Sächsische Schweiz: Links die Bäume, rechts das Volk?
Malerische Berge oder doch eine braune Idylle? Eine Reise durch die Sächsische Schweiz, um das rechte Image der Region auf die Probe zu stellen.
Die S-Bahn braucht zwanzig Minuten von Dresden nach Pirna, hier in der Fußgängerpassage fällt zunächst auf, wie wenig auffällt: Zu Besuch in einer deutschen Kleinstadt, in ihrer Durchschnittlichkeit kaum zu überbieten. In der durchrenovierten Altstadt kleine Boutiquen, Restaurants und Cafés für die Tourist*innen in Funktionskleidung. In der Mitte des Marktplatzes das Rathaus, vor dem auf Wunsch des AfD-Oberbürgermeisters in diesem Jahr keine Regenbogenflagge wehte, weswegen das dann kurzerhand die Stadtkirche St. Marien gleich nebenan übernommen hat.
Der Text ist aus einem zu den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im Rahmen eines Online-Workshops der taz Panter Stiftung entstandenen Ostjugend-Dossier, das durch Spenden finanziert wird: taz.de/spenden
Über all dem thront die heutige Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein, in der die Nationalsozialisten tausende Menschen mit psychischen Krankheiten oder geistigen Behinderungen ermordeten. In der Sächsischen Schweiz liegt, nicht nur geografisch betrachtet, alles nahe beieinander.
Toni Richter, Geschäftsführer des Tourismusverbands, schwärmt erwartungsgemäß von der einzigartigen Natur, aber auch kulturellen Angeboten in und um den Nationalpark. Es herrscht Zukunftsoptimismus, die Besucher*innenzahlen haben sich seit der Wende kontinuierlich entwickelt, Nachhaltigkeit wird großgeschrieben, Tourist*innen und Arbeitskräfte aus dem Ausland sollen in die Region geholt werden. Die letzten Wahlergebnisse im Landkreis SOE sind dahingehend ernüchternd, die AfD bekam bei der EU-Wahl fast 40 Prozent, die rechtsextremen Freien Sachsen bei der Kreistagswahl fast 4 Prozent.
Bestimmte Orte lieber meiden
Wieder in der S-Bahn auf dem Weg tiefer hinein in das Elbsandsteingebirge, den Windungen des Elbtals folgend. Das rötliche Abendlicht lässt einen an die transzendente Stimmung von Caspar David Friedrichs „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ denken. In Dissonanz dazu, die Berichte der beiden Jugendlichen Max und Lukas der Gruppe SOE gegen Rechts. Ihre echten Namen wurden in diesem Text geändert. Sie erzählen von ihrem Aktivismus in Pirna und vom „Haus Montag“, einem Treffpunkt der lokalen Neonaziszene, dass eben erst im Rahmen des Compact-Vereinsverbots durchsucht worden ist, von stadtbekannten Restaurants und Orten von denen sich „linksgelesene“ Personen lieber fernhalten, von Beleidigungen, Angriffen und Angstmache innerhalb und außerhalb der Schule.
Unter dem dichten Nadel- und Blätterdach der Fichten, Buchen und Birken ist davon erstmal wenig zu sehen. Hier herrscht eine friedliche, fast urzeitliche Stimmung. Umgefallene Baumstämme, hohe Gräser und Farne bilden ein undurchdringliches Dickicht. Ist der Aufstieg geschafft, bleibt der Blick über die hügelige Landschaft hängen an von Borkenkäfern zerfressenen Bäumen, Kletterern auf einem Gipfel, einem süßen Örtchen auf der Anhöhe gegenüber. Vielleicht lieber nicht die Wahlergebnisse googeln?
Zu spät: Das süße Örtchen heißt Reinhardtsdorf-Schöna und die Heimat, früher mal NPD, bekam bei der Gemeinderatswahl im Juni 22,9 Prozent. Ohne die Natur-Politik-Analogien überzustrapazieren, aber mit den Bäumen scheint hier die Demokratie unauffällig wegzusterben.
Der Abstieg ist steil, entgegenkommende Personen grüßen freundlich, es wird viel gescherzt. Die gute Laune spiegelt sich auch in Gesprächen mit Tourist*innen wider. Die meisten kennen den Ruf der Region als rechtsextreme Hochburg, meinen davon, während ihres Aufenthalts, aber wenig zu merken. Zur Politik melden sich verschiedene Stimme zu Wort. Ein Wanderer meint, jeder solle wählen können, was er will, es wäre keine Tragödie, wenn die AfD regiere, dann werde sie halt wieder abgewählt, Hauptsache, das Grundgesetz gilt überall.
Empfohlener externer Inhalt
Normalisierung rechtsextremer Ideologie
Zwei junge Frauen, die für die Nationalparkverwaltung in der Umweltbildung arbeiten, erzählen von zerstörten Plakate demokratischer Parteien, dem Briefing ihres Arbeitgebers für den Umgang mit rechtsextremen Aussagen von Kindern und Jugendlichen sowie von der Präsenz rechtsextremer Codes und Symbole. Die beiden attestieren sich eine „Demokratiedepression“.
Am Abend in der „Boofe“, einer der vielen Freiübernachtungsstellen für Bergsteiger*innen. Die Luft riecht und schmeckt erdig-frisch, Insekten schwirren umher, abgesehen von dem Gekreische irgendwelcher Tiere tief im Wald, ist es komplett still. Berlin kommt einem hier verdammt weit weg vor und man ist gar nicht traurig darüber. Auch, weil man heute in einem Veranstaltungsraum des Alternativen Kultur- und Bildungszentrum (AKuBIZ) in Pirna saß.
Nervös lächelnde, aber sichtbar stolze Teilnehmer*innen mit und ohne Migrations- und Fluchtgeschichte trugen ihre Texte aus der Broschüre „Widerständige Wege“ vor. Zuschauer*innen nehmen Fotos und Videos auf und die emotionale Stimmung wird immer wieder von herzlichem Lachen unterbrochen. Man ärgert sich über den eigenen Pessimismus, hängen bleibt die optimistische Aussage eines Teilnehmers „dass die Welt veränderbar ist – im Guten wie leider auch im Schlechten“.
Alina vom AKuBiZ sagt, mit den Wahlergebnissen, über die man sich anderorts aufregt, ist man hier auf persönlicher Ebene konfrontiert. Auch sie beobachtet eine Normalisierung rechtsextremer Ideologie, die sich immer öfter auch in Gewalt äußert. Sie verweist auf Kontinuitäten seit den 1990er und 2000er Jahren, aber auch auf über diese Zeit gewachsene Verbindungen, eine aktive Zivilgesellschaft. Da, wo die Brandmauer bröckelt, wird fleißig verputzt.
Friedliche Koexistenz trotz anderer Gesinnung
Unterwegs in Schmilka, ein weiteres süßes Örtchen. Eine Person, die anonym bleiben will, beschwert sich über die (vermutlich Journalist*innen), die immer schreiben, dass hier alle rechtsextrem sein, die einen belehren wollen, obwohl sie aus einer ganz anderen Lebensrealität kommen. Die Menschen auf den Dörfern hätten „zu kämpfen“, müssten weit zu ihren Jobs fahren und hätten „den Hals voll“.
Das Vertrauen in die Parteien sei verloren, sie verspürten wenig Selbstwirksamkeit, wünschten sich Veränderung. Verständnisvoll ließe sich einwenden: Die Menschen im Landkreis SOE sind nicht die einzigen, die sich Veränderung wünschen. Allerdings besteht zwischen diesem Wunsch und der Wahl der in Sachsen vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften AfD kein Automatismus.
Der Betreiber des Kiosks „Zur alten Schule“, ein Zugezogener aus Berlin, bezeichnet sich selbst als „links“ und sei schonmal in eine Auseinandersetzung mit einem mittlerweile untergetauchten Rechtsextremisten geraten, weil dieser sich rassistisch gegenüber zwei Tourist*innen äußerte. Trotzdem, meint der Betreiber, begegnen ihm offen menschenfeindliche Aussagen hier selten. Er meint, im Ort stehe die friedliche Koexistenz über der politischen Gesinnung. Vor seinem Laden sitzen Linke und Rechte bei Bockwurst und Bier zusammen, es läuft Musik und man kommt miteinander ins Gespräch. Was nach einem Juli Zeh Roman klingt, erscheint glaubhaft, auf eine Art naiv, macht hier aber trotzdem Hoffnung.
Überregionale Unterstützung ist besonders wichtig
Auf dem Weg zur Fähre, von Postelwitz am Elbufer entlang in Richtung Bad Schandau. Wie überall verkünden hier Schilder: „Zimmer zu vermieten“, „Selbstgemachte Marmelade“ oder „Biergarten“. Wer am Verkaufsstand nach dem Rechtsextremismus in der Region fragt, kann als Antwort hasserfüllte Blicke bekommen. Doch der Tourismus boomt, die Menschen profitieren. Eine Rezeptionistin wehrt sich deswegen auch gegen die Bezeichnung „abgehängt“. Wie sie gibt es viele, die positiv auf die Region blicken, sie mitgestalten.
Trotzdem ist, wie Max und Lukas von SOE gegen Rechts betonen, Zusammenhalt und überregionale Unterstützung hier besonders wichtig. Sonst kann es passieren, wie in Berggießhübel im letzten Jahr, dass eine Demonstration der Freien Sachsen mit tausenden Teilnehmer*innen gegen eine geplante Unterkunft für Geflüchtete ungestört stattfinden kann. Die Gefahr rechter Hegemonie ist real. Geflüchtete werden in Berggießhübel nun übrigens nicht untergebracht.
Die Sonne scheint, die Tourist*innenströme bewegen sich mit der Fähre über das kühlende Wasser der Elbe in Richtung der S-Bahn. Zurück in der Großstadt. In den Nachrichten und auf Social Media kursieren die ersten Videos des Aufmarschs von Rechtsextremist*innen beim Christopher Street Day in Bautzen. In der Sächsischen Schweiz ist das von den Gesprächspartner*innen bereits antizipiert worden, es überrascht nicht.
Jeremias Tacke, 23, geboren und aufgewachsen in Dresden, studiert mittlerweile in Leipzig Politikwissenschaft und Anglistik. Schreibt und veröffentlicht literarische und journalistische Texte.
FOTO: Tim Gassauer, 27, aufgewachsen in Thüringen, lebt und arbeitet als Fotograf zwischen Berlin und Chemnitz.
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