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Samba-Star über Fußball und Musik„Kein Ort ist perfekt“

Brasiliens Samba-Jazz-Star Sérgio Mendes, 73, über seinen Hit „Mas que nada“, seine Karriere und die Schönheit des Fußballs.

„Optimismus ist ein Grundzug des brasilianischen Charakters“, sagt Sérgio Santos Mendes. Bild: dpa
Daniel Bax
Interview von Daniel Bax

taz: Herr Mendes, mögen Sie Fußball?

Sérgio Mendes: Ja natürlich, als Brasilianer wächst man mit Fußball und Musik auf. Das sind zwei der wichtigsten Aspekte unserer Kultur!

Warum kommen Sie dann während der Fußball-WM in Brasilien zu Konzerten nach Deutschland? Würden Sie die Spiele nicht lieber vor Ort im Stadion sehen?

Ich habe gerade ein neues Album herausgebracht, und gewöhnlich bin ich immer um diese Jahreszeit auf Tour. Aber zum Glück gibt es ja Fernsehen, sodass ich mir die Spiele in Deutschland anschauen kann.

Sie sind in den Sechzigern mit dem Stück „Mas que nada“ berühmt geworden. Ist es nicht seltsam, dass dieser Song inzwischen zu einer Art inoffizieller Fußballhymne geworden ist?

Der Song hat eine sehr catchy Melodie, die man mitsingen kann, und das auf der ganzen Welt. Aber auch das Arrangement ist wichtig, wie man den Song präsentiert. Es ist gar nicht so einfach, so einen Hit zu landen. Ich bin sehr glücklich, dass mir das zweimal gelungen ist: einmal 1966 und dann, vierzig Jahre später wieder, im Jahr 2006 mit den Black Eyed Peas.

Geschrieben hat das Stück der Sänger Jorge Ben, in Brasilien in den Siebzigern ein Star des Samba-Funk. Welches Verhältnis haben Sie zu ihm?

Er ist ein guter Freund, von Zeit zu Zeit treffen wir uns. Er hat ein Haus in Miami, und das letzte Mal, als ich dort gespielt habe, ist er zu mir auf die Bühne gekommen und hat den Song mit uns gesungen. Das war fantastisch. Er ist ein großartiger Komponist, und ich habe viele andere Songs von ihm eingespielt.

Bild: Andrew Southam
Im Interview: Sérgio Santos Mendes

wurde 1941 in Niterói im Bundesstaat Rio de Janeiro geboren. Der Altmeister des Bossa Nova betritt immer wieder neues musikalisches Terrain, ob Soul, R ’n’ B oder Pop. Sein neuestes Album „Magic“ erschien jüngst. Anfang Juli ist Mendes für fünf Konzerte in Deutschland zu Gast, darunter am 4. Juli (zum ersten Viertelfinale der WM in Brasilien) beim Rheingau Musikfestival, und am 7. Juli //www.hkw.de/de/programm/projekte/veranstaltung/p_102859.php:im Berliner Haus der Kulturen der Welt.

Wie kamen Sie darauf, seinen Song zu covern?

Ich habe ihn das erste Mal gehört, als ich noch in Brasilien gelebt habe. Das muss so um 1963 herum gewesen sein, und ich habe ihn dort in den Clubs gespielt, in denen ich als Pianist aufgetreten bin. Als ich dann in die USA gewechselt bin und ihn mit meiner Band „Brasil 66“ aufgenommen habe, wurde das mein erster Hit. Das war 1966, Herb Alpert hat die Platte produziert. Es war der erste Welthit, der auf Portugiesisch gesungen wurde.

Wissen Sie, wie viele Versionen es von dem Song gibt? „Nike“ hat eine 1998 mal für einen Werbespot benutzt.

Ich habe keine Ahnung, es sind sicher eine Menge! Bei unseren Konzerten in Europa werden wir jedenfalls unsere Version spielen, die Sérgio-Mendes-Version. Aber der Song ist der Song.

Auf Ihrem neuen Album „Magic“ sind viele aktuelle Stars aus Brasilien beteiligt. Eine Hommage an die junge Generation?

Das Album ist das Ergebnis meiner Begegnungen mit Leuten, die ich künstlerisch schätze. Mit Carlinhos Brown habe ich schon in den frühen Neunzigern zusammengearbeitet, zu einer Zeit, als ihn selbst in Brasilien noch nicht viele Leute kannten. Ich bin ein neugieriger Mensch und es gefällt mir, Talente aufzuspüren und Dinge auszuprobieren, die ich noch nicht getan habe. Auf dieser Platte trete ich mehr denn je als Songwriter auf. Und mit jungen Leuten wie Maria Gadú, Seu Jorge und Ana Carolina ins Studio zu gehen, ist ein Vergnügen und war eine wundervolle Erfahrung. Darum habe ich das Album „Magic“ genannt.

In den letzten Dekaden hat diese Generation die brasilianische Musik erneuert. Haben Sie eine Erklärung für diesen kreativen Boom?

In Brasilien gibt es immer etwas Neues. Als Bossa Nova in den Sechzigern aufkam, haben mir die Leute dieselbe Frage gestellt: Warum sind die Sechziger so gut? Und in den Siebzigern, als die Tropicalia-Bewegung entstand, fragten sie: Weshalb sind die Siebziger so gut? Ich bin jetzt schon so lange dabei, aber ich weiß es nicht.

Ist es wie beim Fußball?

Ja – früher gab es Pelé, heute gibt es Neymar. Ich bin sehr stolz darauf, aus Brasilien zu stammen und die Musik zu spielen, die ich liebe, und neue Talente und Songs in die Welt zu bringen.

Das Album enthält auch Klassiker wie das Stück „Sou Eu“, das der Sänger Seu Jorge interpretiert. Wie kamen Sie darauf?

Das Stück stammt von meinem musikalischen Lehrer, Moacir Santos. Er war ein schwarzer Komponist aus Recife, Pernambuco, der vor ein paar Jahren gestorben ist. Viele spätere Größen des Bossa Nova sind bei ihm in die Lehre gegangen. Als ich 17 Jahre alt war, nahm ich Musikstunden bei ihm, er brachte mir Harmonien und das Komponieren bei. Ich übte den Song und spielte ihn meinem Lehrer vor. Es war etwas Besonderes, ihn jetzt nach 60 Jahren wieder aufzunehmen. Und Seu Jorge ist die perfekte Verbindung aus einem fantastischen Sänger und einem fantastischen Song.

Sie leben in Los Angeles. Wie oft sind Sie in Brasilien?

Ungefähr zweimal im Jahr für ein paar Monate. Normalerweise verbringe ich Weihnachten und Neujahr dort: Um meine Freunde zu besuchen und teilzuhaben an dem, was dort passiert. Aber viele machen das so. Seu Jorge zum Beispiel lebt auch in Los Angeles. Ich sehe ihn oft hier.

Besitzen Sie ein Haus in Brasilien?

Nein, ich wohne immer im Hotel. In meinem Alter möchte ich nicht zu viele Häuser besitzen. Ich liebe es zu reisen. Gerade bin ich aus Japan zurückgekommen, und ich liebe Europa. Wenn ich überall dort, wo es mir gefällt, ein Haus hätte, dann wäre ich pleite.

Als sie in den Sechzigern in die USA kamen, hatten Stan Getz und Astrud Gilberto gerade ihren Durchbruch mit dem inzwischen legendären Song „The Girl of Ipanema“ gehabt. Wie war das für sie?

Das war eine großartige Zeit für die brasilianische Musik, und ich kann von Glück sagen, dass ich daran teilhaben konnte. Im Jahr 1962 kam ich mit Antônio Carlos Jobim und João Gilberto für ihr Konzert in der Carnegie Hall das erste Mal in die USA. 1964 bin ich dann ganz in die USA gezogen, habe eine Platte mit Cannonball Adderley und ein paar Instrumentalalben aufgenommen und dann das Album mit Brasil 66, das „Mas que nada“ enthielt und so ein Hit werden sollte.

Brasilien galt damals als Land der Zukunft, die Musik reflektierte die Leichtigkeit und den Optimismus jener Zeit. Doch damit war es mit dem Militärputsch von 1964 vorbei. Wie haben Sie das empfunden?

Ja, damit begann eine sehr dunkle Periode der brasilianischen Geschichte und ich verließ Brasilien. Aber selbst in dieser dunklen Zeit der Repression hatten wir große Künstler wie Chico Buarque und später Caetano Veloso und Gilberto Gil. Ihr Talent konnte nicht einmal durch das Militär unterdrückt werden. Das zeigt die Stärke und Kraft der brasilianischen Musik.

Was wurde aus dem Optimismus?

Optimismus ist ein Grundzug des brasilianischen Charakters.

Sind Sie optimistisch, wenn Sie heute auf Brasilien schauen?

Die Welt ist kompliziert, und kein Ort ist perfekt. Aber Brasilien hat ein enormes Potenzial und ist geografisch gesehen in einer sehr gute Lage im Vergleich zu vielen Ländern, die auch ihre Probleme haben. Es ist ein sonniges Land, die Leute sind positiv und glücklicher als in vielen älteren Kulturen. Das hat viel mit der Natur und der kulturellen Vielfalt des Landes zu tun. Ich glaube, Brasilien hatte immer diesen Sinn für Optimismus. Das ist besser, als ein ewiger Pessimist zu sein.

Nicht jeder in Brasilien freut sich über die Fußball-WM im eigenen Land. Und Sie?

Vieles wurde versäumt, das kann man nicht leugnen, und die Welt weiß das, das ist nichts Neues. Aber auf der anderen Seite haben wir eine großartige Mannschaft und ich glaube, es wird trotzdem eine große Party.

Sie waren 17 Jahre alt, als Brasilien das erste Mal Weltmeister wurde, erinnern Sie sich?

Ich erinnere mich auch gut an 1950, als die erste Weltmeisterschaft in Brasilien stattfand und wir das Endspiel verloren, da war ich neun Jahre alt. Ich konnte nicht verstehen, warum damals in unserem ganzen Haus so eine Trauer herrschte. Als Kind habe ich mit meinen Freunden am Strand gespielt, und ich finde, dass dieser Sport viele Ähnlichkeiten mit Musik hat: die Harmonie der Spieler, die Improvisation. Und auch die Stimmung des brasilianischen Publikums ist immer ähnlich fröhlich und ausgelassen, ob man nun zu einem Konzert oder zu einem Fußballspiel geht.

Die Sechziger und Siebziger waren die große Ära des brasilianischen Fußballs, das Land wurde dreimal Weltmeister. Und heute?

Didi, Garrincha – ich habe sie alle noch spielen sehen, ich kann mich glücklich schätzen! Und Pelé war einmalig. Aber auch das aktuelle Team ist sehr gut: Viele Spieler spielen in Europa, sie trainieren sehr hart und haben diese Leidenschaft und den Willen, den Pokal zu gewinnen. Ich hoffe, Brasilien wird Weltmeister. Gegen Deutschland, das wäre ein fantastisches Finale. Auch wenn ich in Los Angeles lebe, schaue ich viel Fußball: Ich habe die Europameisterschaft verfolgt und ich kenne Bayern München und seine vielen guten Spieler.

Mit Pelé haben Sie sogar mal eine Platte aufgenommen.

Das war der Soundtrack zu einem Film über sein Leben. Wir hatten die Idee, dass er auf einigen der Stücke selbst singen sollte. Wir sind gute Freunde. Ich habe ihn und Beckenbauer kennen gelernt, als beide in New York für Cosmos gespielt haben. Pelé und der Kaiser, sie verkörperten beide auf ihre Art die Eleganz des europäischen Fußballs und die Schönheit des brasilianischen Fußballs.

Sie sind jetzt 73 Jahre alt. Haben Sie nie darüber nachgedacht, sich zur Ruhe zu setzen?

Nein, warum? Zur Ruhe von was? Es macht zu viel Spaß. Ich hoffe, ich kann noch lange neue Platten aufnehmen, neue Leute treffen und viel reisen.

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