Schattenseiten der Globalisierung: Frauen machen's billiger
30 Millionen Menschen weltweit arbeiten in Textilfabriken. Und die Zahl derjenigen, die für Hungerlöhne und ohne Absicherung arbeiten, steigt weiter an. Frauen sind besonders betroffen.
Maria Torero Avalos stickt Perlen und Pailletten auf Blusen und Taschen. Pro Kleidungsstück verdient die 48-Jährige umgerechnet zwischen fünf Cent und einem Euro. Die Peruanerin nimmt jeden Auftrag an, den sie kriegen kann, auch wenn sie sich bei dem schlechten Licht in ihrer Wohnung die Augen verdirbt und nur einen Bruchteil des staatlichen Mindestlohns von 120 Dollar im Monat verdient.
Die Chance auf eine Festanstellung in einer Textilfirma hat sie in ihrem Alter schon lange nicht mehr. Wenn sie krank wird: ihr Pech; ihr Auftraggeber trägt keinerlei Risiko. Maria Torero Avalos weiß sowieso nicht, für welche größere Firma sie arbeitet: Ein Zwischenhändler bringt ihr das Material vorbei - und auch der steht nur im Dienst einer größeren Werkstatt, die wiederum Zulieferer für eine noch größere Firma ist. Ihr Schicksal teilt die Peruanerin mit vielen Millionen Frauen auf der Welt.
Die Internationale Arbeitsorganisation ILO schätzt, dass 30 Millionen Menschen in Textil- und Bekleidungsfabriken schuften – und ihnen fünf- bis zehnmal so viele ohne Arbeitsvertrag zuliefern. Das Gros von ihnen ist weiblich. "In den letzten Jahrzehnten ist die Zahl informeller Beschäftigungsverhältnisse weltweit dramatisch gestiegen", fasst Ingeborg Wick von der Entwicklungsorganisation Südwind zusammen. Sie hat am Dienstag in München eine Studie zum Thema Arbeitsbedingungen von Frauen weltweit vorgestellt.
In Indien schuften gegenwärtig beispielsweise neun von zehn Beschäftigten ohne formelle soziale Absicherung; Mitte der Neunzigerjahre traf das erst auf 70 Prozent zu. Und obwohl die Zahl erwerbstätiger Frauen parallel zur Globalisierung stark angestiegen ist und die UNO eine zunehmende Feminisierung der Arbeit konstatiert, sind menschenwürdige Jobs für Frauen international eine Seltenheit.
Auch in den Fabriken der freien Exportzonen (FEZ), in denen neben Textilien ein Großteil der Haushaltsgeräte und elektronischen Geräte für den Weltmarkt gefertigt werden, ist die Belegschaft überwiegend weiblich. Multinationale Unternehmen finden dort perfekte Bedingungen. Nicht nur sind sie häufig von allen Steuern befreit.
Sie können ihre Gewinne meist auch frei in ihr Heimatland transferieren, bekommen nicht selten Grundstücke, Wasser- und Stromanschlüsse kostenlos gestellt und müssen nicht einmal mit dem Widerstand der Beschäftigten gegen überlange Arbeitszeiten und Minilöhne rechnen: Streikrecht und andere Bestimmungen des Landes gelten hier meist nicht.
In 130 Ländern existieren inzwischen solche Sonderzonen, ihre Zahl hat sich seit Ende der 1990er-Jahre auf 3.500 vervierfacht. Offiziell gelten die Zustände dort als "Sonderbedingungen." Doch sind sie in einigen Branchen längst zum Normalfall geworden.
Dabei erfüllen sich die Hoffnungen, die viele Länder mit den FEZ verbinden und die ihnen vom Internationalen Währungsfonds IWF seit den 1980er-Jahren immer wieder angepriesen wurden, nur in sehr wenigen Fällen. Zwar finden dort tatsächlich einige tausend Menschen einen Job, doch nur selten vergeben die weltweit orientierten Firmen ständige Lieferaufträge an lokale Unternehmen; stattdessen beuten sie zunehmend auch noch informelle Arbeiterinnen aus.
Auch die fortgeschrittene Technik der FEZ-Betriebe breitet sich kaum in die Umgebung des Landes aus. Ebenso als Illusion erweist sich die Hoffnung, anschließend durch gut ausgebildete Leute zu profitieren. Lediglich in Südkorea, China, Taiwan und Mauritius lassen sich überhaupt Wohlstandseffekte durch FEZ nachweisen. "In diesen Ländern hat es eine starke staatliche Wirtschaftslenkung gegeben, und zugleich handelt es sich um relativ große Märkte", begründet Wick die Ausnahmen.
In den allermeisten Ländern aber nutzen die Firmen die billigen Arbeitskräfte einfach und transferieren ansonsten ihre Gewinne nach Hause. Allein im Jahr 2006 flossen hunderte Milliarden US-Dollar aus Entwicklungsländern in Industrieländer ab.
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