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Schlagloch SelbstzensurDas große Datenraffen

Kommentar von Ilija Trojanow

Das hat die NSA mit ihrer Schnüffelei schon geschafft: Schriftsteller zensieren sich selbst. Ein Sechstel aller US-Autoren haben die Schere im Kopf.

Die scheinbar allgegenwärtige Überwachung ist nicht ohne Wirkung Bild: dpa

A uf den Türen der Wiener U-Bahn sind zwei Aufkleber zu sehen, ein grüner, der eine Überwachungskamera abbildet, und ein blauer, der einen Kinderwagen zeigt. Die Aussage ist klar und einfach: Wir weisen Sie daraufhin, dass Sie von der Wiege bis zur Bahre unter Beobachtung stehen.

So muss es jeder verstehen, der die medialen Enthüllungen und Diskussionen der letzten Monate auch nur ansatzweise verfolgt hat. Dabei hat sich der Schwerpunkt des öffentlichen Diskurses in dieser Zeit auf erstaunliche Weise verschoben.

Die Existenz der allumfassenden Massenüberwachung wird nicht mehr bestritten, wie noch vor wenigen Jahren, als Kritiker des Buches „Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte“ Juli Zeh und mir Hysterie vorwarfen.

Inzwischen wird das Ausmaß des Datenraffens nicht in Abrede gestellt, sondern vielmehr eifrig darüber diskutiert, ob eine derartige Generalkontrolle Schaden anrichtet oder nicht. Dabei wird meistens nach unschuldigen Opfern gesucht, der gesamtgesellschaftliche Schaden hingegen gerne außer Acht gelassen („Ich habe eh nichts zu verbergen …“).

Manche verneinen jegliche Gefahr für die Rechte des Bürgers, weil die Daten zwar angehäuft, selten aber durchforstet oder gar bearbeitet werden. Andere behaupten, es könne heutzutage und in Zukunft angesichts der technischen Entwicklung ohnehin keine Privatsphäre mehr geben, und Dritte wiederum bezweifeln grundsätzlich, dass Überwachung per se eine repressive Maßnahme sei („solange ich nicht im Morgengrauen in Handschellen abgeführt werde …“).

Ilija Trojanow

ist Schriftsteller und Weltensammler. Veröffentlichungen: „Stadt der Bücher“ (mit Anja Bohnhof), München 2012, und „Die Versuchungen der Fremde: Unterwegs in Arabien, Indien und Afrika“, München 2011.

Wer sich derart weltfremd selbst beruhigt, wird über eine Umfrage, die der US-amerikanische PEN neulich bei seinen Mitgliedern durchgeführt hat, staunen. Unter der passenden Überschrift „Chilling Effects“ wird festgestellt, dass 16 Prozent der Befragten bestimmte Themen inzwischen bewusst vermeiden, nicht nur im persönlichen Gespräch und in E-Mails, sondern auch in ihren Texten.

Mit anderen Worten: Fast ein Sechstel aller Autoren in den USA übt schon eine Art der Selbstzensur aus, und ein weiteres Sechstel hat diese schon einmal ernsthaft in Erwägung gezogen.

Es ist anzunehmen, dass die Zahlen in Deutschland ähnlich aussehen würden. Bedenkt man, dass wir erst in diesem Jahr schlüssige und unwiderlegbare Beweise für die globale Überwachungsmaschinerie erhalten haben, ist es mehr als bemerkenswert, wie effektvoll sich diese neue Realität in den Köpfen der Intellektuellen bereits eingenistet hat.

Die sanfte Form der Repression

Allein die Tatsache, dass jene Autorinnen und Autoren, die in den letzten Monaten publizistisch gegen die grassierende allgegenwärtige Überwachung protestiert haben, gelegentlich zu hören bekommen, wie „mutig“ sie seien (durchaus als Kompliment gemeint), zeigt, wie sicher sich viele schon sind, dass kritische Meinungsäußerung unangenehme Konsequenzen nach sich ziehen kann. In einer wirklich freien Gesellschaft müsste die Rettung eines in Not geratenen Schwimmers aus den Fluten der Ostsee als mutig gelten, nicht aber ein Text, ein Interview oder eine Petition.

Repression muss keineswegs stets brutal und aggressiv daherkommen. Im Gegenteil: Die effizienteste Repression ist jene, die dem Einzelnen das Duckmäusertum so schmackhaft macht, dass er sich selbst auf untertänige Diät setzt.

Leere Schubladen

Bei langlebigen Diktaturen, etwa den Regimes des ehemaligen Ostblocks, nahm die Überwachung in dem Maße zu, in dem gewalttätige Repression abnahm. Dem geheimdienstlichen Apparat gelang es aufs Erfolgreichste, der Bevölkerung Einsicht in die Notwendigkeit des Gehorsams zu vermitteln. Auch den Schriftstellern.

Vor 1989 erwarteten viele im Westen, dass nach dem Zusammenbruch des Systems unzählige Manuskripte aus den Schubläden kreativer Geister zwischen Ostberlin und Wladiwostok auftauchen würden. Geschrieben, aber nicht veröffentlicht, aus was für Gründen auch immer. Doch die Schubladen erwiesen sich in den meisten Fällen als leer.

Subversion und Anonymität

Jeder, der sich mit einem solchen System arrangiert hat (Ähnliches gilt natürlich auch für jene, die in Konzernen und anderen streng hierarchischen Institutionen arbeiten), weiß nur zu genau, wo die unsichtbaren Grenzen seiner Meinungsfreiheit verlaufen, ist vertraut mit der Topografie des Erlaubten samt den Grauzonen des Verpönten sowie jenen Schwarzen Meeren des Tabuisierten, die zu besegeln zur Ausgrenzung oder gar Verbannung führen kann.

Und dass dieser Form von Repression durch Massenüberwachung Vorschub geleistet wird, werden nur jene abstreiten, denen an der Effizienz von Macht und Herrschaft mehr gelegen ist als an individueller Freiheit.

Auch die Arbeit der recherchierenden Publizisten (unabhängig davon, ob sie dokumentarisch oder fiktional arbeiten), hängt entscheidend davon ab, dass die Anonymität der Interviewten gegebenenfalls garantiert werden kann; es muss sich dabei nicht gleich um Whistleblower handeln. Zeitzeugen öffnen ihre privaten Archive oft nur aufgrund eines Vertrauensverhältnisses, das nur in der Intimität der jeweiligen Beziehung gedeiht.

Gespräche im Grünen

Momentan können wir nur (er)ahnen, wie sich dieses Verhältnis zum Negativen wandeln wird, wenn davon auszugehen ist, dass jedwede Kommunikation vor den gierigen Lauschern des Staates oder der Privatunternehmen nicht mehr sicher ist. In letzter Zeit habe ich zweimal bei Gesprächen erlebt, dass der Wunsch geäußert wurde, wir mögen zur Fortführung des Gesprächs doch im Park spazieren gehen.

Wer sich gegen eine Übermacht wendet, benötigt oft die Zusicherung der Anonymität. Nur der bedingungslose Jasager hat nichts zu verbergen. In dem Maße, in dem Anonymität verschwindet, wird auch der Wille zur Enthüllung und Entlarvung verloren gehen. Egal, wie man es dreht und wendet, Massenüberwachung ist an sich schon ein repressives Instrument.

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14 Kommentare

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  • O
    ohnolit

    Herr Trojanow

     

    was möchten Sie mit Ihrem Artikel eigentlich bezwecken? Etwa die Menschheit in ihrer ganzen biologisch bedingten Verkommenheit ändern? Räumen Sie mal all die Sedimente weg, die wir schönfärbend Zivilisation nennen, um mal einen klaren Blick zu bekommen. Was sehen Sie da?

  • A
    analogical

    Die Entwicklung des Computers wurde in den 50iger Jahren ja nicht deshalb forciert, weil man der Menschheit damit einen Gefallen machen wollte – sondern weil man die Abwicklung/Bezahlung US-amerikanischer Soldaten auf der ganzen Welt in den Griff bekommen wollte (siehe Josef Weizenbaum).

    Wenn man also verstehen will, warum plötzlich an jeder Straßenecke eine Kamera hängt … warum ausgehorcht und spioniert wird, dann sollte man sich zu allererst frage, wer diese Menschen sind, diese Technologie schaffen. Wenn man so einen Menschen in seiner ganzen Entwicklung kennt – also von seiner Jugend an – dann dürfte eigentlich klar werden, warum das alles so ist. Plötzlich fällt es einem wie Schuppen vor den Augen.

  • Trojanow schreibt ja vieles interessantes.

    Aber mir leuchtet das nicht ein:

    Warum sollte zwischen digitaler Überwachung und Schriftstellerei ein Zusammenhang bestehen?

    Wie kommt er auf die Zahl ein Sechstel? wie hat er das gemessen?

    Also die Tatsache der Diktatur, der Despotie und der gewaltsamen Auflösungen von Demonstrationen führt doch gerade zu literarischen Gegenbewegungen.

    Das aktuelle Beispiel ist die widerständige Kultur im Iran!

  • N
    Nichtsdafür

    Wenn man beobachtet oder gefilmt wird - immer nett lächeln und hoffen, das man gut im Bild ist - der Observateur und Auswerter wird ihnen dankbar sein - wer wertet schon gerne Bilder von Leuten aus, die permanent schlechte Laune haben.

  • ja, diese schere im Kopf und die potentielle erpressbarkeit eines jeden (Politikers) werden uns noch schwer zu schaffen machen. keine Ahnung, wie man da je wieder rauskommen soll.

  • SD
    Selbstzensur, Datenraffen, eGK, Selbstbereicherung, Presse, Politik und Korruption - ein Haufen

    Wer sich in Deutschland schon einmal gefragt hat, warum nicht über das geplante Datenraffen in den Arztpraxen (elektronische Gesundheitskarte, eGK) berichtet wird, bekommt nun eine Antwort. Ein Tochterunternehmen von Bertelsmann hat den Zuschlag für den Aufbau der Infrastruktur für diesen Irrsinn erhalten. Dieses Tochterunternehmen verkauft unter anderem Adressen und sonstige gesammelte Daten. Bertelsmann kontrolliert zudem die Presse.

    http://stoppt-die-e-card.de/

  • R
    reblek

    Überschrift: "Ein Sechstel aller US-Autoren haben die Schere im Kopf." Text: "Fast ein Sechstel aller Autoren in den USA übt schon eine Art der Selbstzensur aus..." - Im Gegensatz zur Abteilung Überschriften weiß der Autor, dass "ein Sechstel" ein Singular ist.

    Bildunterschrift: "Die scheinbar allgegenwärtige Überwachung ist nicht ohne Wirkung." - Wirklich "scheinbar" )es sieht also nur so aus)? Oder "anscheinend" (es sieht ganz so aus)?

    "Im Gegenteil: Die effizienteste Repression ist jene, die dem Einzelnen das Duckmäusertum so schmackhaft macht, dass er sich selbst auf untertänige Diät setzt." - Könnte es sein, dass Herbert Marcuse das als "repressive Toleranz" charakterisiert hat?

  • Die Zensurschere im Kopf hat sicherlich fast jede/r. Da gibt auch kein Nickname, kein Passwort und keine Anonymisierung irgendeine Sicherheit.

  • 2
    241

    Das schöne an modernen Gesellschaften ist doch, dass man gemeinsam mit seinen Häschern in einem Kinosaal sitzen kann...oder im Theater...oder in einem Cafe bei einem Latte...oder oder....das macht doch unser Leben erst lebenswert...gelebte Demokratie...wo niemand in seiner Handlungsfreiheit eingeschränkt wird.

  • Auch deutsche Medien brauchen keine Geheimdienstschnüffelei, um sich selbst zu zensieren. Das tun sie seit Jahren, denn etliche Themen schaffen es aus unterschiedlichen Gründen nicht in die Berichterstattung. Sie meinen Beitrag "Auf einem Auge blind": http://www.der-freigeber.de/auf-einem-auge-blind/

    • DK
      die kranke Überwachungskarte
      @Jens Brehl:

      Wie zum Beispiel das Thema eGK: http://stoppt-die-e-card.de/

  • Die Große Koalition hat zum Dienstbeginn noch eben die Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Passt zum Thema.

  • Ich erinnere mich noch an das Internet der Neunziger. Das war zwar primitiver in seiner Zugänglichkeit und seinen Features, damit weniger massentauglich, aber fühlte sich frei an. Es fühlte sich wie ein Medium an, das dem Wohle der Menschheit dienen könnte. Auch wenn es damals bereits möglich war, die Spuren eines Nutzers zu verfolgen, hatte man nicht das Gefühl, dass dies grundsätzlich geschah. Schon gar nicht in dem Ausmaß gegenwärtiger Totalspeicherung, damit Totalüberwachung.

     

    Das einzige Problem für die Überwachenden ist bloß die Auswertung dieser riesigen Datenmenge. Aber auch das ist nur ein technologisches Problem, das gelöst werden kann. Sobald es möglich ist, diese Daten automatisch auszuwerten und Profile zu erstellen, wird dies geschehen. Sobald es technologisch möglich ist, in unsere Köpfe zu sehen, wird auch diese Technologie missbraucht werden. Paranoide Regierungen schaffen paranoide Bürger, die sich vor den eigenen Gedanken zu fürchten beginnen.

     

    Man könnte auf die Idee kommen, Regierungen - die alten Hierarchien - haben in Wirklichkeit Angst vor einem anarchistischen Internet, das die Menschen unabhängig ihrer Kontrolle verbindet. Man könnte auf die Idee kommen, sie fürchten weniger Terrorgefahren als die Möglichkeiten, die ein solches Medium den Bürgern der Welt bietet, sich frei zu organisieren. Internetkontrolle verhindert keinen Terrorismus. Man könnte auf die Idee kommen, die Internetkontrolle dient nur als Vorwand, jeden einzelnen Menschen an die Kette zu legen.

     

    Das Problem an paranoiden Denkmustern ist, dass die Betroffenen unterbewusst darauf hinwirken, dass sich ihre Angst verwirklicht. Aber selbst so entstandenes Unheil würde sie nicht von ihrem paranoiden Kurs abbringen. Im Gegenteil, sie würden es als Bestätigung einer berechtigten Angst wähnen und nur noch paranoider werden.

    • S
      Sonnenschein
      @Regenwetter:

      Der Versuch der Kontrolle und der totalen Überwachung ist ein (vor)letztes aufbäumen. Ich liebe schon immer Gespräche im Park und doch erinnert mich das derzeitig zunehmende Interesse an solchen Gesprächen an vergangene Umbrüche. Das zwischen den Zeilen lesen und denken gehört(e) auch dazu.