Sachsen spart soziale Projekte kaputt: „Aus wirtschaftlicher Sicht irrational“
Die Landesregierung hat für 2025 noch keinen Haushaltsplan und streicht deshalb Fördergelder. Für einige soziale Angebote ist das existenzbedrohend.
Das sächsische Sozialministerium, geleitet von Petra Köpping (SPD), hat zum 1. Januar aufgehört, die Beratungsstelle zu fördern. Warum? Aktuell hat die neue CDU-SPD-Minderheitsregierung in Sachsen noch nicht geplant, wie sie ihr Geld verwenden möchte. Der Entwurf für den Haushalt 2025 kommt voraussichtlich erst im März, wie Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) am Mittwoch verkündete. Bis dahin haben die Ministerien nur einen begrenzten finanziellen Spielraum.
Beim Bel zeigt sich das besonders deutlich. Die Förderung vom Land machte in den vergangenen Jahren etwa 90 Prozent des Budgets aus. Ohne die beantragten 214.000 Euro für 2025 vom Sozialministerium muss das Bel seine Arbeit zum 28. Februar einstellen.
Dass Geld bei gemeinnützigen Projekten knapp ist, ist weder selten noch neu. Doch in Sachsen verschärft sich für sie derzeit die Lage, nicht nur beim Bel. Allerdings lässt sich die Situation schlecht verallgemeinern. Wie drastisch die Probleme im Einzelfall sind, hängt von verschiedenen Faktoren ab – zum Beispiel, ob die Projekte zu Pflichtaufgaben des Staats gehören, freiwillig sind oder von welcher Stelle das Fördergeld kommt.
Kommunen sparen ebenfalls beim Sozialen
Neben dem Land sparen auch die sächsischen Kommunen, um ihre steigenden Ausgaben und sinkenden Einnahmen zu kompensieren. Und dabei wurde der fehlende Bundeshaushalt noch gar nicht erwähnt. Geht im staatlichen Haushalt das Geld aus, leiden darunter soziale Projekte.
Die Folgen zeigen sich in verschiedenen Ecken Sachsens. Während etwa im Süden die Aids-Hilfe Chemnitz wegen der unklaren Fördersituation keine HIV-Tests mehr machen kann, hat ganz im Osten, im Landkreis Görlitz, der Jugendring Oberlausitz Ende vergangenen Jahres einen Insolvenzantrag gestellt.
Der Landkreis hatte schon im November angekündigt, einen Teil des Geldes für die Jugendarbeit zu kürzen. Hinzu kommt der fehlende Haushalt des Landes. „Wir können das Geld bei elf Mitarbeitern nicht vorstrecken“, sagt Vereinsvorsitzende Jana Lübeck (Linke). Sie glaubt, wenn Landrat Stephan Meyer (CDU) gewollt hätte, wäre zumindest eine Vorfinanzierung auch über den Kreis möglich gewesen. Abschlagszahlungen für die Jugendhilfe hätte er versprochen gehabt, schriftlich hatte der Jugendring nichts. „Soziale Themen haben gerade einen schweren Stand“, konstatiert Lübeck.
„Liste der Grausamkeiten“ in Dresden
In der Landeshauptstadt fehlt ebenfalls Geld. Um sämtliche Pflichtaufgaben zu erfüllen, müsse Dresden freiwillige Leistungen kürzen, sagt Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP). Rund 70 Millionen weniger als letztes Jahr, bekommt die Stadt von der Landesregierung. Nachdem sich das im vergangenen Jahr abgezeichnet hatte, plante er nicht nur eine höhere Grundsteuer, sondern auch die Streichung vieler sozialer Angebote. „Liste der Grausamkeiten“ hat er das genannt. Doch dagegen regt sich Protest.
Am Samstag versammeln sich in Dresden um 13 Uhr vor dem Rathaus etwa 150 Menschen. „Kürzungen? Nicht mit uns!“, steht auf einem Banner. Das Bündnis „Jugend gegen Kürzungen“ hat zur Demonstration aufgerufen, von den sieben Redner:innen ist einer über 20 Jahre alt.
In ihren Appellen thematisieren sie die angekündigten Einsparungen bei der Jugendsozialarbeit und beim ÖPNV. Kapitalismuskritisch analysieren sie dabei die Argumente, mit denen Hilbert die Kürzungen begründet. Nach einer halben Stunde ziehen sie los, von lauter Punkmusik begleitet und vereinzelten Sprechchören gegen die Kürzungen, durch die Dresdner Altstadt.
In Leipzig bemüht sich das Beratungszentrum Bel derweil um Kontakt mit Landtagsabgeordneten: Mit Vertreter:innen der Linken, Grünen, SPD und CDU hätten sie schon gesprochen, erzählt Mona Herdmann. Sie sollen Sozialministerin Köpping umstimmten, sie davon überzeugen, dass es das Bel in Sachsen braucht.
Herdmann glaubt, der Landesregierung sei nicht klar, was verloren gehe. So eine Beratungsstelle zu organisieren, brauche Zeit. Der „Leidensweg“ von Betroffenen verlängere sich, wenn sie keine frühe Hilfe bekommen. „Das ist aus wirtschaftlicher Sicht irrational, wenn man weiß, wie viel Behandlung beispielsweise eine chronifizierte Anorexie braucht und was ein Klinikaufenthalt kostet.“ Um sich selbst mache sie sich keine Sorgen, sie finde schon einen Job, sagt Herdmann. „Aber wenn das ganze gesammelte Wissen hier versinkt, finde ich das sehr traurig.“
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