: Für das Welcome Center am Flughafen hat die Agentur bereits 21 Mitarbeiter eingestellt. Diesen sollen bis zur tatsächlichen Eröffnung nun Schulungen finanziert werden.
Wie viele Mitarbeiter bereits am neuen Flughafen eingestellt wurden und wann sie nun tatsächlich anfangen können zu arbeiten, war am Mittwoch unklar. Manfred Pollnow, Geschäftsführer der Arbeitsagentur Brandenburg, sagte der taz, die Unternehmen würden weiter Personal suchen – wenn auch für einen späteren Zeitpunkt. Die Arbeitsagentur habe bisher 300 Angestellte an den Flughafen vermittelt. Was mit diesen nun geschehe, hänge vom „Einzelfall ab“, so Pollnow.
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) will am morgigen Donnerstag eine Regierungserklärung zur Verschiebung der Flughafeneröffnung abgeben. Offene Fragen gibt es zuhauf: Nach Informationen des Grünen-Verkehrspolitikers Anton Hofreiter etwa hat der Flughafen-Betreiber bereits am 4. April eine Sondergenehmigung beantragt, um die Brandschutztüren durch 700 befristet eingestellte Mitarbeiter von Hand bedienen zu lassen. „Von kurzfristigen Hinweisen auf eine Verzögerung kann da doch nicht mehr die Rede sein“, sagte Hofreiter dem Tagesspiegel. Auch der Grüne Andreas Otto kritisierte die Informationspolitik des Senats: „Wir haben viele Fragen und wir wollen Antworten.“ Er schließe auch einen Untersuchungsausschuss nicht aus.
Der CDU-Kreisverband Tegel fordert währenddessen, den Flughafen Tegel mindestens fünf Jahre länger offen zu halten. Ebenfalls in Kreisen der Reinickendorfer Union wurde – entgegen der offiziellen CDU-Linie – Kritik an Wowereit und Platzeck laut: Deren Äußerungen seien „als durchaus dreist zu bewerten“, sagte Bezirkspolitiker Ulrich Droske.
Beide Politiker hätten offenbar ihre Pflicht zur Kontrolle aufs schlimmste verletzt. „In der Privatwirtschaft hätte dieses Fehlverhalten sicherlich Konsequenzen zur Folge“, so Droske am Mittwoch. (Mit STA und BZ)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers