Schmerzmittel im Profisport: Im Sadismus-Stadl
Im Profifußball ist der Einsatz von Schmerzmitteln alarmierend hoch, ergibt eine aktuelle Studie. Folgen für Sportler*innen werden hingenommen.
Fußball kann wehtun. Daran erinnern sich noch Freizeitkicker*innen aus der Zeit vor dem Lockdown, als ihnen Fuß, Knie, Ellenbogen oder Kopf von Gegner*innen in den Leib gerammt wurden. Das pandemiebedingte Kickverbot sorgte für einen erheblichen Schmerz- und Blessurenrückgang – ein kleines Glücksmoment im allgemeinen Covid-19-Unglück. Profifußballer*innen erleben dieses Glücksmoment nicht. Sie müssen weiter spielen. Und sie nehmen sicher auch jetzt, im Geisterspielmodus, viele Schmerzmittel ein.
Das legt jedenfalls eine Studie der Nationalen Antidopingagentur NADA nahe. In ihr wurden insgesamt 8.344 Dopingkontrollformulare aus der Bundesliga, der 2. und der 3. Liga sowie der Frauenbundesliga und der Juniorenbundesliga A und B aus den Jahren 2015 bis 2020 ausgewertet. Bei jedem dritten dieser Formulare wurde Schmerzmittelkonsum angekreuzt.
Die Studie, die in der Märzausgabe der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin veröffentlicht wurde, bestätigt damit Recherchen der ARD-Dopingredaktion und des Recherchekollektivs Correctiv. Sie hatten im Juni letzten Jahres Ergebnisse einer Befragung von 1.142 Profis und Amateuren vorgestellt. Da gab sogar fast jeder Zweite (47 Prozent) der Befragten an, mehrmals pro Saison Schmerzmittel einzunehmen, jeder Fünfte (21 Prozent) regelmäßig, mindestens einmal pro Monat. „Fast 42 Prozent der Teilnehmer wollen mit den Pillen Einfluss auf ihre Leistung nehmen. Sie wollen die Belastbarkeit erhöhen, an Sicherheit gewinnen und den Kopf frei haben. Einige erklärten in der Befragung auch direkt, ihre Leistung steigern zu wollen“, heißt es im Text zur Motivation zum Pillenschlucken und Salbenschmieren.
Zumindest von der Motivation her handelt es sich also um Doping. Für die Weltantidopingagentur stellen Schmerzmittel allerdings keine verbotenen Substanzen dar. WADA-Forschungsdirektor Olivier Rabin fand keine wissenschaftlichen Beweise, dass Schmerzmittel die Leistung steigern. „Sie können lediglich die Leistung wiederherstellen“, meinte er. Wenn jemand dennoch Schmerzmittel nimmt, um die Leistung zu steigern, ist er also entweder ein Wissenschaftsleugner – oder die eigene Erfahrung falsifiziert die Wissenschaft.
Frauen greifen häufiger zu Schmerzmitteln
Für den früheren Leiter des Kölner Antidopinglabors Hans Geyer ist der Konsum von Schmerzmitteln auf jeden Fall Doping. „Man kann bessere Leistungen bringen als normalerweise. Und Nebenwirkungen von Schmerzmitteln können gravierend sein“, sagte Geyer der ARD. In Sachen Schmerzmittel tobt also ein ideologischer Krieg in der Antidopingszene.
Effekte aufr den Wettkampfbetrieb hat die Schmerzmitteleinnahme auf alle Fälle. Fitgespritzte können häufiger spielen, Trainer*innen haben mehr taktische Optionen. Vor allem die Arbeitgeber, also die Sportvereine, haben wirtschaftliche und wettbewerbsrelevante Interessen am Schmerzmittelkonsum ihrer Angestellten.
In der NADA-Statistik fiel auf, dass besonders häufig in den Pokalwettbewerben Schmerzmittel eingesetzt werden. 56 Prozent aller Befragten, die in der Saison 2016/17 am DFB-Pokal teilnahmen, und 43 Prozent aller Befragten der Pokalsaison 2018/19 gaben Schmerzmitteleinnahme zu. Borussia Dortmund und Bayern München hießen die Sieger dieser Schmerzensschlachten. Über die Jahre lässt sich immerhin in der Bundesliga abnehmender Schmerzmittelkonsum beobachten, von 39 Prozent in der Saison 2015/16 auf 30 Prozent in der letzten Saison. Dafür wurde in den unteren Ligen jeweils mehr geschluckt und gespritzt. Häufiger noch als die Männer greifen Frauen zu Schmerzmitteln. Zwischen 33 und 46 Prozent schwankte in der Frauenbundesliga die Einnahmequote. Die Studie führte das auch auf die Bekämpfung von Menstruationsschmerzen zurück.
Betäubt für den Wettbewerb
Die NADA zeigte sich generell besorgt über den hohen Schmerzmittelkonsum und warnte vor Langzeitschäden an Niere und Leber. Eine Aufnahme in die Verbotsliste schlug sie nicht vor. Sie regte aber ein regelmäßiges Monitoring der Wirkstoffe im Rahmen der Dopingkontrollen an.
Fußball, so wird deutlich, ist ein echter Schmerzenssport. Sich Spiele anzusehen enthält daher eine starke Prise Sadismus. Durchschnittlich jeder dritte Kicker läuft halb betäubt auf. Wenn man bei den geräuschreduzierten Geisterspielen unserer Tage genau hinhört, bekommt man vielleicht sogar die unterdrückten Schmerzwellen mit. Die Frage ist: Muss diese Art von Sadismus von Arbeitgeber und Publikum sein? Und gehört fröhliche Selbstverletzung tatsächlich zur Rundumausbildung von Fußballprofis?
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