SPD und Linke streiten über Krim: Genervt und ausgeladen
Das SPD-Netzwerk lädt Gregor Gysi von einem lang geplanten Diskussionsabend aus – wegen der Haltung der Linken zur Ukraine. Gysi giftet zurück.
BERLIN taz | Eine kleine Spitze mag sich Gregor Gysi dann doch nicht verkneifen. Inhaltlich bedauere er die Absage natürlich, schreibt er in einem Brief an die beiden SPD-Netzwerker. Dann schiebt er nach: Er persönlich hätte ein Gespräch mit Sozialdemokraten nicht abgelehnt, nur weil die eine andere Meinung zur Ukraine hätten. „Ich erwarte eben keine Unterordnung.“
Die giftige Antwort des Linkspartei-Fraktionschefs an die SPD-Abgeordneten Eva Högl und Martin Rabanus ist das vorläufige Ende einer zarten Annäherung. Högl und Rabanus sind die Sprecher des Netzwerks Berlin, einer Strömungsorganisation innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion. Ihr gehören 50 Abgeordnete an, sie bezeichnen sich als pragmatisch, auch Vizekanzler Sigmar Gabriel ist dabei.
Das Netzwerk plante in dieser Woche ein besonderes Ereignis. Gysi sollte am Donnerstag bei dem Netzwerktreffen reden, bei dem regelmäßig auswärtige Gäste zum Gedankenaustausch eingeladen werden. Das spannende Thema: „Die Zukunft von Rot-Rot-Grün“. Dieses Treffen hatte einigen Symbolwert. Gysi war der erste prominente Bundespolitiker der Linkspartei, den die Netzwerker jemals zum Gespräch baten. Damit setzte das Netzwerk, anders als etwa die Parlamentarische Linke in der politischen Mitte angesiedelt, ein Signal.
Gysis Auftritt wäre ein Schritt zur Annäherung von SPD und Linken gewesen. Eine kleine, vertrauensbildende Maßnahme für Rot-Rot-Grün. Doch aus dem intellektuellen Plauderstündchen wurde nichts. Am Montag sagten Högl und Rabanus das Gespräch ab. Sie sähen „zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Grundlage mehr für ein sachliches und ernsthaftes Gespräch“, schrieben sie dem Linken. Eine verantwortungsvolle Europa- und Außenpolitik sei für sie „unerlässliche Voraussetzung für jede Form von künftiger Zusammenarbeit.“ Dafür sähen sie „nach Bewertung der Lage in der Ukraine“ durch Gysi und die Linkspartei-Fraktion keine Ansatzpunkte mehr.
Nicht zurechnungsfähig
Der Affront ist der Höhepunkt eines außenpolitischen Hickhacks, bei dem sich SPD, Grüne und Linke mit scharfen Vorwürfen überziehen. Die Linke isolierte sich mit steilen Thesen zur Ukraine. Linkspartei-Fraktionsvize Sahra Wagenknecht behauptete etwa, die Kanzlerin und der SPD-Außenminister stützten in Kiew eine Putschregierung aus Neofaschisten und Antisemiten. Die Attacken wertet man in der SPD als Beleg, dass die Linke auf dem Feld der Außenpolitik nicht zurechnungsfähig ist.
Die Ironie dabei ist, dass die Netzwerker mit Gysi nun ausgerechnet den ausgewiesenen Zentristen innerhalb der Linken vor den Kopf stoßen. Und Rot-Rot-Grün? Wenn selbst die Pragmatiker beider Seiten es nicht schaffen, bei einem Streit ein vernünftiges Gespräch zu führen, ist das ein sehr, sehr langer Weg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut