SPD und der Fall Maaßen: Ein absehbarer Absturz
Die SPD hat in der Maaßen-Affäre hoch gepokert – und verloren. Nun sagt Andrea Nahles: Wir haben uns geirrt. Und will neu verhandeln.
Andrea Nahles steht in München vor drei großen, rot leuchtenden Lettern, SPD. Und nickt. Und nickt. Ein Dutzend Mal nickt Nahles in die Kameras. Sie ist mit allem einverstanden, was Natascha Kohnen, Spitzenkandidatin in Bayern, über Kitas und den Mietenstopp sagt. Der Termin am Donnerstag steht lange fest: ein bisschen Unterstützung für die Genossen im Süden, die es bei der Wahl in Bayern in drei Wochen schwer haben, noch schwerer als sonst.
Aber jetzt ist alles anders. Aus Berlin kommt keine Unterstützung, aus Berlin kommen Querschläger. Die Affäre Maaßen.
Die SPD hatte viel Druck gemacht, damit Hans-Georg Maaßen, der starrsinnige Verfassungsschutz-Chef, seinen Job räumen muss. Am Dienstag trafen sich die drei ParteichefInnen Nahles, Merkel und Seehofer. Der CSU-Chef schlug vor, dass Maaßen mit Holger Münch, dem Chef des Bundeskriminalamtes, den Job tauschen könne. Nahles lehnte ab. Den nach rechts blinkenden Maaßen zum Chef von 6.000 BeamtInnen machen? Niemals.
Dann werde Maaßen eben Staatssekretär im Innenministerium, zuständig für die Bundespolizei und öffentliche Sicherheit, so Seehofer. Dagegen sprach aus Nahles’ Sicht weniger. Minister wählen ihre Staatssekretäre selbst aus. Nahles willigte ein. Und stellte misstrauisch die Bedingung, dass Maaßen keinesfalls die Aufsicht über den Verfassungsschutz bekommt. Für sie wäre das völlig absurd gewesen – als Verfassungschef unbrauchbar, um dann seinen Nachfolger zu beaufsichtigen.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Nahles hatte gezögert, ehe sie dem Druck aus der SPD nachgegeben hatte und auf den Maaßen-muss-weg-Kurs umgeschwenkt war. Doch vergangene Woche sagte sie bei einem Wahlkampftermin: Maaßen muss gehen, Maaßen wird gehen.
Jetzt schien die riskante Operation ein gutes Ende genommen zu haben – mit dem Schönheitsfleck, das Maaßen Staatssekretär im Innenministerium werden würde, eine Beförderung also. Das aber war Seehofers Verantwortung. Das würde in der Öffentlichkeit auch so wahrgenommen werden, so die Hoffnung.
„Die SPD hat sich durchgesetzt“
Merkel, Nahles und Seehofer vereinbarten, dass der Bundesinnenminister am Mittwoch das Ergebnis der Öffentlichkeit vorstellen sollte. Auch das war Nahles nicht Unrecht. Seehofers Umbauten im Ministerium waren offensichtlich konfus. Der einzige Bauexperte, der SPD-Staatssekretär Gunther Adler, muss gehen. Der bisher für Sicherheit verantwortliche Staatssekretär Hans-Georg Engelke muss sich um Bauen kümmern, hat aber weiterhin die Aufsicht über den Verfassungsschutz. Ein halbes Ministerium wird rund um einen Staatssekretär organisiert. Das würde auf Seehofers Kappe gehen, gerade wenn er dieses Ergebnis selbst präsentiert.
Nach dem Treffen der drei ParteichefInnen telefonierte Nahles mit dem SPD-Präsidium und ließ eine Mail an die SPD-Abgeordneten verschicken, darin das Wording: „Die SPD hat sich durchgesetzt.“
Nahles hat, so sehen es viele in der Partei, vier Fehler gemacht. Erstens hat sie allzu vollmundig die Erwartung geweckt, dass die SPD Maaßen aus dem Amt befördern wird, ohne Seehofers Reaktion zu bedenken. Zweitens hat sie am Dienstag nicht begriffen, welche Falle Seehofer, mit Merkels Einverständnis, gebaut hatte. Drittens überhörte sie in der Telefonschalte mit dem SPD-Präsidium die ersten kritischen Stimmen, die zweifelten, ob sich die Lesart: „Sieg für die SPD, der Rest ist Seehofers Schuld“ durchsetzen könnte. Und viertens: Die SPD-Führung erfuhr nicht von Nahles, sondern von Seehofer, dass der SPD-Staatssekretär für Maaßen seinen Stuhl räumen muss. Gut gemeint also, schlecht gemacht.
Nahles war mit dem Versprechen angetreten, professioneller als Martin Schulz zu arbeiten. Doch manche GenossInnen erinnerte Nahles’ Auftritt in der Telefonschalte an das Ende der Schulz-Ära. Als Seehofer am Mittwoch grinsend vortrug, dass Nahles den Deal, inklusive Maaßens Beförderung, abgenickt hatte, kippte die Stimmung. Nun schien die SPD für das bizarre Ergebnis verantwortlich zu sein: Ein Behördenleiter, der seine Kompetenzen überschritten hat, wird dafür mit einem besseren Job belohnt.
Haufenweise kritische Briefe und Mails
Am Mittwoch versuchte die SPD, den Ball ins Feld der Union zurückzuspielen. Maaßens Karrieresprung zeige, so SPD-Vize Ralf Stegner, Merkels „eklatante Schwäche“. Der Verfassungsschützer hatte mit der Einschätzung, es habe in Chemnitz keine Hetzjagd gegeben, ja vor allem die Kanzlerin öffentlich angegriffen – sogar ohne sie vorab zu informieren. Außerdem hatte Maaßen, besonders peinlich für einen Sicherheitsexperten, ohne Grund die Echtheit eines Videos bezweifelt, das die Attacke eines Rechtsradikalen in Chemnitz zeigte und so das Misstrauen gegen die „Lügenpresse“ geschürt. Beides waren zwingende Gründe für die Kanzlerin, den Behördenchef auf Posten zu versetzen, wo er keinen Schaden mehr anrichten konnte – aber nicht, dessen Aufstieg durchzuwinken.
Diese Kritik an Merkel war zutreffend – aber das zählte nicht mehr. Der Eindruck war: Die SPD hatte sich früh selbst auf die Schultern geklopft, aber indirekt dafür gesorgt, dass Maaßen befördert wurde.
Die Umfrage
Erstmals in einer Meinungsumfrage ist die SPD nur drittstärkste Kraft. Laut ARD-Deutschlandtrend würden 17 Prozent der Befragten für sie stimmen. Damit liegt die SPD hinter der AfD (18 Prozent) und der Union (28 Prozent).
Die Reaktion
Der SPD-Politiker Johannes Kahrs machte Horst Seehofers Verhalten in der Affäre Maaßen verantwortlich. Dessen „unanständige Manöver“ führten „zu Politikverdrossenheit“, sagte Kahrs.
Seitdem versucht Nahles, den Totalschaden zu verhindern. Sie schrieb einen Brief an die 430.000 SPD-Mitglieder: Ohne triumphalen Tonfall, dafür mit einem pragmatischen Argument: „Das müssen wir aushalten. Die SPD sollte diese Bundesregierung nicht opfern, weil Horst Seehofer einen Beamten anstellt, den wir für ungeeignet halten.“ Vielleicht hätte das Desaster verhindert oder begrenzt werden können, wenn Nahles diese Deutung – nur ein halber Erfolg – am Dienstagabend offensiv verbreitet hätte. Aber da glaubte sie noch an das gute Ende.
SPD-Linke wie Kevin Kühnert, Hilde Mattheis und Marco Bülow, die die Große Koalition ohnehin für ein Fehler halten, kritisieren den Deal. Ihr Einfluss ist kleiner, als er in den Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Die einflussreicheren moderaten Linken in der SPD geben bislang ihre in Krisen übliche Devise aus: Wir stellen die Regierungsbeteiligung in Frage, werden aber die Koalition nicht sprengen. Bellen, aber nicht beißen.
In München vor den SPD-Buchstaben sagt Nahles, es gebe in der SPD „einzelne Stimmen, die sich laut zu Wort gemeldet haben“.
Doch die Lage verschiebt sich seit Mittwoch zu ihren Ungunsten. Beunruhigend für die SPD-Chefin ist, dass kaum noch ein SPD-Spitzenpolitiker sie offensiv verteidigt. Johannes Kahrs, Karl Lauterbach und Carsten Schneider sind die Ausnahmen. Das Willy-Brandt-Haus in Berlin erreichen haufenweise kritische Briefe und Mails. Aus dem größten SPD-Landesverband kommen deprimierende Nachrichten. Michael Groschek, Ex-SPD-Chef in NRW, der entscheidenden Anteil daran hatte, dass die SPD Anfang des Jahres doch in die Regierung eintrat, findet es „unbegreiflich, wie Andrea Nahles diesem Deal zustimmen konnte“.
In der Landtagsfraktion verteidigt niemand mehr die SPD-Chefin. Beunruhigend ist auch, dass Natascha Kohnen, die moderate linke SPD-Spitzenkandidatin in Bayern, öffentlich von der SPD-Spitze fordert, den Deal mit Seehofer zu korrigieren. Das erzeugt Handlungsdruck. Die SPD-Spitze muss Kohnen entgegenkommen. Eine Spitzenkandidatin im Wahlkampf kalt auflaufen zu lassen, kann sich keine Parteichefin leisten – Nahles im Moment erst recht nicht. Eine Meinungsumfrage legt die Deutung nahe, dass der Streit um Maaßen SPD und Union schadet und der AfD nutzt.
Vierstündige Krisensitzung
Der Entschluss, den Fall noch einmal zu verhandeln, fällt Donnerstagabend nach einer vierstündigen Krisensitzung.
Nahles gibt den Kritikern nach, die immer lauter neue Verhandlungen über Maaßens neuen Job fordern. In einem Brief an Merkel und Seehofer schreibt sie, dass „wir uns geirrt haben“. Und fordert einen neuen Deal über die Causa Maaßen. Es ist der Griff zur Notbremse. Das heißt: alles von vorne. Klar ist, dass Nahles bei der Sitzung des Parteivorstands am Montag ein Scherbengericht erspart bleibt. Aber ansonsten ist nichts klar. Alles ist möglich, auch der Bruch der Koalition.
Die SPD ist in einer ungemütlichen Situation. Denn alles hängt davon ab, ob die Union geneigt ist, auf diese Offerte einzugehen, die halb Hilferuf, halb Drohung ist. „Wir haben uns geirrt“, schreibt Nahles und spielt damit darauf an, dass es auch viele in der Union unmöglich finden, dass Maaßen für Fehler befördert wird. Auch den chaotischen Umbau des Innenministeriums halten in der Union manche für falsch.
Merkel stimmte am Freitagabend Neuverhandlungen zu und selbst Seehofer signalisiert Gesprächsbereitschaft. Der CSU-Chef, dessen Zukunft nach der Bayernwahl unsicher ist, machte zuvor nicht den Eindruck, sich geirrt zu haben. Am Mittwoch genoss er es, die Attacke der SPD mit einem Judo-Griff gegen sie gewendet zu haben. Jetzt soll er diesen Triumph wieder in Frage stellen, um die Nahles zu retten? Allerdings ist Seehofer auch bekannt für unvorhergesehene Wenden. Letztlich ist Nahles nun abhängig vom Wohlwollen der Union. Die SPD ist am Freitag wieder dort angekommen, wo sie Anfang der Woche schon mal war. Nur mit viel schlechteren Karten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr