SPDler Stegner über Regierungsbildung: „Das Verhandeln muss sich lohnen“
Eine große Koalition wird es nur mit einem Politikwechsel geben, sagt Schleswig-Holsteins SPD-Chef Ralf Stegner. Dazu gehören auch Steuererhöhungen.
taz: Herr Stegner, an diesem Freitagnachmittag treffen sich in Berlin die Unterhändler von Union und SPD zu ihrem ersten Sondierungsgespräch. Was erwarten Sie als Parteilinker von diesem Treffen?
Ralf Stegner: Dass deutlich wird, ob in der Union die Bereitschaft besteht, einen Politikwechsel hinzukriegen. Das Verhandeln müsste sich lohnen.
Was müsste die Bundeskanzlerin anbieten, damit die SPD-Basis weiteren Gesprächen zustimmt?
Generell muss es eine sozialere Ausrichtung der Politik geben. Das geht von Arbeit über Rente und Pflege bis zu Bildung und Steuern, aber auch Europa. Gerechtigkeit muss künftig Maßstab und Kompass sein. Wenn das nicht geht, sind wir auch in der Opposition gut aufgehoben. Eine Große Koalition wird es mit der SPD nur geben, wenn sie zu einem substanziellen Politikwechsel führt und unsere Mitglieder dem Koalitionsvertrag zustimmen. Das ist eine logische Konsequenz unseres Erneuerungsprozesses, den Parteichef Sigmar Gabriel seit 2009 eingeleitet hat.
Die CDU punktet mit ihrem hohen Wahlergebnis. Wie will die SPD mit 25,7 Prozent Augenhöhe herstellen?
Die Frage ist doch nicht, ob Frau Merkel vier, fünf oder zwanzig Mandate zum Regieren fehlen. Sie hat einfach keine Mehrheit im Bundestag. Wenn sie mit der SPD verhandeln will, muss sie sich ein komplett anderes Koalitionspartner-Verständnis zulegen. Und da wir uns vor der Opposition nicht scheuen, sind wir in einer guten Position.
54, ist seit 2008 Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion und seit 2007 Landesvorsitzender der schleswig-holsteinischen SPD. Er ist zudem Mitglied im Parteivorstand.
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe hat vorab schon mal erklärt, bei dem Sondierungstreffen gehe es „um den ersten Eindruck“. Welchen Eindruck vermittelt die SPD denn jetzt gerade?
Den Eindruck, dass wir was gelernt haben aus schweren Wahlniederlagen und Mitgliederverlusten. Dass wir gut beraten sind, unseren inhaltlichen Kern nicht aufzugeben. Dass wir nicht für einen Regierungswechsel den Politikwechsel aufgeben. Wir sagen: Wenn ihr uns in der Regierung wollt, dann passiert das nicht mit inhaltlichen Häppchen. Da wäre die Union vielleicht besser beraten, es mit den Grünen zu machen.
Gröhe sagt auch, mit der Union gebe es „keine Steuererhöhungen. Punkt.“ Was meinen Sie, wie lange hält er diese Position durch?
Nun, nach der Wahl bricht auch bei der Union der Realitätssinn aus. Jeder weiß, dass schon allein die Wahlkampfversprechen der Union Geld kosten. Auch die Punkte, die wir fordern: Straßen und Infrastruktur, mehr Geld für die Kommunen, für Bildung, Rente und Pflege. Wie soll das gehen ohne Steuererhöhungen für die oberen fünf Prozent? Insofern sind das taktische Äußerungen der Union. Der SPD geht es dabei schließlich nicht um den Selbstzweck.
Geht der Trotz der SPD denn auch so weit, Neuwahlen zu riskieren?
Natürlich darf man nicht mutwillig Neuwahlen herbeiführen. Man kann dem Souverän nicht sagen, wir wählen jetzt so lange, bis uns das Ergebnis passt. Neuwahlen darf es nur geben, wenn alle Verhandlungen letztlich ergebnislos verlaufen sind. Es spricht für die SPD, dass sie nicht sagt, Hauptsache, wir kriegen ein paar Posten, sondern dass wir sagen, es kommt uns auf die Inhalte an.
Wie lange soll das alles dauern? Gehört es nicht auch zur politischen Verantwortung, dieses Land zügig regierbar zu machen?
Doch, natürlich. Wir streben nicht an, mit unseren Entscheidungen ins neue Jahr zu gehen. Aber wir lassen uns auch nicht unter Druck setzen. Wenn man sich auf so etwas einlässt – und das ist schwierig genug für die SPD –, dann zählt nur ein solides Ergebnis. Eile am Anfang erspart einem zwar Kritik. Aber sie sorgt auch für ein schlechtes Ergebnis in vier Jahren. Die SPD ist keine Hasardeurpartei, die lässt sich mit Zeitnot oder Neuwahldrohungen nicht unter Druck setzen. Uns gibt es nur professionell.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge