SPÖ öffnet sich zur FPÖ: Tabubruch in Österreich
Mit der ÖVP wollen weder SPÖ noch die FPÖ koalieren. Jetzt hat Kanzler Christian Kern die Option mit den Rechten für grundsätzlich möglich erklärt.
Seit Wochen eierte die SPÖ herum. Alle Welt wusste, dass an einer Neudefinition des Verhältnisses zur FPÖ debattiert wurde. Aber von verschiedenen Funktionären wurden die unterschiedlichsten Varianten ins Leben gesetzt: Eine Mitgliederbefragung vor den Wahlen, eine Abstimmung, wenn eine Koalition unmittelbar bevorsteht oder eine Öffnung ohne Befragung der Basis.
Während Wiens Bürgermeister Michael Häupl nach wie vor nicht mit den Rechten in Berührung kommen will, koaliert Hans Nießl im Burgenland seit zwei Jahren mit der FPÖ und wirkt dabei sehr glücklich. Er will, dass diese Option auch auf Bundesebene zu einer echten Alternative zur quälenden Zusammenarbeit mit der konservativen ÖVP wird.
Und FPÖ-Chef Heinz Christian Strache, der sich ständig über die „Ausgrenzung“ durch die SPÖ beschwerte, hat immer wieder angedeutet, dass ihm die Sozialdemokarten lieber wären als die Konservativen. Seit die ÖVP unter ihrem neuen designierten Chef Sebastian Kurz vor einem Monat die Koalition platzen ließ und Neuwahlen für den 15. Oktober angesetzt wurden, wurde der Druck größer, endlich Farbe zu bekennen.
Herausgekommen ist eine Lösung mit viel Elastizität. Unter Federführung von Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser ist ein Kriterienkatalog erstellt worden. Er soll für alle potentiellen Partner gelten. Dazu gibt es sieben Wahlansagen und eine Mitgliederbefragung nach der Wahl. Die FPÖ könne nun nicht mehr sagen, sie würde ausgegrenzt, sondern selbst entscheiden, “ob sie auf das Spielfeld zurückkehrt“, so Kanzler Christian Kern am Mittwochnachmittag.
Aus heutiger Sicht kein Partner
Der Kriterienkatalog enthält sehr allgemeine Grundsätze, denen wohl auch die FPÖ folgen kann: ein Bekenntnis zu Österreich und zu den Menschenrechten, eine klare Orientierung Österreichs in Richtung Europäische Union, Priorität der sozialen Sicherheit, die Gleichberechtigung der Geschlechter sowie Bildung und die „Freiheit der Kunst“.
Der Knackpunkt wird aber in den konkreten Ansagen für den Wahlkampf liegen, die die SPÖ mit einem künftigen Partner durchsetzen will. Da finden sich etwa die Wiedereinführung der Erbschaftssteuer und ein steuerfreier Mindestlohn von 1500 Euro, die auch mit der ÖVP nicht zu machen sein werden. Ob die FPÖ aus heutiger Sicht als Partner in Frage käme, hat Kern im Fernsehinterview nach einigem Drängen mit Nein beantwortet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen