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Schäuble statt Macron

Von den Plänen des französischen Präsidenten für die Eurozone bleibt wenig

Von Rudolf Balmer, Paris

Eigentlich wollte sich gestern wirklich niemand in Frankreich mit nationalen oder europäischen Finanzproblemen und Strukturreformen beschäftigen. Die ganze Nation trauerte um die verstorbene Rock-’n’-Roll-Legende Johnny Hallyday und war für Nachrichten aus Brüssel oder Berlin so gut wie taub.

Als Erste reagierte die Zeitung Libération. Junckers Vorschläge seien sogar eher vom euroskeptischen Flügel der CDU inspiriert und nähmen zu viel Rücksicht auf deutsche Empfindlichkeiten, schrieb die Zeitung und zitierte dazu einen französischen Diplomaten ohne Namen. Junckers Programm hätte genausoso gut vom deutschen Ex-Finanzminister Wolfgang Schäuble verfasst werden können, so sehr sei das von den französischen Vorstellungen entfernt.

Offizielle Reaktionen auf die Juncker-Vorschläge gab es bis Redaktionsschluss noch nicht. Ende September hatte der französische Präsident Emmanuel Macron in einer Grundsatzrede in der Sorbonne-Universität seine Vision einer neuen Europäischen Union enthüllt. Frankreich hat ihm zufolge große europapolitische Ambitionen.

Nicht nur für die Institutionen und das Funktionieren der Gemeinschaft, sondern auch für Bereiche wie Verteidigung, digitale Technologien und Innovation, Energiewende, Bildung und Jugendaustausch, der Finanz und der Wirtschaftszusammenarbeit. Im Vergleich dazu klingen die Vorschläge der Kommission nüchtern, auch wenn Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker seinem Reform-Fahrplan vorausschickt, das Dach der EU müsse repariert werden, solange die Sonne scheint.

Paris hat weitergehende Zielsetzungen als die Kommission, etwa für einen EU-Finanzminister, der zugleich Vorsitzender der Eurozone sein könnte. Er soll, so Macron, über einen eigenständigen, aus Steuereinnahmen gespeisten „starken Haushalt“ der Eurozone verfügen, um gemeinsame Investitionen möglich zu machen. ­Wirtschaftsminister Bruno Le Maire hat für diese Pläne einer „vereinten und ehrgeizigeren Eurozone“ einen Vergleich mit den USA riskiert: „Wir reden ja auch nicht von einer Dollarzone, sondern von den Vereinigten Staaten Amerikas. Ich wünsche mir, dass wir morgen nicht mehr von der Eurozone, sondern von Europa im Sinne eines großen Landes mit einer leistungsstarken Wirtschaft (…) sprechen.“

Macron und Le Maire wissen, dass solche Projekte in Deutschland, aber nicht nur dort, auf Skepsis stoßen. Die Regierungskrise in Berlin nehmen sie nicht als Chance wahr, sondern als Problem, das weitergehende Beschlüsse hinauszögern kann. Die Regierung in Paris ist selber nicht in der besten Verhandlungsposition. Zwar stößt Macron mit seiner europapolitischen Dynamik bei manchen Partnern auf Wohlwollen. Gleichzeitig hat Frankreich in der Haushaltsdisziplin seit Jahren Probleme, die Maastricht-Kriterien einzuhalten.

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