Sammelband „Freiheit ist keine Metapher“: Verweigerte Solidarität
Ein Buch interveniert in Debatten um Rassismus und Antisemitismus. Kulturrelativismus und postmoderne linke Bewegungen werden scharf kritisiert.
![Eine Drag-Queen trägt eine pinkfarbene Bademütze und steht im Meer Eine Drag-Queen trägt eine pinkfarbene Bademütze und steht im Meer](https://taz.de/picture/3474556/14/Pinkwashing.jpeg)
Weltweit gibt es 72 Staaten, in denen Homosexualität unter Strafe steht. In zahlreichen Ländern wird gleichgeschlechtlicher Sex mit langen Gefängnisstrafen bestraft, in acht UN-Mitgliedsstaaten wird sogar die Todesstrafe für Homosexualität verhängt.
Das Schwule Museum in Berlin machte bislang auf diese unerträgliche Situation mit einer Wand aufmerksam, auf der alle kriminalisierenden Staaten und die entsprechenden Strafen genannt werden. Der Verein GLADT, der sich für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transpersonen (LGBT) aus Einwandererfamilien einsetzt, wirft dem Museum in einer Erklärung, die dem LGBT-Magazin Siegessäule vorliegt, deshalb vor, sich „im Fahrwasser rassistischer Diskurse“ zu bewegen. Durch die Wand würden „koloniale Wahrnehmungsmuster“ reproduziert sowie „Gesellschaften stigmatisiert, ohne danach zu fragen, wie Schwule und Lesben in diesen Staaten tatsächlich leben“.
Das Schwule Museum reagiert verständnisvoll auf die Kritik: Diese Darstellungsform trage dazu bei, „die westliche Lage im Kontrast zum ,zurückgebliebenen' globalen Süden triumphierend in Szene zu setzen“ und Europa als „glücklichen Endpunkt einer LGBTQI-Befreiungsgeschichte zu inszenieren“.
Die Benennung und Skandalisierung von schwulenfeindlicher Verfolgung derart zu denunzieren ist nicht nur absurd, sondern auch schädlich. Selbstverständlich gibt es auch in Europa massive Probleme mit Homophobie. Das zeigt sich unter anderem daran, dass ein Coming-out noch immer oft mit Schmerz verbunden und die Suizidrate unter transidenten, bisexuellen, schwulen und lesbischen Jugendlichen deutlich höher ist als die von Heterosexuellen.
Angst vor Ächtung und Gewalt
Doch es besteht ein Unterschied ums Ganze, in einer Gesellschaft, die ein Mindestmaß an individuellen Freiheiten gewährt, zu leben oder in einer Gesellschaft, in der man unmittelbar religiöser Herrschaft unterworfen ist.
Es ist zwar richtig, dass in einigen Ländern ein Unterschied zwischen der Gesetzgebung und der tatsächlichen Rechtsumsetzung besteht. Die ständige Angst vor Ächtung und Gewalt und das Fehlen von unterstützenden Subkulturen prägt dort dennoch das Leben von vielen LGBT-Personen.
Wenn GLADT ausgerechnet den Iran als positives Beispiel heranzieht, ist dies besonders perfide. Seit der Islamischen Revolution von 1979 wurden dort Tausende Homosexuelle hingerichtet. Dies zu verschweigen hilft den bedrängten iranischen Schwulen gewiss nicht.
Diesen Kulturrelativismus kritisiert auch der im schwul-lesbischen Querverlag erschienene Sammelband „Freiheit ist keine Metapher“, herausgegeben von Vojin Saša Vukadinović. Mit 38 Beiträgen nimmt dieser sich zwar etwas zu viel vor. So werden einige Argumente immer wieder an verschiedenen Stellen im Buch genannt. Doch herausgekommen ist eine meist lesenswerte Kritik an postmodernen linken Bewegungen und ihren theoretischen Vordenkern.
Harsch, aber dringend notwendig
Den Autoren geht es dabei um die Universalität der Menschenrechte sowie darum, die Rechte und Freiheit des Einzelnen gegen den Kollektivismus zu verteidigen. Der Band versteht sich dabei wie seine Vorgänger „Beißreflexe“ und „Feministisch streiten“ als Intervention in aktivistische und akademische Debatten um Rassismus, Antisemitismus und Religion. Ganz im Sinne einer der Kritischen Theorie folgenden Ideologiekritik geht es dabei auch darum, diese Begriffe als „Waffen der Kritik“ (Marx) zu schärfen.
Eine These durchzieht dabei das Buch: Während der politische Islam in der politischen Linken aus einem falsch verstandenen Antirassismus heraus oft gegen Kritik immunisiert, verteidigt und verharmlost werde, sei dort häufig ein blinder Fleck in Bezug auf Antisemitismus, insbesondere die israelbezogene Spielart, festzustellen.
Der Gehalt der Texte ist dabei analytisch meist wertvoll. Häufig gelingt es den Autoren, die Argumente des Gegners als widersprüchlich zu entlarven. An einigen Stellen wird jedoch beispielsweise ein zu monolithisches Bild der Gender Studies gezeichnet. So spricht auch Paula-Irene Villa, eine der profiliertesten deutschsprachigen Geschlechterforscherinnen, davon, dass „tatsächlich zu wenig“ über Frauenfeindlichkeit im Islam geforscht werde. Die Kritik in „Freiheit ist keine Metapher“ bedient sich teilweise des Stilmittels der Polemik und mag an einigen Stellen harsch erscheinen, ist aber dringend notwendig.
Vojin Saša Vukadinović (Hg.): „Freiheit ist keine Metapher“. Querverlag, Berlin 2019, 496 S., 20 Euro
Wenn etwa der repressive Gehalt der Burka geleugnet wird, wenn ex-muslimischen und islamkritischen Feministinnen die Solidarität verweigert wird, wenn unterdrückte Frauen und LGBT-Personen im Kampf gegen Misogynie und Homofeindlichkeit alleine gelassen werden oder wenn Israel für das Gewähren von LGBT-Rechten eine Verschleierung der wahren Absichten unterstellt wird, ist deutlicher Widerspruch gefragt.
Regressives Denkgebäude
Letztgenannter Vorwurf nennt sich „Pinkwashing“ und ist wohl der absurdeste Kniff aus dem Arsenal der antiisraelischen Propaganda: Geprägt durch die Geschlechterforscherin Jasbir Puar, die dem jüdischen Staat auch schon Organplünderung toter Palästinenser unterstellte, wird Israel in dieser Verschwörungsfantasie vorgeworfen, durch eine progressive Homopolitik von Menschenrechtsverletzungen abzulenken.
Ausgerechnet der einzige Staat im Nahen Osten, in dem Lesben und Schwule einigermaßen frei leben können, wird hier angegriffen, die Verfolgung und Entrechtung in den Nachbarländern wird dagegen einfach verschwiegen.
Das Schwule Museum scheint diesem regressiven Denkgebäude offenbar zumindest nicht ganz abgeneigt zu sein. Die Infowand zur Kriminalisierung der Homosexualität wird dort wohl nicht mehr lange zu sehen sein.
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