Bildungskürzungen in Schleswig-Holstein: Weniger Lehrkräfte für mehr Schüler*innen
Das Land streicht Hunderte Lehrkräftestellen, obwohl es zukünftig mehr Schüler*innen geben wird. Kritik kommt nicht nur aus der Opposition.

Dabei läuft der schleswig-holsteinische Bildungsapparat nicht gerade rund: Ungefähr ein Zehntel aller Schulabgänger*innen im Bundesland beenden ihre Schullaufbahn ohne ersten allgemeinbildenden Schulabschluss. Der Wert liegt über dem Bundesdurchschnitt.
Der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landesfraktion, Martin Habersaat, befürchtet, dass die Zahl der Abbrecher*innen mit den Stellenkürzungen weiter ansteigt. Er wirft der CDU-geführten Landesregierung eine unsoziale Schulpolitik vor.
Auch für den Sprecher der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Bernd Schauer, sind die Kürzungen ein Schritt in die vollkommen falsche Richtung. Bei den geplanten Einsparungen führe jeder Krankheitstag einer Lehrkraft direkt zu Stundenausfällen und erhöhe den Druck, diese zu kompensieren. Die Lehrkräfte des Landes seien jedoch bereits am Limit des Zumutbaren. Viele von ihnen hätten Probleme, den Beruf überhaupt bis ins Rentenalter auszuüben, sagt Schauer.
Kürzungen betreffen Deutsch als Zweitsprache
Besonders könnten die Streichungen Schüler*innen mit DaZ-Bedarf treffen. Zumindest geht Habersaat von der SPD davon aus, dass weniger Lehrkräftestellen vergrößerte Lerngruppen und damit eine niedrigere Unterrichtsqualität zur Folge haben werden.
Dabei hakt es schon jetzt gerade an dieser Stelle: Laut einem Bericht der Landesregierung aus dem vergangenen Jahr waren rund 20 Prozent der erfassten Schulabbrecher*innen für das Jahr 2022 in eine DaZ-Stufe eingruppiert. Ab dem Folgejahr wurde der Anteil in der Statistik des Ministeriums nicht mehr ausgewiesen.
Diese Überproportionalität ist Bildungsministerin Dorit Stenke (CDU) bewusst. Um die ungewöhnlich vielen Abbrüche im Land zu erklären, hatte sie im Juli im NDR auf strukturelle Probleme hingewiesen, vor die das schleswig-holsteinische Schulsystem vor allem Geflüchtete stelle.
Nun aber gibt Stenke eine zurückgegangene Anzahl für Schüler*innen mit DaZ-Bedarf an. Der bislang letzte parlamentarische Bericht der Landesregierung zur Unterrichtssituation stammt aus dem Dezember des vergangenen Jahres und spricht noch von einem Anstieg.
Kritik an der Bildungsministerin
Bernd Schauer von der GEW ist sich sicher, dass die Kürzungen vor allem die Situation migrantischer Schüler*innen verschlechtere: „Ausgerechnet eine Bevölkerungsgruppe, die sich schwerer organisieren und gegen Bildungsungerechtigkeit protestieren kann, wird von der Landesregierung zu Leidtragenden der Haushaltseinsparungen gemacht.“
Bildungsministerin Stenke teilt die Befürchtung, dass die Stellenkürzungen Auswirkungen auf die Abbruchquote haben würde, indes nicht. Wie die sinkende Lehrkräfteanzahl die Schulabbrüche beeinflussen könne, sei für sie nicht ersichtlich. Die Quote würde aus anderen Gründen ansteigen.
Für GEW-Sprecher Schauer eine abenteuerliche Logik: „Die Qualität der schulischen Betreuung ergibt sich nicht zuletzt auch aus der Anzahl der Lehrkräfte. Die Plausibilität der Formel ‚Bessere Betreuung ist gleich besserer Bildungserfolg‘ lässt sich also schwer leugnen.“
Belastbare Gründe für den Anstieg der Schulabbrüche wird die Ministerin wohl erst in über zwei Jahren verkünden können.
Ein zu diesem Zweck von der Regierung gefördertes Forschungsvorhaben an der Europa-Universität in Flensburg endet im Dezember 2027.
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