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Sahrauische Aktivistin über Ausbeutung„Wir reden hier von blutigem Wasserstoff“

Aktivistin Emma Lehbib kritisiert die Aneignung von Ressourcen der Westsahara mithilfe Marokkos – um den Norden klimaneutral zu machen.

Damit ihre Unterdrückung nicht vergessen wird: Demonstration von Sahrauis Foto: Luis Soto/Zuma Press Wire/dpa
Leo Schurbohm
Interview von Leo Schurbohm

taz: Frau Lehbib, grüner Wasserstoff könnte für die Westsahara zum Exportschlager werden – warum steht der globale Norden in der Kritik, kolonialistisch zu handeln?

Emma Lehbib: Die Westsahara ist die letzte offizielle Kolonie in Afrika. Es geht also um ein kolonisiertes, besetztes Gebiet, das mithilfe des Staates Marokko – der es de facto kontrolliert – für Ressourcen ausgebeutet wird, ohne Konsequenzen, und ohne, dass das Volk den Projekten zustimmt. Erneuerbare Energien spielen im globalen Norden eine wichtige Rolle. Grüner Wasserstoff aus der Sahara klingt natürlich toll.

taz: Würden Sie sagen, dass der dort produzierte Wasserstoff tatsächlich grün ist?

Lehbib: Die Frage, ob der grün ist oder nicht, ist nicht wirklich relevant. Wir reden hier von blutigem Wasserstoff.

taz: Wie meinen Sie das?

Lehbib: Die Wasserstoffprojekte sind nur durch die 50-jährige Besetzung der Westsahara möglich. Eine Besetzung, die mit einem Aggressionskrieg begann, mit Kriegsverbrechen einherging und bis heute von schweren Menschenrechtsverletzungen geprägt ist. Die Sahrauis erfahren systematische Gewalt, werden aus ihren Häusern vertrieben, die zerstört werden, um Raum für Windparks, Wasserstoffproduktion und touristische Infrastruktur zu erzwingen.

Podiums­gespräch „Grüner Wasserstoff, weiße Prioritäten? Energiewende zwischen Klimagerechtigkeit und Kolonialität“, 25. 9., 18.30 Uhr, Dt. Hafenmuseum Hamburg, ­Australiastraße 6, Schuppen 50A und online, Eintritt frei, Anmeldung erforderlich

taz: Haben die Projekte weitere Auswirkungen?

Lehbib: Marokko fühlt sich immer stärker bemächtigt und in der Besetzung legitimiert. Es wird aggressiv gegen Men­schen­rechts­ak­ti­vis­t:in­nen vorgegangen, zensiert und kontrolliert – Pressefreiheit gibt es nicht. Die wenigen mutigen Jour­na­lis­t:in­nen haben mit Gewalt und Verfolgung zu kämpfen. Es gibt viele Entführungen und Vergewaltigungen. Menschen werden ohne Prozess in Gefängnisse gesteckt.

taz: Bringen die Projekte auch was Gutes?

Lehbib: Die einzige Chance ist, dass ein kritischer Diskurs entsteht. Die Besetzung ist in Deutschland nicht wirklich bekannt. Jetzt, mit Aufkommen erneuerbaren Energien, öffnet sich die Möglichkeit, darüber zu sprechen, woher dieser Wasserstoff eigentlich kommt, zu thematisieren, was für ein Unrecht stattfindet, und dass das illegal ist.

taz: Die Westsahara ist stark von Arbeitslosigkeit geprägt. Helfen die Projekte hier?

Lehbib: Es werden zwar Arbeitsplätze geschaffen, aber Sahrauis werden auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert. Marokkanische Sied­le­r:in­nen werden bevorzugt. Die wirtschaftliche Lange für Ma­rok­ka­ne­r:in­nen ist aber auch sehr schlecht – genauso wie deren Menschenrechtslage. Klar nehmen Sie es an, wenn Ihnen ein stabiler Job in einer immer größer werdenden Industrie angeboten wird. Sie werden vom marokkanischen Staat instrumentalisiert.

taz: Welchen Einfluss haben europäische Staaten?

Lehbib: Viele, und besonders Frankreich, hatten nie Interesse an einer Befreiung der Westsahara und begrüßen die Wasserstoffprojekte. Marokko gilt als progressives Land, als Pionier der erneuerbaren Energien auf dem afrikanischen Kontinent. Das verkauft sich natürlich super. Wir reden aber am Ende des Tages von einem stark autoritärem Staat, der immer noch einen Monarchen hat, welcher effektiv fast alles kontrolliert und bestimmt. Die Sah­rauis und Ma­rok­ka­ne­r:in­nen leiden darunter – durch starke Repression, Armut und eingeschränkte Freiheiten.

Im Interview: Emma Lehbib

23, Vereinssprecherin der Sahrauischen Diaspora in Deutschland.

taz: Wer profitiert neben Marokko und den Importländern von der Energieproduktion in der Westsahara?

Lehbib: Internationale Unternehmen, etwa Siemens Energy, ein großes und wichtiges Unternehmen in der Westsahara.

taz: Was würden Sie sich von den Unternehmen wünschen?

Lehbib: Dass sie sich rausziehen, bis das Land entkolonisiert ist. Oder dass sie sich die Zustimmung des Volkes einholen.

taz: Würden die Sahrauis zustimmen?

Lehbib: Die Sahrauis sind nicht grundsätzlich gegen Projekte in der Westsahara. Es braucht Energieprojekte, die nachhaltig sind. Was sie erwarten ist, dass die Ressourcen mit Zustimmung der Sahrauis genutzt werden. Andernfalls ist das völkerrechtswidrig.

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