: Schatzkästlein der Region
Gutachten der Uni Göttingen dokumentiert Wert des Alten Landes und schlägt Aufnahme ins Weltkulturerbe der Unesco vor. Wissenschaftler äußern „erhebliche Zweifel“ an Legitimität des geplanten Ausbaus der Infrastruktur
von GERNOT KNÖDLER
Das Alte Land ist es wert, in die Weltkulturerbe-Liste der Unesco aufgenommen zu werden. Sein ästhetischer, kultureller und ökonomischer Wert wird häufig unterschätzt. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten der Universität Göttingen im Auftrag des Gartenbauverbandes Nord, des Niedersächsischen Landvolks in Stade, des Obstbauversuchsrings Jork und des Vereins Hamburgs Elbregion. Durch den geplanten und bereits begonnenen Straßen- und Industrieausbau gingen diese Werte verloren. „Diese nachgewiesenen Verluste rechtfertigen erhebliche Zweifel an der ökonomischen und gesellschaftlichen Legitimationder Eingriffe in das Alte Land“, schlussfolgern die Gutachter unter Leitung von Professor Rainer Marggraf.
Der Gutachter Albrecht Mährlein betrachtete es als seine Aufgabe, „den Leuten etwas vor Augen zu führen, das man sonst durch eine typische Betriebsblindheit nicht sieht“. Dazu gehörten die Deiche und das ausgeklügelte Bewässerungssystem als kulturhistorische Leistung, die in den Niederlanden, aus denen das Modell stammt, so nicht mehr zu besichtigen sei. Dazu gehörten die Siedlungen mit ihren aufwändig gestalteten Bauernhöfen, dazu gehören Kunst- und Kulturdenkmäler wie die Pankratius-Kirche mit ihrer Arp-Schnitger-Orgel und schließlich die Kultivierung des Landes in einem ständig sich weiterentwickelnden Prozess. Diese Elemente seien untrennbar miteinander verflochten. Werde eines zerstört, würden die anderen weitgehend bedeutungslos.
Dem Präsidenten des Gartenbauverbandes Nord, Heinrich Quast, gefiel besonders Mährleins Hinweis auf den Prozess der Kultivierung. Eine Ausweisung als Weltkulturerbe, für die sich alle Auftraggeber des Gutachtens aussprachen, dürfe nicht zu einer Fesselung der Obstbauern führen. Sie müssten auch in Zukunft die Chance haben, ihre Produktion sich verändernden Bedingungen anzupassen und dürften durch die Aufnahme in die Unesco-Liste nicht zusätzlich belastet werden. Trotz dieses „Problems“ setzt Quast auf die Unesco, „weil wir eine Schutzkategorie brauchen, die durchschlägt, wenn‘s ernst wird“.
Wirtschaftlich, führte Marggraf aus, hat das Alte Land wenig von den anstehenden Bauprojekten, dafür aber viel zu verlieren: Vorausgesetzt, von 2000 zusätzlichen Mitarbeitern bei Airbus würden sich 1700 im Alten Land ansiedeln, würde sich dessen Produktionswert (entspricht in etwa dem Sozialprodukt) höchstens um 4,8 Prozent erhöhen. Maximal schaffe das 24 Arbeitsplätze.
Demgegenüber stehe die existentielle Bedrohung von 40 bis 50 Obsthöfen mit rund 150 Arbeitsplätzen. Sie fielen der Verlängerung der Airbus-Werkspiste, der Ortsumgehung Finkenwerder und der A26 zum Opfer. Dazu kommt der drohende Rückgang des Tourismus durch den zu erwartenden Image-Verlust. Sollte der Tourismus völlig zum Erliegen kommen, würden nach Marggrafs Berechnungen „220 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte ihren Arbeitsplatz und zusätzlich zahlreiche Selbständige ihre Existzenzgrundlage verlieren“. 1998 erwirtschaftete das Alte Land rund eine Milliarde Euro, 13 Prozent davon im Obstbau, der 2600 Arbeitsplätze stellte. Im niedersächsischen Teil gab es insgesamt 4000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze, sechs Prozent davon im Tourismus.
Eingriffe ins Alte Land sind den Gutachtern zufolge mit einem besonderen Risiko behaftet: Ab einem bestimmten Punkt führen sie dazu, dass das Alte Land die Vorteile aus seiner Größe und Geschlossenheit verliert. Es wird schwieriger, das Obst zu vermarkten, gemeinsame Einrichtungen wie die Obstbau-Versuchsanstalt oder das Grabensystem müssen von weniger Bauern getragen werden. Eine Landwirtschaft mit einer fünfmal so hohen Wertschöpfung wie anderswo würde zur Subventionsempfängerin, die Erhaltung der Kulturlandschaft fraglich.
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