Liebeserklärung: SPD
Die Sozialdemokraten gelten als NormaloPartei. Dabei haben sie höchst eigenwillige Vorstellungen – etwa von politischem Timing
Martin Schulz zitiert gern ein altes Arbeiterlied: „Wann wir schreiten Seit’ an Seit’ “. Solidarität ist die aktuellste Idee, ruft Schulz. Dann regnet es Applaus. Und man stellt sich vor, wie die SPD untergehakt in den Kampf zieht, hinaus, in die kalte Welt. Drinnen aber, unter den Genossen, ist kein Arg. Ach ja.
Am vergangenen Montag hat Schulz vor Wirtschaftsvertretern geredet. „Seit’ an Seit’ “ kam nicht vor, das ist doch eher was für den DGB. Zur gleichen Zeit stellte Sigmar Gabriel, seit 100 Tagen Außenminister, sein Buch über Außenpolitik vor. Als Außenminister-Azubi die Welt bereisen und nebenbei im Flugzeug ein Buch darüber schreiben, das kann nur Gabriel. Es war schade, dass Martin Schulz nicht kommen konnte. Es ist eine Gabriel-mäßige Idee von Solidarität, sein Buch genau dann vorzustellen, wenn der Parteichef eine Grundsatzrede hält. Ungefähr so, wie seinen besten Freund bei der Mathearbeit nicht abschreiben zu lassen.
Die SPD hat eigenwillige Vorstellungen davon, was ein guter Zeitpunkt ist. Am kommenden Montag, nach der NRW-Wahl, werden in Berlin alle damit beschäftigt sein, den Sieg leuchtend auszumalen oder die Niederlage kleinzureden. Alle? Nicht alle. Der SPD-Parteivorstand beschließt nachmittags den Leitantrag für den Parteitag. Das ist das Regierungsprogramm. Im Willy-Brandt-Haus murmelt man dazu etwas von Satzung und letzter fristgemäßer Möglichkeit vor dem Parteitag. Ja, gut – dass am 14. Mai in NRW gewählt wird, hat halt nicht jeder immer auf dem Radar.
Einerseits ist es beruhigend, dass es in der SPD nun nicht heißt: Vergesst die Satzung! Wir können unser schönes Regierungsprogramm nicht Montagnachmittag nach der NRW Wahl versenken! Das sieht ja so aus, als wollten wir es verstecken! Andererseits – kühne Idee – hätte man so ein Programm ja einen Tick früher beschließen können. Zumal zwei Drittel der Deutschen sagen, dass sie nicht wissen, was Martin Schulz eigentlich will.
Was braucht die SPD? „Organisation! Organisation, mit zuverlässigen Männern.“ Das schrieb Wilhelm Liebknecht 1867. Das könnte Schulz auch mal zitieren. Stefan Reinecke
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen