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Sachsen-Anhalt nach der WahlSondierungen in Magdeburg

Der neue Landtag Sachsen-Anhalts hat sich konstituiert. Die Grüne fliegen wohl aus der Regierung, eine Deutschland-Koalition ist absehbar.

Sachsen-Anhalt, Magdeburg: Gunnar Schellenberger (CDU, m) wurde zum Landtagspräsidenten gewählt Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

DRESDEN taz | Konstituierende Sitzungen eines Parlaments sind meist die friedlichsten der gesamten Legislaturperiode. So auch am Dienstag im Landtag von Sachsen-Anhalt, pünktlich vier Wochen nach der Landtagswahl, die die CDU überraschend vor der AfD gewann. „Wir sind allesamt Verteidiger der Verfassung“, mahnte Alterspräsident Detlef Gürth (CDU), und ein „stilles Gebet“ für die Pandemieopfer schloss sich an.

Auch die Wahl des neuen Landtagspräsidenten verlief reibungslos. Der von der CDU vorgeschlagene frühere Lehrer Gunnar Schellenberger erhielt 60 Stimmen der komplett anwesenden 97 Abgeordneten. Schellenberger saß seit 2002 im Magdeburger Landtag, wechselte 2016 aber als Staatssekretär für Kultur in die Staatskanzlei.

Wesentlich knapper wurde die ehemalige Justizministerin Anne-Marie Keding auf Vorschlag der CDU zur Vizepräsidentin gewählt. Sie erhielt nur 6 Stimmen mehr als die 40 der Union, 43 votierten gegen sie, 6 Abgeordnete enthielten sich.

AfD-Kandidat Matthias Büttner aus Staßfurt fiel dann im ersten Anlauf durch, obschon neben den 23 AfD-Abgeordneten weitere 9 für ihn stimmten. Die AfD hatte der CDU angeboten, Schellenberger zu unterstützen, wenn dies im Gegenzug auch mit Büttner geschähe. Im Salzlandkreis, wo Schellenberger im Kreistag sitzt, habe sich bereits eine „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ zwischen CDU und AfD entwickelt, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer Tobias Rausch.

Jamaika und Kenia sind wohl vom Tisch

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Siegfried Borgwardt aber lehnte ab. Kreise hatte zuvor eine Äußerung von AfD-Büttner zum neuen Bußgeldkatalog gezogen. „Eines Tages kommt der Tag, da stehen Pendler und Autofahrer hier auf dem Domplatz mit Fackeln und Mistgabeln und ich führe sie dann zu den Büros“, drohte er im Stil des abgewählten US-Präsidenten Donald Trump.

Während der Landtag voraussichtlich erst im September zu seiner nächsten Sitzung zusammentreten wird, laufen noch die Sondierungsgespräche für eine Koalitionsbildung. Wohlweislich hatte der Landtag im Februar 2020 mit einer großen Parlaments- und Verfassungsreform eine Klausel aufgehoben, die die Wahl des Ministerpräsidenten spätestens zwei Wochen nach der ersten Landtagssitzung vorschreibt.

Von anfangs vier Optionen ist zumindest eine Neuauflage der bisherigen Kenia-Koalition vom Tisch. Die Grünen wollen nicht das dritte Rad am Zweirad sein, wenn sie für eine Mehrheit nicht zwingend gebraucht werden. Über eine Stimme Mehrheit aber würden CDU und SPD schon zusammen verfügen.

Dritter im Bunde könnte die nach zehn Jahren wieder im Landtag vertretene FDP in einer sogenannten Deutschlandkoalition werden. Offenbar haben sich Union und Liberale bei den Einzelgesprächen neu ineinander verliebt. Über Inhalte aber wird Stillschweigen gewahrt. Unwahrscheinlich erscheint eine Jamaika-Koalition, sodass die Grünen in Sachsen-Anhalt wohl nicht mitregieren werden.

Inwieweit dies ein Signal Richtung Bundestagswahl bedeutet, ist umstritten. Andreas Schmidt, einer der beiden SPD-Landessvorsitzenden, sieht keine bewusste Verzögerung bei den Sondierungen. In der kommenden Woche sollen sie abgeschlossen werden. Aber Schmidt rechnet allein für seine Partei vor, dass sich Parteitagsvotum pro Koalitionsverhandlungen, die Verhandlungen selbst und deren Bestätigung durch ein Mitgliedervotum bis Mitte September hinziehen werden.

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