Schanzenfest: Bündnis gegen Krawall-Touristen
Veranstalter und Polizei kündigen an, das Fest vernünftig über die Bühne zu bringen. Die Veranstalter wollen keine ritualisierte Gewalt, Gastronomen schließen Lokale, um Gaffern keine Plattform zu bieten.
Das Klima scheint gereizt: 2.800 Polizisten aus mehreren Bundesländern wird die Hamburger Polizei wohl am Wochenende zum Schanzenfest und dem parallel stattfindenden Alstervergnügen auffahren, um anschließende Krawalle zu verhindern. "Zur Zahl sag ich nichts", sagt Hamburgs Polizeisprecher Mirko Streiber. "Wir haben aber mehrere Abendveranstaltungen", so Streiber weiter, bei denen in den vergangen Jahren etwas passiert sei. "Das können wir nicht ausblenden, wenn was passiert, sind wir darauf vorbereitet."
Streiber bestreitet auch nicht, dass im Vorfeld vom Staatsschutz des Landeskriminalamtes 42 sogenannte "Gefährderansprachen" in Auftrag gegeben wurden - gegen Personen, gegen die Ermittlungsverfahren wegen der letzten Schanzenfeste anhängig sind, aber gegen die es noch keine Urteile gibt.
So bekam Paul Meier* am Dienstagmorgen um 7.45 Uhr Besuch von Kripobeamten vom zuständigen Kriminalkommissariat seines Stadtteils. "Meine Frau und ich wollten gerade die Kinder zur Schule bringen", sagt Meier. "Sie haben mir gesagt: Wir haben Sie im Blick." Meier fragte, ob er unter Beobachtung stehe oder ob der Besuch eine Drohung sei? Das jedoch sei ausdrücklich verneint worden. "Warum sind Sie denn hier, wenn ich nicht unter Beobachtung stehe?", habe Meier gefragt. Für seine achtjährige Tochter sei der Auftritt der Polizisten ein Schock gewesen. "Sie hat mich den ganzen Tag gefragt: Warum war denn die Polizei hier?"
Das Schanzenfest findet seit 1989 statt. Es ist aus der Bewegung gegen das Kommerztheater "Phantom der Oper" und dem Kampf um die Rote Flora hervorgegangen.
Seit 2005 wird das Fest nicht mehr angemeldet, da die Behörden Auflagen machten.
Seit einigen Jahren gibt es nach Sonnenuntergang ritualisierte Randale.
Zum ersten Mal werden einige Kneipen abends schließen. Die Daniela Bar, Saal 2, BP 1, das Bedford, die Herren Simple, die Thierbar und das Kulturhaus 73.
Im Vorbereitungskreis des Schanzenfestes "Die Schanze rockt" kursiert inzwischen ein Papier, in dem sich mit politisch unmotivierter Randale auseinandergesetzt wird. Man sei der Meinung, dass militantes Agieren im Zusammenhang mit dem Schanzenfest ein falsches politisches Signal sei, solange nicht aus einer klaren Situation der "Selbstverteidigung" gegenüber der Polizei gehandelt werde, wie es bei dem Polizeiübergriff im vorigen Juni gewesen sei. Damals hatte die Polizei das Fest gewaltsam aufgelöst, um vermeintlich spätere Sachbeschädigungen zu verhindern. Die Attacke auf das Lerchenrevier beim zweiten Teil des Festes im September sei jedoch kaum vermittelbar gewesen, sagt das Papier.
Grundsätzlich habe man kein Problem mit militanten Auseinandersetzungen, doch die im Grunde genommen "gute und richtige Aktion" gegen die Lerchenwache hätte die Polizei zum Anlass genommen, dass komplette bis dahin friedlich verlaufende Fest zu räumen. Eine Thematisierung und Empörung über die unverhältnismäßige und gewaltsame Räumung als Reaktion auf den Wachenangriff habe es nicht gegeben. Es gebe genügend andere Ziele außerhalb des Viertels um die gesellschaftliche Normalität in Frage zu stellen. Zudem würden sich nach dem Fest oft alkoholisierte Typen aufspielen, die "mackerlastige kriterienlose Scheiße" produzierten - darunter selbst Polizisten in Freizeit und Hooligans, die ein Ritual überwiegend aus Spaß lostreten würden.
Auch Gastronomen aus dem Schanzenviertel setzen sich mit der Aktion "Geschlossen gegen Gewalt" gegen Krawalle zur Wehr. "Wir haben uns gemeinsam dazu entschlossen, unsere Läden abends geschlossen zu halten, um Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass wir gegen die ausufernde Gewalt sind, wie sie nach den letzten Schanzenfesten stattgefunden hat", sagt Max Unverricht von der Bar Rossi. "Wir wollen nicht mittendrin stehen, wenn - wie es inzwischen tatsächlich ist - ein wild gewordener Mob im Schüleralter versucht, mit aller Gewalt die Überzahl der Polizisten aus der Reserve zu locken." Die Gastronomen wollten mit ihrer Aktion "insbesondere allen Gaffern, die sich das Krawallspektakel geben wollen und deshalb extra ins Schulterblatt kommen, die Plattform entziehen". Die Kneipen und Restaurants wollten keine Tribüne dafür anbieten.
Die Aktion richte sich jedoch "ausdrücklich nicht gegen das Schanzenfest selbst und dessen friedliche Anarchie", sagen die Gastronomen. "Im Gegenteil, wir sind für ein Schanzenfest und werden auch selbst nach Lust und Laune daran teilnehmen."
*Name geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen