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Schlagloch Terror in MaliSelbstverliebte Opfer

Kommentar von Charlotte Wiedemann

Beim Anschlag auf das Radisson Blu in Bamako wurden keine Franzosen getötet. Der Terror bedroht vor allem die Lebensweise von Maliern.

Schwer bewaffnete Soldaten vor dem Radisson Blu in Bamako. Foto: ap

V ielleicht muss man die Geschichte vom Radisson Blu doch anders erzählen.

Erinnert sich jemand? 20. November, Bamako, Mali. Angriff auf das Hotel Radisson Blu, versuchte Geiselnahme. Am Ende 22 Tote und die Behauptung: Dies war ein weiterer Anschlag auf Frankreich – eine Woche nach den Massakern von Paris. Denn Frankreich kämpft in Mali gegen den Terror, kämpft für den Westen, sprich: für unsere freiheitliche Lebensweise.

Könnte es sein, dass sich alles anders verhält? Könnte es sein, dass ein Anschlag in Mali zunächst einmal ein Anschlag auf die Malier ist und ein Angriff auf ihre Lebensweise, nicht auf unsere? Entwickeln wir also versuchsweise ein anderes Narrativ, entlang bisher bekannt gewordener Fakten.

Es war kein Franzose unter den 22 Toten vom Radisson Blu. Die Ausländer unter den Opfern verteilten sich wie folgt: sechs Russen, drei Chinesen, zwei Belgier, je ein Amerikaner, Israeli, Senegalese. Sechs Opfer waren Malier. Zu Tode kamen auch die beiden Angreifer, ebenfalls Malier.

ist Buchautorin und Journalistin. Die freie Autorin wurde mit ihren Reisereportagen aus muslimischen Ländern bekannt. Ende 2014 erschien ihr neuestes Buch bei Pantheon: „Mali oder das Ringen um Würde. Meine Reisen in einem verwun­deten Land“.

Die antifranzösische Spur

Manche Medien bezeichneten das Radisson Blu als ein Luxushotel, es läge in einer Zone von Botschaften und Ministerien. Wer Bamako nicht kennt, mag sich vorgestellt haben, die Täter seien in einen Hochsicherheitsbereich vorgedrungen. Tatsächlich ist in Mali das normale Leben mit seinen Lehmgassen immer gleich um die Ecke – noch ist es jedenfalls so. Ein paar Gehminuten vom Radisson Blu entfernt befindet sich das bescheidene Büro von Malis Hohem Islamischem Rat, dessen Vorsitzender Besuchern den Weg so zu erklären pflegte: am Radisson Blu rechts.

Was bisher über die Täter bekannt wurde, passt wenig zum Medienbild vom professionellen Anschlag mit der Handschrift al-Qaidas. Den malischen Ermittlern zufolge waren die zwei im Radisson Blu erschossenen Männer die einzigen Angreifer; zwei junge Malier, die zuletzt in einem Viertel im Osten Bamakos wohnten. Zwei weitere Verdächtige wurden verhaftet; die heiße Spur bestand darin, dass einer von ihnen einem Angreifer einen Telefonkredit aufs Handy geschickt hatte. So wird heutzutage in armen Gesellschaften Geld transferiert.

Nach dem Angriff auf das Radisson Blu reklamierten zwei Gruppen die Tat für sich. Die westlichen Medien nannten nur al-Murabitun, eine Al-Qaida-nahe Zelle, von einem Algerier geführt. Dieser Name war Journalisten bereits geläufig; außerdem passte er ins Narrativ vom antifranzösischen Charakter des Anschlags. Was man heute über dessen Ablauf weiß, macht jedoch die zweite Selbstbezichtigung glaubwürdiger. Ihre Urheber sind Einheimische, und die Spur dieser Miliz führt uns mitten hinein in die jüngste malische Tragödie.

Örtliche Milizen

Die Massina-Befreiungsfront besteht aus jungen Kämpfern, die zur Ethnie der Peulh gehören, ein halb nomadisch lebendes Hirtenvolk. Massina war im 19. Jahrhundert ein islamisches Reich im Gebiet des heutigen Zentralmali, von Peulh gegründet. Den alten Namen zu verwenden, erinnert die Hüter magerer Rinder an einstige Glorie; dazu kommt der ideologische Sud, den ein paar radikale Prediger verbreiten. Die Miliz der Hirten ist ein neues Phänomen.

Ihre Kämpfer, auf bloße 170 geschätzt, fahren bewaffnet auf Mopeds durch staubige Dörfer und verbreiten die Botschaft: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns; und wer gegen uns ist, ist ein Kafir, ein abtrünniger Muslim. Örtliche Autoritätspersonen werden vertrieben, Kasernen der Armee angegriffen. Parlamentarier trauen sich kaum mehr in die Gegend.

Allerdings wurde ein Anführer der Miliz jüngst verhaftet; der Angriff auf das Radisson Blu könnte die Rache gewesen sein. Was genau am jenem 20. November geschah, werden wir nie erfahren. Die Berichterstattung über Terrorakte besteht zumeist aus ideologisch gefälligen Zuschreibungen. Die Realität im leidgeprüften Mali passt dort nicht hinein.

Was bisher über die Täter bekannt wurde, passt wenig zum Bild eines professionellen Anschlags

Bei Spiegel Online war nach dem Attentat zu lesen: „Blutige Kämpfe gehören in Mali seit Jahren zum Alltag.“ Ein Satz wie ein Fußtritt; er befördert ein ganzes Land in den Orkus.

Tatsächlich ist Gewalt in Mali ein junges Phänomen, die Gesellschaft ist nicht gerüstet dafür. Die meisten Malier sehen mit fassungslosem Schrecken, dass ihr Molenbeek nun im Binnendelta des Niger liegt. Und wie der westliche War on Terror in der fragilen Struktur eines Vielvölkerstaats zu Verwerfungen führt, die neue Gewalt gebären.

Zur Illustration nur ein Detail: Steigbügelhalter der Dschihadisten, die 2013 den Norden des Landes besetzten, war eine säkulare Tuareg-Miliz, mit der Frankreich bis heute kooperiert. Die Hirten der Peulh schufen sich ihre eigene Miliz zunächst zur Selbstverteidigung gegen eben jene Tuareg-Kämpfer. So komplex ist die Lage in Mali. Das Wichtigste aber ist: Die „Befreiungsfront“ der Peulh entstand wie andere Milizen erst nach der Intervention durch die französischen Streitkräfte – sie ist Teil des politisch-militärischen Fallouts dieser Intervention. Es gibt heute, anders als 2013, einen genuin einheimischen Terrorismus in Mali.

Fallout der Intervention

In einem Bericht des malischen Geheimdienstes, den die Zeitschrift Jeune Afrique kürzlich auswertete, heißt es: „Die militärischen Operationen haben zu einer Zerstückelung der dschihadistischen Szene geführt […]. Die terroristische Bedrohung dauert an und hat sich über die ganze Ausdehnung des nationalen Territoriums verbreitet, mit neuen Gruppierungen in Zentral- und Südmali.“

Wie seltsam: Die wohlhabenden Gesellschaften des Westens, deren Regierungen den Terrorismus zumindest zum Teil mit gezüchtet haben, gefallen sich heute darin, auf Cocktailpartys von der Bedrohung ihrer Lebensweise zu reden. Den armen Gesellschaften ist solch selbstverliebter Opferdiskurs fremd. Dabei ist ihre Lebensweise viel mehr bedroht. Denn die Armen verlieren das wenige, was sie hatten: den innergesellschaftlichen Zusammenhalt, die Gelassenheit, das Laisser-faire. Das Vertrauen in den Nachbarn.

Statt Trikolorefähnchen brauchen wir neue Narrative. In denen Égalité überhaupt wieder denkbar wird.

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