Salomé Balthus gegen „Weltwoche“: Persönlichkeitsrechte gelten auch für Sexarbeiterinnen
Ein Schweizer Gericht urteilt im Sinne der Prostituierten Hanna Lakomy. Ein Journalist hatte ohne Einverständnis über ein Date mit ihr geschrieben.
Dreistigkeit zahlt sich nicht immer aus. Das musste nun auch ein Journalist der Schweizer Weltwoche lernen. Er hatte die Berliner Prostituierte und Autorin Hanna Lakomy aka Salomé Balthus um ein Interview gebeten, sie lehnte ab, er buchte dann ein Abendessen mit ihr – und schrieb später in der Weltwoche darüber. Den Text reichte er sogar für einen Journalistenpreis ein, gewann aber nicht. Lakomy verklagte ihn vor einem Schweizer Gericht. Das hat ihr nun Recht gegeben.
Die Weltwoche muss nicht nur den Artikel auf ihrer Internetseite löschen, sie muss auf ihrer Titelseite sowie online auch die Entscheidung des Gerichts publizieren und offenlegen, wie viel Gewinn sie mit dem Text gemacht hat. Mit der Information kann Lakomy dann auf Gewinnherausgabe klagen. Auch eine Entschädigung will sie einfordern. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Berufung ist bis Mitte Januar möglich.
Dass eine Zeitung einem Gericht ihren Gewinn offenlegen muss, ist bisher kaum vorgekommen. „Das Urteil ist ein Meilenstein“, sagt Lakomys Schweizer Anwalt Pablo Bünger der taz. „Bisher waren die Gerichte beim Punkt Gewinnherausgabe zurückhaltend. Das jetzige Urteil etabliert die Gewinnherausgabe als Standard.“
Lakomy selbst sagt der taz am Telefon, sie sei „erleichtert“, dass das Verfahren endlich beendet sei, und „dankbar“ für den Ausgang. Die Weltwoche, die sich selbst nonkonformistisch, wirtschaftsliberal und staatskritisch nennt und allgemein als rechtspopulistisch angesehen wird, antwortete bis Redaktionsschluss nicht auf Anfragen der taz.
„Keinerlei Interesse“ an Zusammenarbeit
Die Geschichte begann eigentlich schon vor über sechs Jahren, im April 2019. Damals war Lakomy in einer Schweizer Talkshow aufgetreten, die in einem Eklat endete. Talkmaster Roger Schawinski zeigte in den ersten Sendeminuten einen Einspieler, in dem Alice Schwarzer sagt, viele Prostituierte hätten in ihrer Kindheit sexuellen Missbrauch erfahren. Schawinski fragte Lakomy: „Ist das bei Ihnen auch der Fall gewesen?“ Lakomy ringt etwas mit der Fassung, verneint, weist die Frage aber auch von sich. Später zitiert sie ihn in ihrer wöchentlichen Kolumne bei der Welt aus dem Gedächtnis falsch und verliert daraufhin ihre Kolumne.
Die Talkshow „Schawinksi“ machte Lakomy in der Schweiz bekannt. Auch der Weltwoche-Journalist Roman Zeller sah die Sendung und bat im Anschluss – so steht es in den Gerichtsunterlagen – bei Lakomys Escort-Agentur Hetaera um ein Interview mit ihr. Die Antwort lautete, Lakomy habe „an einer Zusammenarbeit mit der Weltwoche keinerlei Interesse“, er solle von weiteren Anfragen dieser Art Abstand nehmen. Der taz sagt sie später, sie habe zuvor „negative Erfahrungen mit einer bürgerlich-rechten Zeitung“ gemacht.
Zeller erhält als Antwort zusammen mit der Absage: Als Kund*innen seien Mitglieder der Redaktion willkommen. Daraufhin antwortete Zeller, dann wolle er sie „als Kunde“ treffen. Und das tat er im November 2019 dann.
Lakomy nennt einige Zitate „ausgedacht“
Am 5. Dezember 2019 erscheint Ausgabe 49 der Weltwoche. Auf der Titelseite angekündigt wird ein „Rendezvous mit Salomé Balthus. Ein Abend mit der intellektuellen Edelprostituierten“. Der Text selbst steht auf den Seiten 40 bis 42, illustriert unter anderem mit einem Foto von Lakomy bei ihrem Auftritt in der Talkshow. Am gleichen Tag erhält Lakomy eine Weihnachtskarte von Zeller, die auch als Beweismittel dem Gericht vorliegt. Der Text: „Du hast mich beeindruckt, weshalb ich unbedingt darüber schreiben wollte – ich hoffe, Du bist mir nicht böse.“
Lakomy ist nicht böse, sondern „fassungslos“, erzählt sie der taz. „Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass jemand zu so viel Frechheit fähig ist und meint, damit durchzukommen.“ Die Weltwoche habe später argumentiert, das Porträt über sie sei doch positiv, stelle sie in einem guten Licht dar – warum sie denn etwas dagegen habe? Darum ging es Lakomy aber nicht. „Ich hatte nicht zugestimmt. Fertig. Das ist ja, als würde ich jemanden in ein Zimmer sperren und sagen, was hast du denn, das ist doch ein schönes Zimmer“, sagt sie der taz.
Beim Treffen habe Zeller keine für Journalist*innen üblichen Utensilien ausgepackt. „Ich habe kein Mikrofon auf dem Tisch gesehen, kein Handy, keinen Notizblock“, sagt Lakomy der taz. Und dennoch zitierte Zeller sie später im Text ausführlich. Lakomy nennt die Zitate zum Teil ausgedacht und macht das auch bei Gericht geltend. In den Akten heißt es, Zeller bestehe darauf, Lakomy richtig wiedergegeben zu haben. Laut Urteil wäre es an der Weltwoche gewesen, zu beweisen, dass die Zitate tatsächlich gefallen sind, Zeller sie korrekt wiedergegeben und Lakomy ihr Einverständnis zur Veröffentlichung gegeben habe. Diese Beweise habe die Zeitung nicht erbringen können.
Ein klares Urteil
Um als Ausländerin in der Schweiz überhaupt klagen zu können, musste Lakomy die anvisierten Gerichtskosten vorstrecken – 15.000 Franken (im Jahr 2020 etwa 14.000 Euro). Dafür richtete sie ein Crowdfunding ein, und innerhalb von zwei Wochen hatte sie den Betrag zusammen.
Die fehlenden Notizen wie auch die Weihnachtskarte gehören sechs Jahre später zu den Gründen für das Bezirksgericht Zürich, klar im Sinne Lakomys zu urteilen: Zeller hat ihre Persönlichkeitsrechte verletzt, indem er ohne ihr Wissen und ihre Einwilligung über ihre Begegnung einen Artikel schrieb und veröffentlichte. Auch aus dem E-Mail-Verkehr sei keine Einwilligung erkennbar, und in seinem Artikel habe er selbst geschrieben, dass sie ihm kein Interview geben wollte. „Ein Kunde (unabhängig von dessen Beruf) ist nicht berechtigt, einen Artikel über das Treffen mit einer Escort-Dame oder Prostituierten zu veröffentlichen, ausser diese wäre ausdrücklich damit einverstanden“, heißt es im Urteil.
Das Gericht nennt Zellers Aussagen „vage“, „widersprüchlich“ und „ausweichend“. Seine Argumentation, Lakomy sei eine öffentliche Person, die selbst Details aus ihrem Privat- und Intimleben – beispielsweise in ihrer regelmäßigen Kolumne, zunächst bei der Welt, später bei der Berliner Zeitung – preisgebe, erkennt es nicht an. „Aus dem Umstand, dass die Klägerin in anderen Foren Privates diskutiert und über ihr Sexualleben schreibt, kann jedoch keine Blankoermächtigung zur Verbreitung sämtlicher privater Informationen ohne Zustimmung der Klägerin abgeleitet werden“.
Der Rechtsstreit zog sich über Jahre, da Lakomy nach Schweizer Recht zunächst einen Vergleich anstreben musste – aus dem wurde jedoch nichts, weil, so sagt Lakomy der taz, die Weltwoche den Artikel nicht von ihrer Webseite habe löschen wollen. „Ich wollte sowieso keinen Vergleich, ich wollte gerichtlich klären lassen, ob ein Journalist mich privat als Kunde treffen und danach darüber schreiben darf, was er will. Man kann sich ja nicht alles gefallen lassen.“ Mit dem Urteil ist jetzt klar: Darf er nicht.
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert