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Bildungskürzungen in Schleswig-HolsteinWeniger Lehrkräfte für mehr Schü­le­r*in­nen

Das Land streicht Hunderte Lehrkräftestellen, obwohl es zukünftig mehr Schü­le­r*in­nen geben wird. Kritik kommt nicht nur aus der Opposition.

Bunte Perspektive: Schü­le­r*in­nen in Schleswig-Holstein können wahrscheinlich mit noch mehr Freistunden rechnen Foto: Sven Hoppe/dpa

Hamburg taz | Über 400 Lehrkräftestellen sollen in Schleswig-Holstein gestrichen werden – trotz steigender Schüler*innenzahlen. Laut Landesregierung ist es ein Beitrag, um den Haushalt auszugleichen. Konkret entfallen 200 Stellen an allgemeinbildenden Schulen und 165 an Berufsschulen. Weitere 33 Stellen sind es beim Unterricht in Deutsch als Zweitsprache (DaZ).

Dabei läuft der schleswig-holsteinische Bildungsapparat nicht gerade rund: Ungefähr ein Zehntel aller Schul­ab­gän­ge­r*in­nen im Bundesland beenden ihre Schullaufbahn ohne ersten allgemeinbildenden Schulabschluss. Der Wert liegt über dem Bundesdurchschnitt.

Der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landesfraktion, Martin Habersaat, befürchtet, dass die Zahl der Ab­brecher*in­nen mit den Stellenkürzungen weiter ansteigt. Er wirft der CDU-geführten Landesregierung eine unsoziale Schulpolitik vor.

Auch für den Sprecher der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Bernd Schauer, sind die Kürzungen ein Schritt in die vollkommen falsche Richtung. Bei den geplanten Einsparungen führe jeder Krankheitstag einer Lehrkraft direkt zu Stundenausfällen und erhöhe den Druck, diese zu kompensieren. Die Lehrkräfte des Landes seien jedoch bereits am ­Limit des Zumutbaren. Viele von ihnen hätten Probleme, den Beruf überhaupt bis ins Rentenalter auszuüben, sagt Schauer.

Kürzungen betreffen Deutsch als Zweitsprache

Besonders könnten die Streichungen Schü­le­r*in­nen mit DaZ-Bedarf treffen. Zumindest geht Habersaat von der SPD davon aus, dass weniger Lehrkräftestellen vergrößerte Lerngruppen und damit eine niedrigere Unterrichtsqualität zur Folge haben werden.

Dabei hakt es schon jetzt gerade an dieser Stelle: Laut einem Bericht der Landesregierung aus dem vergangenen Jahr waren rund 20 Prozent der erfassten Schulab­bre­che­r*in­nen für das Jahr 2022 in eine DaZ-Stufe eingruppiert. Ab dem Folgejahr wurde der Anteil in der Statistik des Ministeriums nicht mehr ausgewiesen.

Diese Überproportionalität ist Bildungsministerin Dorit Stenke (CDU) bewusst. Um die ungewöhnlich vielen Abbrüche im Land zu erklären, hatte sie im Juli im NDR auf strukturelle Probleme hingewiesen, vor die das schleswig-holsteinische Schulsystem vor allem Geflüchtete stelle.

Nun aber gibt Stenke eine zurückgegangene Anzahl für Schü­le­r*in­nen mit DaZ-Bedarf an. Der bislang letzte parlamentarische Bericht der Landesregierung zur Unterrichtssituation stammt aus dem Dezember des vergangenen Jahres und spricht noch von einem Anstieg.

Kritik an der Bildungsministerin

Bernd Schauer von der GEW ist sich sicher, dass die Kürzungen vor allem die Situation migrantischer Schü­le­r*in­nen verschlechtere: „Ausgerechnet eine Bevölkerungsgruppe, die sich schwerer organisieren und gegen Bildungsungerechtigkeit protestieren kann, wird von der Landesregierung zu Leidtragenden der Haushaltseinsparungen gemacht.“

Bildungsministerin Stenke teilt die Befürchtung, dass die Stellenkürzungen Auswirkungen auf die Abbruchquote haben würde, indes nicht. Wie die sinkende Lehrkräfteanzahl die Schulabbrüche beeinflussen könne, sei für sie nicht ersichtlich. Die Quote würde aus anderen Gründen ansteigen.

Für GEW-Sprecher Schauer eine abenteuerliche Logik: „Die Qualität der schulischen Betreuung ergibt sich nicht zuletzt auch aus der Anzahl der Lehrkräfte. Die Plausibilität der Formel ‚Bessere Betreuung ist gleich besserer Bildungserfolg‘ lässt sich also schwer leugnen.“

Belastbare Gründe für den Anstieg der Schulabbrüche wird die Ministerin wohl erst in über zwei Jahren verkünden können.

Ein zu diesem Zweck von der ­Regierung gefördertes Forschungsvorhaben an der Europa-Universität in Flensburg endet im Dezember 2027.

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