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Schlagloch AußenpolitikSind wir die Guten?

Kommentar von Georg Seeßlen

Der Bundespräsident sagt: „Dies ist ein gutes Deutschland“. Kinder fragen: Sind die anderen nicht gut? Über Störer, Böse und Superböse.

Die Achse der Guten? Des Bösen? Kettenfahrzeug der Bundeswehr. Bild: dpa

I n Cormack McCarthys Roman „The Road“ kämpfen sich ein Mann und sein etwa zwölfjähriger Sohn durch eine kaputte, postapokalyptische Welt voller Kannibalen, Wahnsinniger und Mörder. An einer besonders erschreckenden Stelle stellt der Junge seinem Vater die entscheidende Frage: „Sind wir noch die Guten?“

Stellen wir uns ein zwölfjähriges Kind vor, das trotz iPads, Barbies und World of Warcraft diese Frage an uns stellt, vor dem laufenden Fernseher mit seinen Nachrichten aus der kaputten, kannibalischen Welt: „Sind wir noch die Guten?“

Im Grunde hat das Fernsehen nur diese eine Botschaft zu verkünden: Die Welt ist chaotisch, voller Böser, gewalttätig und schwer zu verstehen. Aber wir sind in jedem Fall die Guten.

Das ist dieser Tage besonders wichtig, weil sich so vieles ändert, auch wenn man es nicht gleich merkt. An einem Tag sprechen nacheinander der Bundespräsident, die Verteidigungsministerin und der Außenminister über die neue Rolle Deutschlands in der Welt, von der „fundamentalen Neuausrichtung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik“.

Die frohe Fernsehbotschaft

Irgendwie beunruhigt das schon; was mag das heißen? Dass wir öfter und mehr Soldaten schicken nach noch mehr Ländern. Aber Soldaten darf man nur schicken, wenn man genau weiß, dass man zu den Guten gehört, oder? Und dass man damit den Guten hilft. Schön, wenn der Bundespräsident uns kategorisch jede Sorge nimmt: „Dies ist ein gutes Deutschland, das beste, das wir kennen“, hat er gesagt, und: „Es ist eine stabile Demokratie, frei und friedliebend, wohlhabend und offen.“ Sind die, die Deutschland anders sehen, also automatisch die Bösen?

Auch deswegen haben die Politiker das mit dem guten Deutschland sagen können, wie es ihnen die Experten von der Stiftung Wissenschaft und Politik ja auch diktiert haben, die ansonsten die Welt in die „Mitstreiter“, „Herausforderer“ und „Störer“ einteilen. Russland ist zum Beispiel ein Herausforderer, Syrien ein Störer. Dazu kommt die Einteilung in „prioritär“ und „sekundär“, also in wichtig und nicht so wichtig.

Kuba und Venezuela zum Beispiel sind unwichtige Störer, die USA und die EU superwichtige Mitstreiter. Die wichtigen Störer bzw. Herausforderer soll man „einbinden“, die unwichtigen dagegen „einhegen“, man könnte auch sagen: isolieren, vergessen. Das dahinterstehende Weltbild ist so einfach, dass es jeder Bundespräsident, jede Verteidigungsministerin und jedes zwölfjährige Kind sofort versteht.

Was nicht zählt, ist der Mensch

Die Frage, ob wir noch zu den Guten gehören, beantwortet man damit aber nicht. Weil konkrete Menschen einem solchen „Strategiepapier“ völlig gleichgültig sind. Und weil es auch heißt, dass wir die Frage nach Gut und Böse gar nicht mehr stellen sollten.

Aber auch, weil man natürlich das „Wir“ nicht immer bestimmen kann. Gehören die Demonstranten, die keinen überflüssigen unterirdischen Bahnhof haben wollen, zu den Guten, oder sind das die Polizeibeamten, die mit Pfefferspray und Gummiknüppeln dafür sorgen, dass die Störer wegkommen? Sind die Reichen, die was spenden, die Guten und die Armen, die was kaputtmachen, die Bösen? Schmeißen die Politiker immer diejenigen raus, die nicht mehr zu den Guten gehören? Am Ende steht man sehr allein da mit der Frage: Sind wir die Guten? Allein wie in „The Road“.

Was man aber sehen kann: Es gibt sehr viele Leute, die nicht zu den Guten gehören wollen. Sie wollen die Besseren sein, vielleicht sogar die Besten. Aber niemand kann zugleich ein Guter und ein Besserer sein. Deshalb müssen die Vertreter des Besserseins, die Sarrazins usw., auch behaupten, dass Gutsein etwas für Weicheier und Gleichmacher ist. Wenn man es genau nimmt, ist die Frage, ob wir die Guten sind, nämlich schon eine Störerfrage. Es geht um Wettbewerb, und den hat noch niemand mit Zu-den-Guten-Gehören gewonnen.

Die Verteidigungsministerin wiederum sagt, dass wir die Menschen in Afrika nicht im Stich lassen. Aber wenn sie zu uns wollen, weil sie es in Afrika nicht mehr aushalten, werfen wir sie zurück, und wenn sie es doch hierher schaffen, behandeln wir sie so schlecht, dass nicht noch mehr von ihnen auf die Idee kommen. So etwas täten keine Guten, aber die Besseren, die machen das ohne Weiteres.

Und wer sind die Superbösen?

Die Superbösen indes sind Störer, die sich nicht einmal an die Regeln der Konkurrenz halten. Das hat mit dem System zu tun, das bei ihnen herrscht. Die Superbösen haben keine Freiheit und keine Marktwirtschaft. Die Herausforderer haben Kapitalismus, aber einen anderen als wir. Dort ist der Staat die größte Macht; der Kapitalismus darf machen, was er will, nur nichts gegen den Staat. Bei uns, den Guten, ist es umgekehrt. Bei den Bösen setzt der Staat den Kapitalismus ein, um sich Vorteile gegenüber den anderen Staaten zu verschaffen. Bei den Guten setzt der Kapitalismus einen Staat ein, um sich Vorteile gegenüber anderen Kapitalisten zu verschaffen.

In der Ukraine sieht das so aus: Die Bösen wollen das Land für ihren Staat, und die Guten wollen den Markt für ihre Wirtschaft und ihre Medien. Die Bösen drohen mit Soldaten, und die Guten locken mit Geld. Ihre Soldaten schicken die Guten lieber nach Afrika, weil das, wie Gerd Müller von der CSU im „Morgenmagazin“ sagt, schließlich ein „Chancen- und Wachstumskontingent“ ist. Da ist noch was zu holen, dafür bringen wir die Freiheit.

In der Ukraine hingegen hatten wir einen Despoten, der sich genauso goldene Badewannen bauen ließ wie bei uns ein Bischof. Eindeutig keiner von den Guten. Die Guten wollten ihn weghaben. Und sie wollen nach Europa. Und das gute Europa will auch. Die Bösen aber wollen Russland und nennen die Guten Faschisten. Das kommt wahrscheinlich alles von der Propaganda. Wo die Guten nämlich die Freiheit haben, haben die Bösen Propaganda. Darin unterscheidet sich nämlich auch die Kinderfrage. Nämlich ganz nach Wohnort: Moskau oder Berlin.

Georg Seeßlen

Vom Autor erscheint in diesem Jahr das Buch „Kunst frisst Geld. Geld frisst Kunst“, gemeinsam mit Markus Metz verfasst in der Edition Suhrkamp.

Die Antwort auf die Frage jedenfalls ist fast immer: ja. Und sie ist immer gelogen. Erwachsenwerden beginnt mit der Erkenntnis, dass es keine ehrliche Antwort gibt.

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15 Kommentare

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  • 7G
    774 (Profil gelöscht)

    Sind wir die Guten? Na klar! Die Guten sind frei, die Bösen im Knast. Oder ist es doch nicht so einfach? Egal, der Staat sagt vor, was gut und böse ist. Er hat alle Kompetenz dazu. Unschuldige hat er ja noch nie eingesperrt.

  • K
    Kondolenz

    Habe mal Interesse halber ein paar Kommentare und Artikel der taz zum Thema "gute ukrainische neofaschistische Regierung" und "böser Zar Putin" gelesen.

    Ganz ehrlich: einseitiger geht im deutschen Einheitsblätterwald kaum noch. Da die taz-Redaktion ganz offensichtlich überfordert ist, pflegt man die alten journalistischen Tugenden der Nichtinformation (Weglassen von nicht ins Weltbild passenden Fakten) und schwammiger Formulierung. Endlich hat auch die taz einen allgemein anerkannten "Schurken" unreflektiert zum Hauptfeind erkoren und ist damit nicht mehr unterscheidbar von der BILD. Glückwunsch!

  • @COSMOPOL @ BRAINER

     

    ....voll korrekt -

     

    quod errat demonstrandum

    was nämlich zu beweisen war;-))

     

    im Ernst - soo einfach sollte

    Georg Sesslen denn doch nicht davon kommen;

    aber - a Hund isser scho

    un recht hat er a,

    der Baazi.

  • AS
    Alter Schwede

    Schöner Beitrag. Leicht und ironisch, aber dennoch gehaltvoll. Gerade in Anbetracht der Hofberichterstattung der taz zur Ukraine, die schwarz-weißer kaum sein könnte, sollten sich einige Redakteur_innen diesen Text hier zu Herzen nehmen.

  • C
    cosmopol

    who the fuck ist hier "WIR"?

    what the fuck ist hier "GUT"?

     

    Das eine ist 'ne unsinnige Zusammenfassung unterschiedlichster Menschen zu einem nationalen Zwangskollektiv.

    Das andere ist im Kern ein moralisierendes Füllwort das keinen Konflikt auch nur einen Nanometer weiterbringt.

     

    Spannender: Wer hat welche Interessen, schaden sie denen anderer? Wenn nicht, wie lassen sie sich erfüllen?

    • G
      gastritis
      @cosmopol:

      Hattest nicht gerade du, der taz attestiert, sie sei als ein ursprünglich mal Linkes Projekt angetreten, wovon nichts mehr zu spüren sei? Was willst du denen also hier die Leviten lesen in Sachen analytischer Beschreibung von Interessen-lagen? Die wollen doch nur noch eine hippe Zeitung für trendy Leutchen verkaufen. Zähl doch mal, die im Vergleich zur Gesamtauflage wenigen Linken Männekens die hier im Forum herum geistern. Vergiss es.

    • @cosmopol:

      Ich hatte das "wir" ironisch aufgefaßt. Habe ich zu viel Gutes in den Text hineininterpretiert?

  • Der Autor macht es sich sehr einfach, geradezu mit kindlicher Naivität. Er hinterfragt gar nicht das herrschende System, sondern nimmt es als "naturgegeben", als das Gute hin.

    Von einem kritisch denkenden Journalisten erwartet man aber nicht das blinde Vertrauen ins System und Mitläufertum, sondern kritische Fragestellungen und bestmögliche Objektivität der Analysen. Der Autor mit dem Wohnsitz in Berlin folgt aber aus blindem Vertrauen oder Bequemlichkeit dem Mainstream. Es geht auch ihm nicht um Menschen, Gerechtigkeit oder Frieden, sondern um seinen Teil des Kuchens.

  • Könnte die TAZ bitte in diese Richtung weitermachen? Anstatt von einer sehr halbherzigen und partiellen Rußlandkritik im Vorfeld der Olympischen Spiele (man möchte ja weiterhin mit russischem Gas im Warmen sitzen) fast unvermittelt überzugehen in ein kaum weniger selbstkritikfreies Beteuern, USA und EU müßten nun die putinschen Aggressionen eindämmen (damit der EU ihr Beuteanteil an der Ukraine nicht verloren geht)? Sind wir nun nach einem weiteren dramatischen Intermezzo in imperialer Großmachtpolitik endlich mal beim Menschen und seinen Bedürfnissen und Wünschen angekommen? Es klingt fast schon wieder zu utopisch.

    • P
      Petrol
      @Irma Kreiten:

      Zumindest meiner Beobachtung nach haben die Medien in Deutschland bereits einen anderen Kurs eingeschlagen. Immer auf Russland und Putin einzudreschen in einem Ton, den man Russland und Putin sofort negativ auslegen würde, hat sich definitiv als Eigentor entwickelt: Russland und Putin gehen was die Wahrnehmung anbelangt eher als Sieger,denn als Verlierer hervor. Also gibt man sich zumehnemd objektiver und hofft vielleicht so seine Ziele Russland zu diskreditieren und den Westen gut und heldenhaft aussehen zu lassen zu erreichen, oder? Nehme ich zumindest auf allen Mainstreamblättern - die Taz gehört dazu - so wahr. Vielleicht soll der Leser jetzt misstrauisch werden, wenn man plötzlich leisere Töne gegenüber Russland aufbietet. Sting sang einmal: "...the Russians love their children too". Ja, stellt euch vor: Russen sind auch Menschen...

      • 6G
        688 (Profil gelöscht)
        @Petrol:

        Und Joe Jackson sang einmal: "... and all the hippies works for IBM and take control" - Ja, stellt euch vor: Die systemrationale Bewußtseinsschwäche setzt sich immer durch!?

    • 6G
      688 (Profil gelöscht)
      @Irma Kreiten:

      "Erwachsenwerden beginnt mit der Erkenntnis, dass es keine ehrliche Antwort gibt."

       

      "Du hast keine Chance, drum nutze sie" - das soll gut sein???

       

      Die Jungs und Mädels der taz haben mächtig Chancen, doch es kommt nur: Sündenbocksuche und Surfen auf dem Zeitgeist!!!

  • C
    Candid

    schöne Geschichte

  • Ob wir noch die Guten sind, beantwortet fefe immer wieder außerordentlich gut, z.B. hier: http://blog.fefe.de/

    • M
      MarcBR
      @FranKee 【Ƿ】:

      meinst du, fefe findet das gut, was du hier machst?