Jahresbericht des Weissen Rings: Kaum Hilfe für Gewaltopfer

Wer Gewalt erfährt, hat Anspruch auf Entschädigung vom Staat. Doch 2021 wurden nicht einmal ein Drittel der Anträge auf Hilfszahlungen genehmigt.

Eine Person füllt ein Formular aus

Die staatliche Hilfe für Opfer von Gewalt ist in Deutschland auf einen Tiefstand gesunken Foto: Hauke-Christian Dittrich/Weißer Ring/dpa

BERLIN taz | Gewaltopfer haben ein Recht auf Hilfe vom Staat – eigentlich. Die Hilfsorganisation Weisser Ring veröffentlichte die Zahlen zur staatlichen Unterstützung von Gewaltopfern: 46,6 Prozent der Anträge wurden abgelehnt, also fast die Hälfte. Das ist der schlechteste Wert seit mehr als 20 Jahren, heißt es von der größten Hilfsorganisation für Verbrechensopfer Deutschlands.

Der Weisse Ring dokumentiert die Anzahl der Anträge jedes Jahr. „Das bestätigt unsere schlimmsten Befürchtungen“, sagt Jörg Ziercke, Bundesvorsitzender des Weissen Rings. „Die Bürokratie lässt Menschen, die unverschuldet in Not geraten sind, immer öfter hilflos zurück.“

Die andere angenommene Hälfte der Anträge wird nicht unbedingt bearbeitet. 25,8 Prozent der Anträge wurden als „erledigt aus sonstigen Gründen“ abgestempelt. Das kann zum Beispiel heißen, dass Antragstellende gestorben sind, der Fall an ein anderes Bundesland weitergeleitet wurde oder Betroffene den Antrag zurückgezogen haben.

Nur 27,6 Prozent der Entschädigungsanträge wurden von den Ämtern genehmigt. 15.008 Anträge auf Entschädigung wurden 2021 gestellt, aber rund 165.000 Fälle von Gewaltkriminalität erfasst. Das heißt, bei gerade einmal 9 Prozent der erfassten Gewalttaten werden nachfolgend Anträge auf Op­fer­entschädigung gestellt.

Das liegt vor allem an den Verfahren, die nicht opfersensibel seien und viel zu lange dauern, berichtet Claudia Igney, Referentin des Bundesverbands Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) der taz. Sie erklärt: „Eine besondere Schwierigkeit ist, dass die Antragstellerin eine doppelte Kausalität nachweisen muss: Zunächst, dass die Tat stattgefunden hat und dadurch eine Schädigung eingetreten ist, und dann, dass die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen und Beeinträchtigungen auf diese Schädigung durch die Tat zurückzuführen sind. Viele scheitern schon an der ersten Hürde.“ Igney kritisiert, dass es in den Behörden oft kein Fachwissen zu häuslicher und sexualisierter Gewalt gebe.

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Finanzieller Hintergedanken der Ämter?

Auch Stephan Kees, Fachreferent des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG), ist von der hohen Ablehnungsquote wenig überrascht. Er vermutet sogar einen finanziellen Hintergedanken bei den Ämtern: „Es entsteht der Eindruck, dass Kostenersparnisse bei der Abwägung der Bewilligung von Anträgen eine Rolle spielen könnten. Eine Ablehnung ist dann meist mit weiteren seelischen Verletzungen, Enttäuschungen und dem Gefühl der Nichtanerkennung verbunden“, so Kees zur taz.

Eine Sprecherin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales schreibt auf Anfrage: „Die Durchführung des OEG obliegt der Verwaltung der Länder, die jeweils prüfen müssen, ob die gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen vorliegen.“ Dem Ministerium seien die Beschwerden über die Prüfung der Anträge auf Opferentschädigung bekannt. Es habe eine Reform befürwortet.

Im Januar 2024 tritt das Vierzehnte Buch des Sozialgesetzbuchs in Kraft. Hier werden Verbesserungen in der Betreuung, zum Beispiel durch ein Fallmanagement für Betroffene, und in der Entschädigung psychischer Gewalt versprochen. Auch Claudia Igney vom bff sieht darin „Erleichterungen für Betroffene sexualisierter und häuslicher Gewalt“.

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