SPD vor der Landtagswahl in Sachsen: Die Sachsen und der Frieden
In Sachsen geht es vor der Wahl um Krieg und Frieden. Die SPD-Spitzenkandidatin Petra Köpping kämpft gegen den Absturz in die Bedeutungslosigkeit.
Petra Köpping trägt eine auffällige Sonnenbrille, ein gelbes Kleid und hat blendende Laune. Die Spitzenkandidatin der SPD in Sachsen tuckert auf einem Boot über den Störmthaler See südlich von Leipzig. Zur Wendezeit war sie hier Bürgermeisterin, später Landrätin. Damals klaffte, wo heute der See ist, ein gigantisches Loch, Braunkohletagebau, und Köpping träumte von dem Naherholungsgebiet, das es nun, nach der Flutung, auch wirklich gibt. Eine Erfolgsgeschichte.
Besonders stolz ist die sächsische Sozialministerin auf eine schwimmende Kirche auf dem See. Sie hatte dafür gesorgt, dass auf dem staubigen Boden der Tagebaugrube ein Anker für einen Ponton fixiert wurde. Damals, sagt sie, hielten viele das für eine Schnapsidee. Doch der See lief voll.
In der Vineta, dem schwimmenden kirchenähnlichen Aufbau, finden heute Hochzeiten statt. Vineta erinnert auch an die Dutzenden verschwundenen Dörfer und Kirchen, die dem Braunkohle-Fortschritt geopfert wurden. Der geflutete Tagebau ist ein Symbol für den Umbau Ost von der Schwerindustrie- zur Freizeit- und Dienstleistungsgesellschaft. Und für eine Verbindung von Vergangenheit und Zukunft.
Das Ganze hat auch praktische Vorteile. „Früher hatten die Leute ein Haus am Rand des Tagebaus, jetzt haben sie ein Haus am See“, sagt Köpping fröhlich. Sie will „mehr Visionen, die die Leute begeistern“. Gegen die finstere Regression der AfD helfen nur positive Ideen.
Die SPD profitiert von der AfD
Die SPD in Sachsen befindet sich in einer seltsamen doppelten Bewegung. Bei Wahlen ging es in letzter Zeit stetig bergab. Vor zehn Jahren bekam sie gut 12 Prozent, 2019 knapp 8, jetzt liegt sie in Umfragen bei 6 Prozent. Ihr politischer Einfluss ist dabei eher gewachsen. In der schwarz-grün-roten Regierung von CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer haben die Sozialdemokraten die Gemeinschaftsschule und ein günstiges Nahverkehrsticket für SchülerInnen durchgesetzt – nicht wenig für den kleinsten Koalitionspartner.
Machtpolitisch profitiert die SPD auch von der starken AfD: Sie ist unverzichtbarer Baustein jeder Anti-AfD-Regierung. „Stabile Regierungen nur mit uns“, steht entsprechend auf den Flyern. Auf einem – allerdings nur ein paarmal verwendeten – Wahlplakat sieht man Michael Kretschmer, an seiner Seite Petra Köpping. Und den Satz: „Hinter dem Erfolg von diesem Mann steckt eine Frau, die es kann.“ Mit diesem Plakat versucht die SPD ihre Rolle als Mehrheitsbeschafferin für die CDU frech zu umspielen. Sie muss verhindern, in dem horse race zwischen CDU und AfD um die Rolle der stärksten Partei unterzugehen. Dass die SPD aus dem Landtag fliegt, ist möglich, aber nicht wahrscheinlich.
Petra Köpping, 66, hat keine Angst vor Konfrontationen. Bis jetzt, sagt sie, hat sie im Wahlkampf nichts Übles erlebt. Am Stand traten mal Gruppen auf, die wegen Corona, Krieg oder wegen Migration motzten, aber nichts Dramatisches. Seit Rechtsextreme 2021 einen Fackelzug vor ihrem Privathaus veranstalteten, sind immer zwei Bodyguards an ihrer Seite. Unschön, aber nicht zu ändern. Köpping beschwert sich nicht. Sie sei „immer positiv“, sagt sie über sich selbst.
Auf einer Wahlkampfveranstaltung hat ein älterer Mann der Spitzengenossin eine Frage gestellt, die Köpping beschäftigt: „Warum kämpft ihr nicht für den Frieden?“ Die Waffenlieferungen an die Ukraine sehen viele in Sachsen skeptisch, auch WählerInnen der SPD.
Dirk Panter, Fraktionsvorsitzender der SPD im sächsischen Landtag, sagt: „Mein Eindruck ist, dass manche Menschen befürchten, Deutschland könnte durch zusätzliche Waffenlieferungen in den Krieg gezogen werden.“ Und weiter: „Viele haben das Gefühl, dass ihre Angst vor einem Krieg nicht adressiert wird.“ Das Thema dominiert mittlerweile den Wahlkampf. Die Sachsen-SPD fordert auf Plakaten tapfer mehr Geld für Schulen und 15 Euro Mindestlohn. Doch das Thema Krieg und Frieden überwölbt alles. „Im Wahlkampf spielen Landesthemen leider kaum eine Rolle“, sagt Panter.
Die offiziellen Beziehungen von Wirtschaftsverbänden und Universitäten sind seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine auch in Ostdeutschland beendet. Doch viele haben noch immer Kontakte und informelle Drähte nach Russland – anders als im Westen. Auch deswegen sehen hier viele den Krieg anders, Russland nicht als fernen, bösartigen Aggressor, sondern noch immer als etwas Vertrautes.
In den Vordergrund drängt das Thema auch wegen der für 2026 geplanten Stationierung von US-Mittelstreckenraketen. In Westdeutschland unterstützt eine knappe Mehrheit die neuen Waffensysteme, in Ostdeutschland sind drei Viertel der Befragten dagegen.
Das Thema hat für die SPD im Osten etwas Toxisches. Die SPD in Brandenburg geht schon seit Längerem auf Distanz zur Linie der Ampel. SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke fordert, nicht nur immer mehr Waffen an Kyjiw zu liefern, sondern auch Verhandlungsinitiativen zu starten. Die SPD in Sachsen verzichtet hingegen auf Distanzgesten Richtung Berlin und Kanzler Scholz. Köpping trat im Wahlkampf mit Verteidigungsminister Boris Pistorius auf, der die Republik bekanntlich kriegsfähig machen will.
Neuen Drive hat das Thema Krieg nicht nur wegen der US-Raketen bekommen. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) setzt auf einen deutschnational eingefärbten Pazifismus, kombiniert mit antiimperialistischen Versatzstücken und Friedensrhetorik. Köpping glaubt, dass Wagenknecht etwas verspreche, was sie nicht halten könne. Wagenknecht, sagt Köpping ungewohnt scharf, solle „doch nach Moskau fahren und verhandeln“. Das Ergebnis werde das gleiche sein wie bei Gerhard Schröder und Viktor Orbán – null. Wagenknechts plumper Pazifismus werde nur zu einer „riesigen Enttäuschung führen“.
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Über den Frieden in der Ukraine, so predigen es SPD-Wahlkämpfer in Sachsen und Thüringen, wird nicht im Landtag entschieden. Das ist zwar richtig, nutzt aber nicht viel. Der SPD bläst der Wind in einem ungünstigen Moment frontal ins Gesicht. Der Versuch der SPD, sich vor der Europawahl als Friedenspartei zu inszenieren, ist gescheitert.
Die Wählerwanderung bei der Europawahl zeigte beunruhigenderweise, dass auch sozialdemokratische Klientel empfänglich für den Platt-Pazifismus von Wagenknecht ist. Dass deutsche Marder-Schützenpanzer bei der ukrainischen Offensive auf russischem Gebiet operieren, ist Treibstoff für Wagenknechts Kampagne. Ein SPD-Wahlkämpfer berichtet ernüchtert, er „kenne Leute, die sagen: Ich würde euch wählen, aber nicht mit dieser Aufrüstung.“
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert tourte kürzlich eine Woche durch Thüringen. Dort ist die Lage der GenossInnen ähnlich wie in Sachsen. Sie stehen in Umfragen stabil bei über 5 Prozent – aber Frieden und Raketen sind schwieriges Terrain. Kühnert ermunterte die GenossInnen, zum Kanzler und zur Stationierung zu stehen. Die SPD müsse erklären, dass Russland die Abrüstungsverträge gebrochen habe und mit atomaren Kapazitäten Westeuropa bedrohe. „Die Weltlage orientiert sich nicht daran, ob in deutschen Bundesländern gerade Landtagswahlkampf ist“, sagt Kühnert. Das ist richtig, hilft vor Ort aber nicht viel.
Die SPD-Spitze hat Anfang dieser Woche demonstrativ in einer Erklärung die Raketenstationierung verteidigt. Das hat auch bei Georg Maier, SPD-Spitzenkandidat in Thüringen, für Unmut gesorgt. Das sei derzeit „nicht hilfreich“, befand er. „Der Wahlkampf ist schwierig, die Stimmung aufgeheizt, mehr als 2019“, sagt der sächsische Fraktionschef Dirk Panter. Die SPD findet in Thüringen und Sachsen gegen die Angststimmung wenig brauchbare Instrumente.
In dieser fragilen Lage setzt die SPD zwischen Pirna und Leipzig auf Petra Köpping. Henning Homann, Landeschef der SPD, berichtet, dass bei Köppings Marktplatztour die Leute oft ihrem Ärger Luft machen. „Wenn Petra da ist, dann regen sie sich auch schnell wieder ab“, weil die SPD-Sächsin den Sound der Leute kenne.
Köpping hat 2018 „Integriert doch erst mal uns! Eine Streitschrift für Ostdeutschland“ verfasst. Sie war zu DDR-Zeiten in der SED und sagt über sich selbst, sie sei „volksnah“. Köppings kommunikatives Talent und ihre Street-Credibility sollen die Sozialdemokraten vor dem Sturz in die Bedeutungslosigkeit retten. Getreu dem Motto „Man muss die Leute gern haben“ des österreichischen Sozialdemokraten Bruno Kreisky auch die mit etwas schrägen politischen Ansichten.
Auf Distanz zur Ampel geht Köpping nicht bei Krieg und Frieden, sondern bei Karl Lauterbachs Krankenhausreform. In Sachsen hätten sie von 130 Krankenhäusern schon fast die Hälfte dichtgemacht. Eine weitere Zentralisierung mit noch weniger Krankenhäusern sei nicht nötig. „Wir haben schon viele Reformen hinter uns, Karl“, sagt sie während eines Auftritts mit Gesundheitsminister Lauterbach.
Man wird sehen, ob solche Ampelkritik light in Sachsen reicht.
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