Sadomasochismus und Verantwortung: Das Paradox der Dominanz
Beim Sex gelingt das Machtspiel nur, wenn das Begehren ernst genommen wird – und das Oben und Unten real. Das braucht die richtige innere Haltung.
M acht ist ein Ort der Einsamkeit. Das gilt für die realen Verhältnisse ebenso wie für das Oben und Unten im sadomasochistischen Spiel. Die Chefin mag sich gegenüber dem Mitarbeiter nach Anerkennung sehnen, die Mutter gegenüber dem Kind nach Gegenliebe, beiden mag dieser Wunsch ab und zu erfüllt werden. Aber wahre Nähe zum Unten bleibt ihnen verwehrt.
Herr-und-Knecht-Dialektik hat Hegel das genannt. Nicht anders ist es zwischen Dom, also dem dominanten Part, und Sub, dem unten stehenden, liegenden, knienden Gegenstück in der SM-Beziehung. Denn die ist auch bloß Simulation realer Machtverhältnisse unter Laborbedingungen, kontrolliert, gerahmt und reduziert aufs Wesentliche: das Oben und Unten.
Für Doms ergibt sich daraus ein Paradox: Obgleich sie in der Logik des Spiels die Macht haben, sind sie der oder dem Sub gegenüber verpflichtet, verantwortlich, ihren oder seinen Bedürfnissen ausgeliefert. Sogar ihre Macht selbst existiert nur so lange, wie die Grenzen der oder des Sub nicht erreicht sind. Als Dom muss ich, will ich es richtig machen, mehrere Aufgaben jonglieren.
Das erschöpft sich nicht darin, Leder oder Uniform zu tragen, meine Stimme zu senken und mein Gegenüber kreativ zu demütigen. Das ist nur äußere Handlung, und die fällt, wie jede soziale Rolle, mit der Zeit immer leichter. Schwieriger ist die innere Haltung, die es der oder dem Sub erlaubt, sich fallen zu lassen in einen Raum von Sicherheit, Fürsorge und Akzeptanz.
Ein echter Sadist?
Das Machtspiel gelingt nur, wenn ich das Sub-Begehren einhundert Prozent ernst nehme, das Oben und Unten real werden lasse. Ich den anderen also tatsächlich als den dreckigen, wertlosen Köter sehe, der er in diesem Moment sein möchte. Würde ich das nicht tun, würde ich nur so tun als ob, dann würde ich damit sein ehrliches Begehren verraten.
Ich muss also bereit sein, ihm alles zu nehmen, seinen Wert als Person, seine Verantwortung sich selbst gegenüber, seine Scham. Und zugleich muss ich aufmerksam bleiben für den Moment, an dem er seine Grenzen erreicht. Denn obwohl ich alles kontrolliere, kontrolliere ich das Entscheidende nicht: wann das Spiel endet.
Dem oder der Sub wird so ermöglicht, sich zu befreien. Der oder die Dom hingegen nimmt alle Bürden auf sich. Das ist massive Sorgearbeit, und es kommt nicht selten vor, dass Doms danach in ein Loch fallen. Denn während des Spiels hat sich niemand um meine Bürden, meine emotionalen Lasten, meine Scham gekümmert. Ich war an der Macht, und dort, an der Macht, ist niemand für dich da.
Manche werden nun einwenden, dass ich kein echter Sadist sei, wenn ich so denke. Dass ich das Begehren nach Macht gar nicht mitbringe, mir die Rolle einfach nicht liege. Das mag sein, mag aber auch nicht sein. Denn die Machtposition reizt mich schon. Und wenn es nur ist, um mein devotes, kniendes, wimmerndes Gegenüber gut aufgehoben zu wissen.
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